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Netzbewegung nach SnowdenDie große Stille

Snowdenleaks bietet der Netzbewegung eine Steilvorlage – doch die scheint sie bisher nicht zu nutzen. Wo sind sie, die Internetaktivisten?

Lag es an der Hitze? In Berlin demonstrierten nur wenige Menschen Bild: reuters

BERLIN taz | Die deutsche Netzbewegung hat kein richtiges Büro. Von einem Zimmer voller Schreibtische und Demotransparente in einer Wohnung im Prenzlauer Berg aus steuert Linnea Riensberg von der Digitalen Gesellschaft in Berlin die Aktionen gegen die Überwachung im Internet: Sie organisiert Proteste, wirbt um Fördermitglieder, stimmt in Mailverteilern Positionen ab. Doch die erste festangestellte Mitarbeiterin der Lobbygesellschaft und ihre Kollegen haben ein Problem: „Eigentlich müsste man eine extreme Forderung haben“, sagt Riensberg. Aber welche? „Auf wen schießen wir?“

Über zwei Monate ist es jetzt her, dass Edward Snowdens blasses Gesicht zum ersten Mal im Fernsehen auftauchte, alle Titelseiten zierte und seine Worte etwas verrieten, von dem viele ahnten, dass es ein großes Ding ist: Weltweite Überwachung der Kommunikation im Internet durch den amerikanischen Geheimdienst NSA und – wie sich wenig später herausstellte – auch den britischen Geheimdienst. Seither wurden Woche für Woche neue Spähprogramme enthüllt: Prism, Tempora, Xkeyscore.

Was ist, wenn die Dimension des Problems allen klar zu sein scheint, aber das Problem nicht so richtig? Ist es die Verletzung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung? Oder ist es Datenschutz, um den sich fortan jeder selbst kümmern sollte, indem man zum Beispiel seine E-Mails verschlüsselt?

„Stop watching us“ forderten Demonstranten in Regensburg, Frankfurt und Berlin. Richtig viele waren es nirgendwo, in Frankfurt kamen immerhin 4.000. „Was uns fehlt sind Robben“, sagt Constanze Kurz, einer der Sprecherin des Chaos Computer Clubs, „oder im Öl verendende Vögel.“ Fehlen der Netzbewegung also die Bilder?

Zensursula und Acta

Daten kann man nicht abbilden, das stimmt, aber als die damalige Familienministerin Ursula von der Leyen 2009 Webseiten mit kinderpornografischem Inhalt sperren lassen wollte, war die Empörung groß. „Zensursula“ stand für die Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Das saß, das Gesetz wurde verhindert. Und beim Protest gegen die Acta-Gesetze, mit denen diverse Staaten Produktpiraterie und Urheberrechtsverletzungen bekämpfen wollten, ging die Youtube-Jugend massenhaft auf die Straße, weil sie Angst hatte, dass man ihr kino.to wegnimmt und die freien Filme im Netz. Auch da erfolgreich.

taz am wochenende

Snowdenleaks könnte für Internetaktivisten sein, was Tschernobyl für die Atomkraftgegner war. Aber schafft es die Netzbewegung, diese Chance zu nutzen? Die ganze Geschichte „Was tun! Aber was?“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 17./18. August 2013. Darin außerdem: Ein Gespräch mit dem politischen Kabarettisten Georg Schramm, eine Reportage über Frauen im Kosovo, die nach dem Krieg neues Selbstbewusstsein entwickeln. Und der sonntaz-Streit zur Frage: Macht Taschengeld Kinder zu Materialisten? Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Einige Menschen greifen nun zum Selbstschutz: Auf Cryptopartys lernen Teilnehmer, ihre E-Mails zu verschlüsseln und sicher im Netz zu surfen. „In Zeiten, in denen die NSA sowieso die Metadaten abgreift, ist es umso wichtiger, Inhalte zu verschlüsseln“, sagt Malte Dik, der in Berlin solche Treffen organisiert. Mechanismen wie PGP, Tor oder OTR statt Protest auf der Straße?

Dabei könnte dies die große Stunde der Netzbewegung sein. Ihre Forderung nach Freiheit im Netz war nie so aktuell und so bedroht wie jetzt. Weil fast alle Menschen heute das Internet nutzen, sind auch fast alle Menschen von Prism, Tempora und Xkeyscore betroffen. Ähnlich wie das Atomunglück in Tschernobyl damals den Atom-Gegnern Aufwind für ihre Forderungen nach einer atomfreien Welt lieferte, könnten Snowdens Enthüllungen der Durchbruch für die Internetaktivisten sein. Oder nicht?

