Neonazis wegen Mordes vor Gericht: Motiviert von Schwulenhass
Christopher W. stirbt am Güterbahnhof in Aue, totgeschlagen von drei jungen Männern. Demnächst könnte das Urteil gegen sie fallen.
Was folgt, ist ein Martyrium, zwanzig Minuten lang. Ermittler rekonstruierten es – es sind kaum erträgliche Beschreibungen. Sofort, nachdem Christopher W. eintrifft, soll ihm Stephan H. mit der Faust ins Gesicht geschlagen haben. Dann habe auch Terenc H. zugetreten, Jens H. habe ihm mit einem Aluminiumstück eine tiefe Schnittwunde im Gesicht beigebracht. Das Trio wirft Christopher W. in einen 1,80 Meter tiefen Schacht, soll hinterhergesprungen sein und auch dort auf ihn eingeschlagen haben. Mit einer Lampenröhre wird ihm ins Gesicht gestochen.
Als Christopher W. immer noch lebt, habe das Trio ihn wieder aus dem Schacht gezogen, so die Ermittler. Mit einer Glasscherbe hätten sie W. den rechten Unterarm aufgeschlitzt und ihn dann mit dem Gesicht auf die Schachtkante gelegt. Terenc H. und Stephan H. hätten auf den Kopf des 27-Jährigen eingetreten. Dann hätten sie ihn zurück in den Schacht geworfen und dort mit einer Türkante auf ihn eingeschlagen. Bevor das Trio den Sterbenden zurücklässt, macht es noch ein Foto von ihm, das einer der Angreifer später an Bekannte verschicken wird. Christopher W. erliegt noch am Tatort einer Hirnzertrümmerung.
Es ist eine beispiellos grausame Tat. Und eine, die die Bundesregierung als rechtsextremen Mord einstuft – als den einzigen im Jahr 2018. Weil, so formulieren es die Ermittler, sich mindestens einer der Angeklagten auch „an der bekannten Homosexualität des Geschädigten störte“.
Das 85. Opfer seit der Wende – oder das 195.?
Damit ist Christopher W. nach Zählung der Bundesregierung das 85. Todesopfer durch rechte Gewalt seit der Wende im Jahr 1990. Unabhängige Opferverbände notieren indes weit mehr Fälle: Nach ihrer Listung ist Christopher W. der 195. Mensch, den Rechtsextreme seitdem getötet haben. Und sie dokumentieren für 2018 auch über diesen Fall hinaus eine Reihe schwerer Gewalttaten von Rechtsextremen – und eine anhaltend hohe Gefahr der Szene. Ihre Jahresbilanz wollen sie am Dienstag in Berlin präsentieren.
Der Fall Christopher W. wird dabei einen grausigen Tiefpunkt darstellen. Der 27-Jährige arbeitete als Koch, Bekannte beschrieben ihn als „Sonnenschein“, aber auch als Mobbingopfer. Mit zwei der jetzt Angeklagten – Terenc H. und Jens H. – war W. befreundet. Die Männer müssen sich mit Stephan H. für die Tötung seit einigen Wochen vor dem Landgericht Chemnitz verantworten. Kommende Woche könnte das Urteil fallen.
Die drei Angeklagten, 22 bis 27 Jahre alt, sind in vielfacher Hinsicht Gescheiterte. Sie sind allesamt arbeitslos, überschaubar intelligent, Drogenkonsumenten, teils mehrfach vorbestraft. Einer lebte in einem betreuten Wohnprojekt. Das Trio interessierte sich für Fußball und getunte Autos. Ihr Tagesverlauf sah meist so aus: Man traf sich draußen, hing ab, soff – und auch Christopher W. war regelmäßig dabei. „Christopher, ich vermisse dich“, schrieb Terenc H. nach dem Mord auf Facebook. Dann nahm ihn die Polizei fest.
Keine organisierten Neonazis – aber doch Rechtsradikale
Das ist die eine Seite. Aber es gibt noch eine andere. Denn Jens H. posiert auch auf einem Foto im Pullover der Rechtsrock-Band „Landser“. Zu den 27 Vorstrafen von Terenc H. zählt auch, dass er vor Jahren antisemitische Parolen schwang und öffentlich ein Hakenkreuz-Tattoo auf seiner Brust zeigte.
Auch Stephan H. trug früher ein solches Tattoo, in seinem Wohnheimzimmer soll er laut Zeugen Rechtsrock gehört und dieses einschlägig dekoriert haben. Auf seiner Facebookseite prangen bis heute SS-Symbole und ein Reichsadler. Die drei sind keine organisierten Neonazis – aber welcher Ideologie sie anhängen, verhehlen sie nicht.
Es ist Terenc H., der am Morgen nach der Tat die Polizei ruft. Er habe eine Leiche gefunden, behauptet er. Es sei die seines Freundes. Stephan H. wiederum vertraut sich einer Betreuerin in seinem Wohnheim an. Den Ermittlern bietet sich am Güterbahnhof ein schreckliches Bild: Die Leiche von Christopher W. ist so malträtiert worden, dass sie zunächst nicht identifiziert werden kann.
Im Gerichtssaal schweigt das Trio zunächst. Sie treten in Kapuzenpullovern und kurz geschorenen Haaren auf, den Blick gesenkt. An ihrem Mitwirken an dem Gewaltexzess besteht kein Zweifel. Offen ist nur, wer die antreibende Kraft war – und welches Tatmotiv letztlich ausschlaggebend.
