Philosophin über Sicherheit im Netz: „Mündigkeit ist Übungs­sache“

Ein innerliches „Kann ich doch eh nicht“ hält viele davon ab, sich mit IT zu beschäftigen. Expertin Leena Simon erklärt, wo je­de:r anfangen kann.

Ein Teenager liegt auf einem Bett und schaut interessiert in einen Labtop.

Schlafzimmer sind meist gut vor den Blicken Dritter geschützt – digitale Räume eher nicht Foto: imago

taz: Abhörsicher zu kommunizieren bekommt mitunter nicht mal die Bundeswehr hin, wie wir durch den Taurus-Spionageskandal erfahren haben. Gehört das Wissen, mit welcher App das zum Beispiel geht, zur digitalen Grundausstattung dazu?

Leena Simon: Ja, das wäre gut. Aber ich sehe auch, dass dieses Wissen noch nicht weit verbreitet ist – und fairerweise muss man dazu sagen, dass die Zahl der Anwendungen, die es dafür gibt, auch noch recht übersichtlich ist.

Leena Simon, 39, ist Philosophin, IT-Expertin und Autorin des Buchs „Digitale Mündigkeit“.

Welche würden Sie denn der Nor­mal­nut­ze­r:in empfehlen?

Zum verschlüsselten Telefonieren ist die App Signal eine ganz gute und leicht bedienbare Möglichkeit. Signal stößt aber an Grenzen, wenn mehr als zwei Menschen miteinander sprechen wollen, das habe ich erlebt, als ich es mit meinen Schwestern ausprobiert habe. Wir haben uns dann für Videokonferenzen entschieden und dafür Jitsi und BigBlueButton genutzt.

Warum ist dieses Wissen so wenig verbreitet?

Wir sind es einfach nicht gewohnt, uns Gedanken über die Sicherheit der Kommunikation zu machen. Dass wir mit Messengern verschlüsselt kommunizieren, ist super, aber das tun wir ehrlicherweise auch nur deshalb, weil diese Apps das standardmäßig so eingerichtet haben. Bei E-Mail ist es umgekehrt: Da müssen sich die Nut­ze­r:in­nen selbst um die Verschlüsselung kümmern und es macht praktisch keiner. Dabei ist es da genauso wichtig: Ich kommuniziere per Mail mit meiner Steuerberaterin, mit meinem Versicherungsagenten und vielleicht mit der Schule meiner Kinder. Das sind haufenweise private Informationen, die auf virtuellen Postkarten durch die Welt geschickt werden.

Wer mal versucht hat, sich E-Mail-Verschlüsselung einzurichten, weiß: Das ist nicht supereinfach. Warum sollten sich Menschen trotzdem mit solchen Fragen befassen?

Wir brauchen eine andere Einstellung zu Technik, um die Probleme unserer Zeit in den Griff zu kriegen. Ganz viele dieser Probleme hängen damit zusammen oder werden dadurch verschärft, dass wir seit 20, 30 Jahren das Internet weitgehend unüberlegt nutzen.

Zum Beispiel?

Nehmen wir den Klimawandel, das wahrscheinlich größte Problem unserer Zeit. Wir könnten als Gesellschaft deutlich mehr gegen diese Bedrohung tun, wenn alle Menschen zumindest grob das Wissen der entsprechenden Ex­per­t:in­nen zur Kenntnis nehmen und verstehen und die Konsequenzen daraus ziehen würden.

Aber wie kann dabei Digitalkompetenz helfen?

Na ja: Was war denn zum Beispiel mit dem Gebäudeenergiegesetz? Es war ursprünglich eine sinnvolle Idee, den breiten Gebäudebestand schrittweise mit klimafreundlicheren Heizungen auszustatten. Aber weil die Debatte darum so von Fake News geprägt war – zum Beispiel, dass man nun ganz schnell eine funktionierende Heizung austauschen müsste und man dann nicht mehr heizen könne –, ist fast nichts davon übrig geblieben. Es gibt also eine große Lücke in der Kompetenz beim Umgang mit Informationen, die etwa über Social Media verbreitet werden.

Dass diese Inhalte so weit verbreitet werden, hängt aber auch mit den Algorithmen der Onlineplattformen zusammen, die polarisierende Inhalte stärker ausspielen.