Was meinen Sie? Hat die Netzbewegung ihre große Stunde verschlafen? Oder kommt sie erst richtig in Fahrt? Braucht sie einfach noch Zeit, um sich zu professionalisieren und Lösungen zu finden? Und kann man überhaupt auf die Politik hoffen oder sollte man sich eher selber im Datenschutz üben?

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9 Kommentare

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  • S
    Susi

    Am Samstag den 30.08. waren bundesweit Demos in vielen Städten gegen Prism und den ganzen Überwachungskram. Aber leider gabs dazu kaum Berichte. Bei der taz hab ich dazu jedenfalls nichts gefunden. Im Twitter gings dazu aber unter dem Tag #stoppwatchingus rund.

  • 2
    2kleine

    Naja der Kampf ist ja wohl verloren... Ich dachte die Internetheinies sind alle so kreativ und alles was ich lese sind Demos hier Demos da. Das juckt doch keinen... Fürs Internet im Internet. Ich meine da stellen die Kinder ja mehr auf die Beine bei Facebook und Konsorten. Aber ich finde es hier auch ein bisschen schwach von den Journalisten. Vielleicht nicht immer nur informieren sondern auch mal -gemeinschaftlich- etwas organisieren?! Ich hatte mal einen Traum von 1000000 deaktivierten Amaz Konten. Aber ich glaube alle sind schon sowas von Kapitalismusvergewaltigt das sowas unmachbar.

  • S
    Sam

    »Was ist, wenn die Dimension des Problems allen klar zu sein scheint, aber das Problem nicht so richtig? Ist es die Verletzung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung?«

     

    Gibt es das denn noch, das Recht auf informelle Selbstbestimmung? Der Chaos-Computer-Club (CCC) lieferte bereits 2012 in einem Videobeitrag zur »automatisierten staatlichen Überwachung« Antworten: http://media.ccc.de/browse/congress/2012/29c3-5397-de-en-indect_verhaltenserkennung_h264.html

    (Am Anfang gibt es kurz technische Probleme, bitte nicht abschrecken lassen, der Beitrag über "Indect, Verhaltenserkennung & Co" ist überaus sehenswert. Ebenso wirft es die Frage auf, wieso Steuerzahler dafür zahlen ...)

     

    Nach meiner Ansicht befassen sich die Medien viel zu selten mit den Folgen einer ausufernden Überwachung, die für sich in Anspruch nimmt oder nehmen will, »abnormales Verhalten« zu unterbinden. Was ist abnormales Verhalten und wie soll es wann bestraft werden? Oder darf ich mir das dann so vorstellen: http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/576058/Kein-Herz-fuer-boese-Kinder

  • Ich finde es eigentlich immer nur Schade hatte neulich einen interessanten Fernsehbeitrag gesehen, wo unter anderem auch eine kurze Bürgerumfrage auf der Straße gemacht wurde . Die Aussagen waren ernüchternd... Man bekam zu hören so etwas wie hab andere Sorgen oder kann man eh nichts tun usw...Ich verstehe nicht wie manchen unsere Grundrechten salopp gesagt am Hintern vorbeigehen.... Das Herr Snowden alles für diese Aufdeckung aufgegeben hat sein ganzes altes Leben.. und dann bekommt man so etwas zu hören... das kann ich nicht nachvollziehen... Auch was mit Herrn Manning passiert ist... es scheint als herrsche da auch kaum Verständnis für seine mutige Tat ....Aber das jeder das Recht hat seine Grundrechte zu schützen ist das allen überhaupt bewusst? Ich halte das alles für sehr gefährlich diese ganze Entwicklung der Ignoranz ...

     

    Wenn die Politik nicht reagiert oder reagieren will ist das eine Sache aber warum nicht das Volk?

     

    http://www.change.org/de/Petitionen/heben-sie-edward-snowden-in-den-status-eines-fl%C3%BCchtlings

  • AC
    Anonymous Coward

    T:"Was meinen Sie? Hat die Netzbewegung ihre große Stunde verschlafen? Oder kommt sie erst richtig in Fahrt?"

