Nervige Hobbyfotografie: Diese Lebenshaltung widert mich an
Alles wird heute fotografiert, damit man es sich später immer wieder ansehen kann. Dabei liegt der Wert des Lebens in seiner Vergänglichkeit.
P flanzen- und Tierarten sollen schon ausgestorben sein, wegen der Hobby-Fotografen, erklärte der Sprecher des Nationalparks Harz die Tage. Das liegt an der Unbescheidenheit der Leute, sage ich. Das ist ein zurückhaltender Ausdruck für das, was ich meine. Kaum etwas geht mir so auf die Nerven wie diese irrsinnige Fotografiererei an allen Orten zu allen Zeiten überall und ohne Rücksicht auf Tiere, Pflanzen, Menschen.
Was es auch zu sehen gibt, es wird nicht gesehen, es wird fotografiert. Das Sehen allein reicht nicht mehr aus, allein etwas Schönes und Besonderes anzusehen, das ist überhaupt nichts mehr wert. Man muss es fotografieren.
Wozu? Um es zu Hause noch einmal anzusehen. Auf einem Bildschirm. Auf einem Ausdruck. Sieh mal einer an. Das ist doch wirklich da gewesen, ich kann es mir auf meinem Bildschirm ansehen. Da liegt der Wert, im Unvergänglichen, im Abbild.
Ich weiß nicht, ob den Leuten nicht klar ist, dass der Wert allen Lebens in erster Linie in der Vergänglichkeit liegt. Die Schönheit liegt im Vergänglichen, die Liebe, es ist ja alles nur ein Augenblick. Den wir verderben, indem wir ihn nicht mit allen Sinnen genießen, weil wir damit beschäftigt sind, ihn bestmöglich festzuhalten, ihn zu katalogisieren, mit ihm anzugeben, ihn zu instrumentalisieren, für unsere Selbstdarstellung zu nutzen, ihn auszubeuten und all den anderen Scheiß.
Und es ist ja nicht nur das. Wenn wir in den sozialen Netzwerken zu Hause sind, kennen wir beinahe alles schon. Wir haben diesen einsamen See im Harz ja schon gesehen, bevor wir ihn selbst erwandert haben, und komischerweise war er da viel blauer und der Himmel war so dramatisch und dann gab es da dieses kleine Tier, dass dann gar nicht da ist, wenn wir selbst wirklich einmal an diesen See gelangt sind.
Und so schleicht sich Enttäuschung in unser Leben, das, einmal selbst gelebt, sich nur noch als eine enttäuschende Kette schlechter Kopien der Instagrammmomente anderer entpuppt.
Als ich jung war, hat kaum jemand die Natur fotografiert, der nicht wirklich Fotograf war. Man hat die Oma fotografiert, die Freunde, man hat dann vielleicht das eine Foto an dem einen Ort gemacht, wo aber meist auch die Familie mit drauf war, und das war dann das Foto vom Urlaub. Meinetwegen hat man auch 30 oder 90 Fotos gemacht.
Aber jetzt gibt es Hunderttausende von Fotos, weil ununterbrochen fotografiert wird. Niemals wird man sich, als alter Mensch, irgendwann hinsetzen können und sein Leben anhand von Fotos an sich vorbeiziehen sehen können. Es sind ja viel zu viele und wir bräuchten noch ein zweites Leben, um all unsere Fotos noch einmal ansehen zu können.
Und deshalb mache ich nur noch sehr wenige Fotos. Es widert mich an, diese Lebenshaltung widert mich an. Ich glaube nicht, dass jemals schon in solchem Umfange und so hemmungslos geprahlt wurde wie heute. Prahlen ist nichts mehr, wofür man sich schämt, Prahlen ist eine akzeptierte Lebenshaltung.
Donald Trump ist ein großer Prahler, die meisten Instagrammer, Youtuber und sofort, sie sind alle große Prahler*innen, und das ist was Gutes, das ist was Normales, das ist unser Style. Mich wundert es nicht, dass im Harz die Menschen über Absperrungen klettern, Biotope tottrampeln, geschützte Bereiche zerstören, mit diesen beknackten Drohnen die Vögel verstören, deren Unversehrtheit ist einfach nichts, das ihnen etwas bedeutet, weil es nichts mit ihnen zu tun hat. Mit ihnen zu tun haben nur die Dinge, mit denen sie prahlen können.
Das ist unsere hemmungslose, anstandslose Zeit. Mich wundert es immer noch, und da bin ich vielleicht überholt, alt eben, dass so viele Menschen sich überhaupt nicht dafür schämen. Scham scheint in diesem Bereich gar nicht mehr vorzukommen. Rücksicht. Respekt. Wir haben ja nur noch so wenig Natur, so wenige wirklich geschützte Flächen hier in Deutschland.
Das ist was Großes, was Wichtiges, und wenn man das nicht versteht, dann ist man ein Mensch, der gar nichts versteht und der aus diesem Grund auch niemals ein gutes Bild machen und niemals die Natur wirklich erleben wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Bisheriger Ost-Beauftragter
Marco Wanderwitz zieht sich aus Politik zurück