Netlflix-Serie „Eric“: Versöhnung mit den Monstern
In der Netflix-Serie „Eric“ wird das Monster in uns nicht wie so oft weggesperrt – eine zeitgemäße Darstellung vom Umgang mit eigenen Dämonen.
Monster zur symbolischen Projektionsfläche für destruktive Anteile in Filmfiguren zu nutzen, ist ein naheliegendes Vorgehen – das, was in uns wütet und tobt, wird greifbar, sichtbar und nicht zuletzt besiegbar. Es (die Sucht, die Aggression, das Trauma) wird zum benennbaren Gegner, zum von der Figur abgespaltenen Feind, der, einmal besiegt und an seinen Platz zurückgewiesen, Ruhe gibt und der Integrität der Filmfigur nichts anhaben kann.
In „The Babadook“ (2014) etwa kämpfen Mutter und Sohn gegen das Trauma an, das der Tod des Ehemanns und Vaters bei einem Autounfall auslöste. Als das Monster in den Keller verbannt wird, beginnt die Heilung. So weit, so überholt. Unsere inneren Monster verschwinden nicht, und lassen sich schon gar nicht mal eben in Kellerräume einsperren.
Dem Psychiater Carl Gustav Jung wird die Aussage „Wogegen du dich wehrst, bleibt bestehen“ zugeschrieben. Die von ihm so bezeichneten „Schatten“, die schädlichen, unliebsamen Realitäten unseres Inneren, müssen, so die These der von ihm begründeten analytischen Psychologie, angesehen und konstruktiv behandelt, nicht bekämpft werden.
Der BAFTA-prämierten Drehbuchautorin und Dramatikerin Abi Morgan („Shame“, „Die Eiserne Lady“) und ihrer neuen Miniserie „Eric“ ist nun zu verdanken, dass dieser versöhnliche Umgang mit Monstern auf unsere Bildschirme rückt.
Der neunjährige Edgar verschwindet auf dem Weg zur Schule. Sein Vater Vincent (Benedict Cumberbatch), Erfinder eines Puppentheaters für Kinder, schwerer Alkoholiker und dysfunktionales, cholerisches Familienoberhaupt, versinkt in Selbstvorwürfen, Scham und Verzweiflung. Während seine Frau (Gaby Hoffmann) die Polizeiarbeit zu unterstützen versucht, verliert sich Vincent in dem Zwangsgedanken, er müsse für Edgars Wiederkehr das Monster auf die Bühne bringen, das sein Sohn vor seinem Verschwinden immer wieder gemalt hat: Eric.
Schwerfällig, blau, strubbelig
Eric ist allerdings, und das ist der große Verdienst und die herausragende Originalität dieser Serie, keinesfalls ein echtes Monster. Er ist ein Monster, wie Kinder es malen – groß, schwerfällig, blau, strubbelig. Er ist, so erklärt es Vincent, „der Schatten, der hinter uns allen lauert und gleichzeitig das Allerbeste und das Allerschlimmste in uns. Er ist das Monster, das uns begleitet.“
Eric wird zu Vincents wichtigstem Komplizen auf der Suche nach seinem Sohn, zum schlimmsten inneren Feind und verlässlichsten Begleiter zugleich. „Wir zeigen keine Schädlinge und Abflusskanäle, wir zeigen den grünen Park und die Skyline“, erklärt Vincent zu Beginn der Serie im Filmstudio seiner Kindersendung und muss im Verlauf der Episoden lernen, dass ein Nichthinsehen nichts löst. In fast überdeutlicher Analogie muss das New York der 1980er, Schauplatz der Serie, die verdrängt geglaubten Abgehängten der Gesellschaft, die Wohnungslosen, die unterirdisch in U-Bahn-Schächten leben, endlich wahrnehmen, und die von Homophobie und Rassismus zerfressene Polizei ihren Dreck ans Tageslicht holen.
„Eric“, sechs Folgen abrufbar auf Netflix
Neben dem Verschwinden des kleinen, weißen Edgars wird konsequent ein weiterer Erzählstrang rund um den ebenfalls verschwundenen, von der Öffentlichkeit allerdings kaum beachteten Schwarzen Marlon und den Schwarzen, homosexuellen Hauptkommissar Ledroit (unaufdringlich und hervorragend gespielt von McKinley Belcher III), der täglich homophobe Demütigungen ertragen muss, entwickelt.
Eric verschwindet genauso wenig, wie Heilung ein linearer Prozess ist. Er bleibt bis zur letzten Szene. Eine zeitgemäße und endlich nicht länger euphorisierte Darstellung vom Schrecklichen in uns und von einer realistischen Weise, sich zu ihm zu verhalten. Jung hätte seine helle Freude an dieser Serie gehabt.
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