Das stimmt, wir sind im Moment stark mit Technik konfrontiert, die uns die digitale Mündigkeit schwer macht. Die Konzerne halten ihre Algorithmen geheim und manipulieren uns. Zum Beispiel durch Dark Patterns bei Cookie-Bannern, wo wir auf den großen grünen O.-k.-Button klicken und damit in alle Datensammeleien einwilligen, statt auf den kleinen grauen Ablehnen-Button. Da erzieht die Technik die Menschen zu entmündigten Nutzer:innen.

Also müssen doch nicht die Nut­ze­r:in­nen etwas tun, sondern die Politik muss die Unternehmen besser regulieren?

Es ist ein Wechselspiel: Die Politik muss wichtige Rahmenbedingungen schaffen. Die Nut­ze­r:in­nen wiederum müssen das von der Politik einfordern, aber gleichzeitig auch bewusst darüber entscheiden, welche Dienste sie nutzen, zumindest dort, wo es eine Wahl gibt. Und die gibt es eben in einigen Bereichen schon. Whatsapp oder Signal? Google Maps oder OpenStreetMap? Zoom oder Big Blue Button? Was im Markt gut läuft, was groß wird, das entscheiden wir selbst. Und da muss sich jede und jeder Einzelne der Verantwortung stellen.

Wenn nun jemand anfangen will: Was sind die ersten Schritte?

Der erste Schritt ist die Entscheidung, Verantwortung zu übernehmen. Im zweiten Schritt ergeben sich daraus erst einmal ganz viele Fragen. Zum Beispiel will man eine neue App installieren: Was macht die eigentlich mit meinen Daten? Welche sammelt sie überhaupt? Dann fängt man an, die AGB zu suchen, verzweifelt daran, sie zu verstehen – und vielleicht steht dann am Ende die Entscheidung, lieber auf die App zu verzichten. Vielleicht auch die Entscheidung, dass die App das Risiko wert ist. Beides ist okay. Das Wichtige: Ich habe mich damit befasst, etwas gelernt und eine bewusste Entscheidung getroffen.

Ist nicht spätestens nach der Lektüre der AGB die Versuchung groß, einfach aufzugeben?

Vielleicht. Aber wenn ich zum Beispiel operiert werden muss, läuft es ja genau so: Ich bekomme einen Aufklärungsbogen, lese den, kann vielleicht noch Nachfragen stellen und am Ende unterschreibe ich. Das ersetzt kein Medizinstudium, ich kann ganz sicher nicht alles zu hundert Prozent absehen. Aber es ist eine bewusste Entscheidung auf der Wissensbasis, die für mich leistbar ist. Und genauso wenig muss ich selbst programmieren können oder Jura studiert haben, um mündig darüber zu entscheiden, wie ich mich in der digitalen Welt bewege.

Sie schlagen vor, täglich 30 Minuten ein Technikproblem selbst zu lösen, ohne jemanden um Hilfe zu bitten. Was soll das helfen?

Das ist eine Methode zum Empowerment. Die meisten Leute werden nämlich merken, dass sie erstaunlich viel selbst lösen können und vielleicht sogar nur 10 Minuten brauchen statt 30. Es gibt ja auch andere Hilfe: Man kann eine Suchmaschine fragen, in Technikforen schauen oder auf Hilfe-Seiten der Software. Und die 30 Minuten sind wichtig, um sich geistig darauf einzulassen. Eine halbe Stunde lang guckt man nicht in die Luft und sagt „Ach, ich kann das eh nicht“, sondern macht etwas. Das ist ein wichtiger innerlicher Schritt. Und ganz ehrlich: Ich finde schon, dass wir an uns selbst den Anspruch haben sollten, zumindest meistens zu wissen, was wir tun. Wir wollen ja auch selber Auto fahren, selber einkaufen, selber entscheiden, wo wir wohnen.

Was ist der Hebel, mit dem Nut­ze­r:in­nen am meisten bewirken können?

Ich sehe zwei. Der erste: freie Software nutzen, also solche, wo der Quellcode offen liegt. Und zwar wo immer möglich. Wer Android nutzt, kann solche freien Apps über den Appstore F-Droid installieren. Die Auswahl ist hier kleiner als bei Google, aber es gibt erfreulich viel. Der zweite: Wir sollten dringend unser Social-Media-Verhalten unter die Lupe nehmen und ausbrechen aus den toxischen Algorithmen von Facebook, X, Instagram und Co. Denn es gibt sehr angenehme Alternativen, zum Beispiel das Fediverse, mit seiner bekanntesten Plattform Mastodon. Man kann diesen Alternativen einfach mal eine Chance geben. Denn digitale Mündigkeit ist auch Übungs­sache. Und je ­länger wir üben, desto weniger vulnerabel sind wir.

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