    Die die es interessiert, haben sich die letzten Jahrzehnte als Aluttragende Verschwörungstheoretiker

    und antiamerikanische Panikmacher anpöbeln lassen und gelernt, dass die Mehrheit sich einen feuchten Kehricht um derlei Probleme schert.

     

    T:"Braucht sie einfach noch Zeit, um sich zu professionalisieren und Lösungen zu finden?"

    Die die sich professionalisiert haben und Lösungen gefunden haben, wurden entweder marginalisiert, eingesperrt oder haben sich ganz pragmatisch selbst korrumpieren lassen und arbeiten jetzt für den privaten Überwachungssektor.

     

    T: "Und kann man überhaupt auf die Politik hoffen oder sollte man sich eher selber im Datenschutz üben?"

    Das meinen sie doch hoffentlich nicht ernst, oder?

  • Am 7. September 2013, 13:00 Uhr

    in Berlin, Potsdamer Platz ist Demo: Freiheit statt Angst!

     

    Einen Überwachungsstaat kann man nur machen, wenn ihn die Menschen im Staat akzeptieren. Wenn sie akzeptieren, keine Bürger mehr zu sein, sondern Untertanen.

     

    Das Perfide: je höher der finanzielle Druck wird, je deutlicher die politischen Parteien zeigen, dass es egal ist, wen von ihnen man wählt (wenn man nicht die Linkspartei oder die Piraten wählen möchte), je mehr man also den Menschen ihre Machtlosigkeit vor Augen führt, desto mehr resignieren sie.

     

    Wenn ihre Empörung am dringensten in der Demokratie gebraucht würde, lassen sie sich einschläfern.

     

    “Die da oben machen sowieso was sie wollen” ist die Kernaussage der “Alternativlosigkeit” der Kanzlerin. Das ist gelogen, denn sie machen es nur, wenn das Volk mitspielt.

     

    Und das Volk spielt mit, weil es daran glaubt.

     

    Und so ändert sich nichts.

  • Einer öffentlichen Gefahr begegnet man mit einem politischen Projekt, nicht mit privater Kryptographie. Die Antwort auf die Geheimdienstattacke eines ausländischen Staats soll ein Volk von Geheimagenten sein, das deren verdeckte Geheimdienstmethoden als seine privaten Schutzmaßnahmen fortschreibt? Rette sich wer kann: das wäre der Staatsbankrott, die Auflösung der Staatsangelegenheiten in Privatinitiativen, private Bürgerwehren statt Staatsaktion.

    Wenn jeder Tor benutzt, statt wie bisher nur die elitären Snowdens, Dissidenten und Schwerverbrecher, funktioniert dann noch das Internet oder stehen alle im Stau?

    Wenn der einzige Schutz der Grundrechte in der systematischen Anonymisierung besteht, muss diese als nationales Projekt betrieben werden, statt als elitäre Privatangelegenheit.

  • G
    gast

    Man hat wohl das Interesse verloren. Kann aber auch sein, das sich Snowden an die Aussage Putins halten muss, er sonst ausgeliefert würde. Deutschland war ja zu feige ihn aufzunehmen, wegen der amerikanischen "Freundschaft" oder anders gesagt wegen wirtschaftlicher Nachteile.

     

    Jetzt werden die in Amerika natürlich permanent das Netz kontrollieren und wenn sie was finden ist es weg auch Aufrufe zu Demos für Snowden.

  • SA
    Simon Arbitrage

    Ich bin für mich im bürgerrechtlichen Kampf für ausgewogene Darstellungen und Sicherung individueller Freiheit, die mehr den je durch den Staat und hetzerische Presse von Links (insbesondere!) und Rechts gefährdet ist. Daher sichere ich mir meinen Arsch erstmal selbst, für alles weitere und Anhänger auch Snowdens Philosophie, dem Libertarismus, gibt es Basisbewegungen, die konsequent jeglichen Staat und Sozialismus ablehnen. Insbesondere seit die Piratenpartei zur Lobbyorganisation von DGB, Neo-Marxisten und Co geworden ist, wird die Politik und Masse an, man muss es leider sagen, Hippies, auch in dieser Szene noch weiter umgangen. Für diese gibt es bei der freiwilligen Degeneration leider sowieso keine Hoffnung mehr.

     

    TOR und Co sind übrigens nur Scheinlösungen für die Pseudos.