Netzfreiheit in Russland: Putins Internetfantasien
Moskau will mehr Kontrolle über das Internet – stellt das aber als reine Sicherheitsmaßnahme dar. Technisch wäre die Umsetzung schwierig.
MOSKAU taz | Jeder Tag ist für Russland auch ein Tag der nationalen Verteidigung. Moskau befindet sich im Krieg, wenn auch nicht mit der Ukraine, so doch mit einem beträchtlichen Teil der restlichen Welt. Diesen Eindruck versucht der Kreml täglich zu vermitteln.
Auch am Mittwoch, als der russische Sicherheitsrat unter Vorsitz Präsident Wladimir Putins zusammentrat, um zu diskutieren, wie sich Moskau gegen potenzielle Versuche von außen wappnen könne, von bestimmten internetbasierten Diensten ausgeschlossen zu werden. Dazu sagte Kremlchef Wladimir Putin nach der Sitzung jedoch kein Wort.
Stattdessen trat er erneut Befürchtungen entgegen, der Kreml wolle mit den Sicherheitsmaßnahmen nach außen tatsächlich die Abschottung des russischen vom weltweiten Netz betreiben. Niemand habe die Absicht, „den Zugang zum Internet zu begrenzen und es unter totale Kontrolle zu stellen“, sagte Putin. Russische Beobachter vermuten dennoch, dass es vor allem innenpolitische Beweggründe haben könnte, wenn über Schutzmaßnahmen nach außen nachgedacht wird.
Seit Juli sind Geheimdienst, Verteidigungs- und Kommunikationsministerium damit befasst, den Notfall zu simulieren. „Wir erstellen einen Aktionsplan für den Fall, dass uns der Zugang zum Internet von außen verwehrt wird“, meinte Kommunikationsminister Nikolai Nikiforow schon im Vorfeld. Leider befände sich ein Teil der Infrastruktur nicht auf dem Gebiet Russlands und werde von außen gesteuert.
Digitale Souveränität
Die politische Elite stellt das Streben nach digitaler Souveränität in einen Kontext mit den jüngsten westlichen Sanktionen. Russland sei in letzter Zeit mit einer Sprache einseitiger Sanktionen konfrontiert, meinte Minister Nikiforow: „Mal werden unsere Bankkarten vom Zahlungssystem abgeschaltet, mal droht das EU-Parlament damit, Russland den Zugang zum Swift-Zahlungsverkehr zu verwehren“. Daher prüfe man verschiedene Szenarien.
Die Abhängigkeit von US-amerikanischen Einrichtungen ist Moskau schon seit Langem ein Dorn im Auge. Seit dem Ukrainekrieg häufen sich Forderungen auch nach einem „souveränen Internet“. Wasser auf die Mühlen goss im Sommer zudem ein Interview Edward Snowdens, das der in Russland lebende US-Whistleblower dem Magazin Wired gegeben hatte. Darin beschreibt Snowden, wie NSA-Hacker 2012 das syrische Netz versehentlich lahmlegten, wenn auch nur für kurze Zeit.
Dass Wladimir Putin das Internet für eine Erfindung des US-Geheimdienstes hält, hatte der Kremlchef schon im April in seiner jährlichen TV-Show „Dialog mit dem Volk“ den Bürgern erzählt. Russland möchte vor allem über die Institution Icann (Internet Corporation for Assigned Names and Numbers), die das Domain-Name-System lenkt, mehr Kontrolle ausüben. Die russische Regierung würde die Domäne „.ru“ gerne komplett unter ihrer Ägide verwalten. Laut der Zeitung Kommersant lehnte die Icann einen Transfer grundsätzlich ab.
Darüber hinaus ist Russland bestrebt, möglichst viele Daten im Inland zu speichern statt auf internationalen Servern, um weniger verwundbar zu werden. Experten vermuten, dass mögliche russische Zensurbestrebungen auf größere technische Probleme stoßen würden als die Chinas, da Moskau enger mit dem globalen Netz verwoben sei.
