Netflix-Dokuserie „Vendetta“: Episch wäre besser gewesen

Auch Mafia-Storys kann man überdramatisieren. Das zeigt die Dokuserie „Vendetta“ über einen eigentlich spannenden Aspekt sizilianischer Politik.

Filmausschnitt: Mann mit Schnauzer in Kameralinse gespiegelt

Still aus der Netflix-Serie-Vendetta Foto: Netflix

Diesen Herbst waren gefühlt – beziehungsweise über die sozialen Medien geteilt – alle im Urlaub auf Sizilien. Wenn das dazu beiträgt, die gebeutelte Ökonomie der größten Mittelmeerinsel zu stabilisieren, dann ist das ja nur gut. Bekannt war Sizilien in den letzten Jahrzehnten weniger als Fluchtort vor kalten Nordwinden denn als Heimat der Mafia, der Cosa nostra; und wenn wiederum eine Dokuserie auf Netflix dazu beiträgt, dieses Bild nicht einfach wegzuwischen, sondern die Linien feiner zu zeichnen, dann ist das ja schon viel.

„Vendetta“ erzählt von zwei Menschen, deren Ziel im Leben es immer gewesen ist, Protagonisten zu sein: vom Journalisten Pino Maniaci und der ehemaligen Richterin Silvana Saguto. Ehemalige, weil Saguto aus dem Corps der italienischen Richter und Staatsanwälte (auf Italienisch zusammen „magistrati“) ausgeschlossen worden ist. Sie war eine mächtige Juristin in Palermo, verwaltete die beschlagnahmten Güter der Mafia oder eben Güter, bei denen sie einen solchen Besitz oder eine solche Einflussnahme vermutete.

Pino Maniaci wiederum ist ein self-made Anti-Mafia-Journalist, über dessen durchaus trashigen Privatsender Telejato die taz wiederholt berichtet hat, über Silvana Saguto hingegen noch nie. Maniaci und Saguto liefern sich in der sechsteiligen Serie einen dramatischen Schlagabtausch, der für das Publikum aus dem Norden schnell etwas von Kasperlethater hat – nach dem Motto: Du hast angefangen – nein, du!

Das liegt daran, dass die ernsteste Frage der Angelegenheit deutlich zu kurz kommt – nämlich wer auf welche Weise von der Beschlagnahme des Mafiavermögens illegal, aber eben auch formaljuritisch legal profitiert. Eine Kritik, die auch die italienische Diskussion über die Netflix-Produktion prägt.

„Vendetta: Wahrheit, Lügen und die Mafia“, sechs Folgen, bei Netflix

Dieser Punkt aber wäre entscheidend für echten Wissenstransfer: Follow the money war die Methode der von der Mafia 1992 ermordeten „magistrati“ Giovanni Falcone und Paolo Borselllino, die zusammen mit dem ebenfalls vom Mob ermordeten kommunistischen Politiker Pio La Torre das nach ihm benannte Gesetz durchsetzen, welches die Beschlagnahme erst möglich machte.

Wer aber nun diese enormen Vermögen (Geld, Immobilien, Industriebetriebe) verwaltet – und wie die konfiszierten Liegenschaften zum Nutzen der Gemeinschaft betrieben werden können, ist ein riesiges Problem. Darüber stolpert Richterin Saguto. Wer sie stolpern lässt, ist Journalist Maniaci, der wiederum ganz andere Probleme hat, die er auf typisch derbe Art zusammenfasst: „Wenn man gern fickt, kann man dann nicht mehr anti Mafia sein?“

Maniaci ist privat kein Saubermann, sondern einer, der, wie sein Anwalt sagt, auch ein kleiner Gauner hätte werden können, wenn ihn sein Ego nicht nach vorne, in die Öffentlichkeit gepeitscht hätte. Man muss sich also die Rosinen rauspicken, bei „Vendetta“, aus dem Dramatischen eher das Epische ziehen. Nämlich die lange Geschichte des sizilianischen Freiheitskampfs, mit all seinen Irrungen, grauenhaften Tragödien, Farcen und endlosen Prozessen. Hinfahren will man danach weiterhin. Womöglich bloß mit einem wacheren Blick.

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