Im Prozess beschuldigen sich die Angeklagten gegenseitig
Die Verteidiger des Trios bestreiten, dass der Antrieb ein politischer war. Terenc H. behauptet im Prozess zunächst, sich an nichts mehr erinnern zu können. Zu betrunken sei er damals gewesen. Später revidiert er die Aussage, lässt seinen Anwalt eine Erklärung verlesen: Die Gruppe habe sich geärgert, dass Christopher W. herumerzählte, dass sie Drogen nähmen. Es habe darauf eine Aussprache geben sollen. Dass diese derart eskalierte, habe er nicht gewollt. Er selbst habe Christopher W. nur eine Ohrfeige verpasst und danach das Geschehen „wie gelähmt“ verfolgt.
Auch die anderen Anwälte verlesen Erklärungen ihrer Mandanten – in denen sich letztlich alle gegenseitig beschuldigen und jeder nur am Rand gestanden haben will. Mal heißt es, Stephan H. habe die Gewalt immer weiter angefeuert. Der wiederum behauptet, Terenc H. habe ihn zu dem Mord angestiftet, weil er Christopher W. loswerden wollte.
Eine spontane Eskalation? Der Versuch, einen unliebsam Gewordenen zu beseitigen? Oder doch etwas anderes? Verteidiger Lang bestätigt, dass sich Stephan H. wiederholt über Christopher W.s Homosexualität mokiert habe, ihn als „Schwuchtel“ beleidigte. Dieser solle ihn nicht „anschwulen“, habe er einmal gesagt. Ein Zeuge berichtet über Stephan H., dass dieser W. einmal aufforderte, aufzuhören „zu tänzeln“ – sonst ramme er ihm eine Flasche in den Hals. Ein anderes Mal habe er gedroht: „Die Schwuchtel ist auch noch dran.“ Schon zuvor habe Stephan H. Christopher W. mit einem Messer verletzt, „aus Spaß.“
Klar ist: Am Ende wurde Christopher W. wie in einem Blutrausch getötet.
Von einer „schockierenden Tat“ spricht Anna Pöhl von der Opferberatung der Regionalen Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie (RAA) in Chemnitz. Pöhl beobachtet den Prozess. „Einer der heftigsten Fälle, mit denen wir zu tun hatten.“ Womöglich sei es eine Mischung aus Motiven gewesen, die zu der Tat geführt hätten, so die Opferberaterin. „Aber eines der Motive war eindeutig ein rechtsextremes.“
Pöhl verweist auf die offensichtliche rechtsextreme Einstellung der Angeklagten. Auch hätten gleich drei Zeugen im Prozess die homophoben Tiraden von Stephan H. bestätigt. „Und auch die Exzessivität der Tat spricht für ein menschenverachtendes Motiv“, so Pöhl. „Wir werten die Tat daher als politisch motiviert.“
Das sieht offenbar auch die Polizei so: Auch sie stufte den Fall als rechtsextremen Totschlag ein. Deshalb landete Christopher W. in der offiziellen Statistik der Todesopfer durch rechtsextreme Gewalt. Auch für die unabhängigen Opferverbände ist es der einzige Todesfall im Jahr 2018.
Der Streit um die Zahl der Opfer rechtsradikaler Gewalt
An anderer Stelle aber klaffen die Zahlen immer noch weit auseinander – wie die Differenz zwischen den offiziell anerkannten 85 Todesfällen durch rechte Gewalt und den 195 Fällen, die die Opferverbände zählen, aufzeigt. Politiker von SPD, Linken und Grünen fordern schon lange, diese Lücke aufzuarbeiten und zu schließen.
Tatsächlich hatten Brandenburg und Berlin dies zuletzt getan und externe Kommissionen beauftragt: In der Hauptstadt wurden darauf 7 Todesfälle nachträglich anerkannt, in Brandenburg waren es 9. Im November 2018 beschloss auch Thüringen, eine unabhängige Untersuchung einzuleiten.
Robert Kusche vom Bundesverband der Beratungsstellen für Betroffene rechter Gewalt fordert, dass auch die andere Länder nachziehen. „Die Differenz zwischen den Zählungen ist so eklatant, dass es dringend eine flächendeckende Nachuntersuchung geben muss.“ Rechte Gewalt müsse auch als solche benannt werden, betont Kusche. „Nur so lässt sich eine wirkliche Auseinandersetzung führen.“
Ein Sprecher von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sagte, die Berichte der Opferverbände über Todesopfer durch rechtsextreme Gewalt nehme man „mit der gebotenen Aufmerksamkeit zur Kenntnis“. Anders als diese Initiativen erfasse die Polizei politisch motivierte Straftaten indes in einem „geregelten Verfahren“. Deshalb könne es durchaus zu „abweichenden Schlussfolgerungen kommen“.
Im Fall Christopher W. bleibt derweil offen, welches Motiv die Chemnitzer Richter in ihrem Urteil als ausschlaggebend für den Mord werten. Verteidiger Uwe Lang bestreitet für seinen Mandanten Terenc H. nicht nur ein politisches Motiv – sondern auch jede Tötungsabsicht: Da sein Mandant Christopher W. nur eine Ohrfeige verpasst habe und den Rest des Geschehens geschockt verfolgt habe, könne man ihm nur eine Körperverletzung und unterlassene Hilfeleistung vorwerfen.
Das zumindest könnte das Gericht anders sehen. Denn wohin das Einprügeln auf Christopher W. schließlich führen sollte, schien den Rechten klar gewesen zu sein. Man solle es „zu Ende bringen“, soll einer von ihnen während der Tat gerufen haben. Christopher W. leistete da längst keinen Widerstand mehr. Aus Angst habe er sich gegen die Gewalt nicht gewehrt, berichtete einer der Angeklagten der Polizei.
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