Netanjahus Pläne für das Westjordanland: Ein bisschen annektieren
Obwohl von Trump unterstützt, würde Netanjahu mit den geplanten Annexionen außenpolitisch viel riskieren.
B enjamin Netanjahu legt es augenscheinlich darauf an, das Jordantal und die Siedlungen im besetzten Westjordanland zu annektieren. In wochenlangen Verhandlungen rang er seinen Partnern der neuen Großen Koalition die Zustimmung zu dieser Ausnahme in der „Notstandsperiode“ von sechs Monaten ab, in der sonst keine Gesetzinitiativen ohne direkten Bezug zu Corona vorangetrieben werden dürfen. Ab dem 1. Juli steht die Annexion auf der Agenda der Knesset.
US-Präsident Donald Trump lieferte Israels Ministerpräsidenten die Vorlage, als er Ende Januar den Jahrhundert-Friedensplan für den Nahen Osten präsentierte. Nie war also die Lage für Netanjahu günstiger, um die Zweistaatenlösung endgültig zu Grabe zu tragen. Und wer weiß, wie lange sein amerikanischer Freund noch den Ton im Weißen Haus angibt. Trump garantiert Netanjahu nicht nur Rückendeckung bei der Annexion von Teilen des palästinensischen Landes. Er treibt ihn sogar dazu an in der Hoffnung, daheim noch die ein oder andere Wählerstimme zu retten, die ihm infolge seines zögerlichen Vorgehens in der Coronakrise abhandengekommen sein mag. Aber das ist Trumps Problem – nicht Netanjahus.
Ungewohnt heftige Töne
Vom gefährlichen Virus und dem bevorstehenden Beginn des Korruptionsprozesses abgesehen, läuft es grade ganz gut für Israels mächtigsten Politiker. Die Palästinenser sind überwiegend friedlich, der Siedlungsbau geht ohne nennenswerte Kritik aus dem Ausland forsch voran, und die Beziehungen zu einigen arabischen Ländern werden infolge der iranischen Ambitionen auf die Atombombe immer enger.
Warum also all das aufs Spiel setzen? Vor den heimischen Richtern wird Netanjahu auch der geplante Landklau nicht retten.
Für viele EU-Mitgliedstaaten würde Netanjahu – so viel zeichnet sich im Vorfeld des für Freitag geplanten Ministertreffens ab – mit der Annexion palästinensischer Gebiete eine rote Linie überschreiten. Schon sind konkrete Strafmaßnahmen im Gespräch, erschwerte Handelsbedingungen und die Unterstützung laufender Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs gegen Israel. Frankreich zeigte sich besonders erbost und kündigte an, dass eine Annexion „schwerwiegende Konsequenzen“ nach sich ziehen werde. Das sind ungewohnt heftige Töne.
Auf der anderen Seite könnte sich im kommenden November die Stimmung im Weißen Haus radikal ändern. Noch hält Trump Netanjahu den Rücken frei. Joe Biden hingegen wird eine Annexion mit allen Mitteln zu verhindern versuchen. Wie will Netanjahu seinen Wählern erklären, dass er das Trump'sche Angebot verschmähte? Denkbar wäre ein Mittelweg: nicht alle Siedlungen, sondern nur die Blöcke, die Israel durch einen Gebietstausch mit den Palästinensern ausgleichen könnte, ohne die Idee der zwei Staaten gleich komplett ad acta zu legen. Den Kuchen kosten und doch noch irgendwie ganz lassen.
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