Leser*innenkommentare
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Gast
Diktatur Putin ist eben klar: "von den USA lernen, heißt siegen lernen." Mit Tipps von Diktator zu Diktator.
Gerda Fürch
P. S.
Klar habe ich Temperament. Südliche Gene eben und französische. Na, und?
Gerda Fürch
Meine Güte, Herr Donath, wenn Putin so wäre wie Sie ihn stets hertzerisch für die taz-Leserschaft beschreiben, würden Sie schon lange nicht mehr Korrespondent in und aus Moskau sein!
Waren Sie schon mal im "Silocon Valley" in Kalifornien?
Klar hat Putin recht, wenn er offen sagt, daß die US-Technologien den gesamten Weltmarkt beherrschen wollen und noch mehr abhängig machen wollen. Klar wie Kloßbrühe!
Bedenken Sie doch bitte einmal in Ihrem stillen Kämmerlein, welchen Schaden die drei US-Ratingagenturen anrichten, wenn sie Staaten "raten".
Etliche Amis (nicht die Mehrheit) wollen auch die EU beherrschen! Siehe TTIP und CETA! Nicht nur Rußland unter die Knute zwingen mit dem riesigen, vom Westen und China sehr begehrlichen Sibirien in Asien mit sehr, sehr wertvollen Rohstoffen und Bodenschätzen.
Trotzdem alles Gute! Ich bin froh, daß Ihr Arbeitsplatz nicht gefährdet ist wie demnächst wieder für viele Millionen Menschen in der EU. Das wird auch die ukrainische Bevölkerung unter Poroschenko zu spüren bekommen, diese verdammte Massenarbeitslosigkeit mit Perspektivlosigkeit.
"Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!" (Poroschenko). Nein, das ist doch nur eine notwendige "Pufferzone" eine "notwendige Grenzsicherung".
SomeoneOutThere
"Niemand hat die Absicht eine Firewall zu errichten." - Vladimir Putin
Gregor Hecker
Natürlich wird Russland abschotten. Ist ja keine Bananenrepublik. Jedes Land der Welt, das selbständig sein will, wird abschotten. Und am allen ist Snowden schuld. Er hat ja geplaudert.
P.S. aber die deutschen Pornos wird Putin bestimmt nicht sperren. Insofern...
Peter Neufahrt
Dieser Artikel ist so geschrieben als sei es abwegig, sich von dem US basierten Netz ein wenig unabhängig machen zu wollen. Vor allem mit dem Hintergrund der aktuellen politischen Situation in die Russland gedrängt wurde und sich selber drängt - Wirtschaftskrieg - sehe ich das als sinnvoll aus Sicht Moskaus an. Ich würde mich auch über mehr Unabhängigkeit in Deutschland freuen. Und in der Tat wird ja auch in der deutschen Politik darüber diskutiert - wenn auch technisch unversiert. Mit der Abschaffung der Netzneutralität wird ja auch im Westen eine Form der Zensur angestrebt. Die Zensur von Kommentaren in einigen Nachrichtenportalen spreche ich gar nicht weiter an.
Dass das Internet vom US Militär erfunden wurde ist ja nun kein Geheimnis. Siehe ARPA Net. Dass die USA mit ICANN die Hohheit über das DNS sicherstellt ist kein Zufall.
Gerda Fürch
Stimme Ihnen voll zu!
Apropos, "Alternativist". Es gibt immer eine Alternative, mindestens zwei, wenn nicht sogar drei. Das weiß ich von Naturwissenschaftlern, die meine Vorgesetzten waren, freundlich meine Fragen beantwortet haben, weil ich mich für ihre wissenschaftliche Arbeit interessierte und sehr bewunderte.
Das weiß auch Angela Merkel sehr genau, denn sie ist eine fähige und erfahrene Naturwissenschaftlerin, so wie ihr Mann auch.
vagabundix
natürlich ist "alternativlos" der komplette Nonsens und als Basis für professionelles Handeln normalerweise ein Kündigungsgrund:
du kannst etwas tun oder nicht - sind schon mal zwei Alternativen ...