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Negativer MedienpreisChapeau, Herr Reichelt, aber…

Der Verein Neue Deutsche Medienmacher will den „Bild“-Chef Reichelt auszeichnen. Doch der lehnt ab – mit einer skurrilen Rede.

Bild-Chef Julian Reichelt (links (!)) ließ die Goldene Kartoffel (vorne) einfach liegen Foto: Thomas Lobenwein

Das Nationalgemüse Deutschlands ist jetzt der Namensgeber eines Medienpreises: „Die Goldene Kartoffel“ wurde am Samstag zum ersten Mal verliehen, in einer Bar in Kreuzberg. Ausgelobt wurde sie im Rahmen des zehnjährigen Jubiläums der Neuen Deutschen Medienmacher (NdM), dem Verein, der für mehr Vielfalt in den Medien eintritt.

Lecker und nahrhaft ist die Kartoffel. Sie steht inzwischen nicht nur für Weißdeutsche, sondern, in Form des Medienpreises, auch für „unterirdische Berichterstattung über Aspekte zu der Migrationsgesellschaft“. Die erste „Goldene Kartoffel“ sollte an Julian Reichelt, den Chefredakteur der Bild-Zeitung, verliehen werden. Reichelt ist zwar persönlich erschienen, zeigte sich aber verletzt und nahm den Preis nicht mit nach Hause.

NdM-Vorsitzende Sheila Mysorekar würdigte Reichelt für seine Arbeit mit folgenden Worten: „Bild steht für Unsachlichkeit, Vorurteile und Panikmache, wenn es um die Themen Integration, Migration und Asyl geht, für doppelte Standards in der Berichterstattung über Menschen mit und ohne Migrationshintergrund und für einen stark ethnozentrischen Blick auf unsere Einwanderungsgesellschaft und deren Herausforderungen.“

Dass Julian Reichelt persönlich bei der Preisverleihung erschien und sich die kritische Auseinandersetzung mit seiner Arbeit anhörte, war keine Selbstverständlichkeit. Von daher: Chapeau!

Einige Missverständnisse

Allerdings müssen an dieser Stelle einige Missverständnisse beseitigt werden. Reichelt erinnerte in seiner Rede an eine kleine Anfrage von AfD-Bundestagsabgeordneten. Darin wollten sie von der Bundesregierung wissen, ob und wie sie die Neuen Deutschen Medienmacher finanziell fördere. Reichelt schlug dem Verein vor, kein Geld von der Bundesregierung anzunehmen, wenn man über „guten und schlechten Journalismus“ urteile. Dabei geht es bei der „Goldenen Kartoffel“ darum, dass Journalisten rassistische Vorurteile reproduzieren, nicht um „guten“ und „schlechten“ Journalismus.

Zudem fühlte sich Reichelt rassistisch angegriffen: „In den Brennpunktschulen, wo die Integration keine Erfolgsgeschichte ist, ist Kartoffel eine Beschimpfung, die sich auf Rasse und Herkunft bezieht“, so der Bild-Chefredakteur. Dabei vergisst Herr Reichelt, dass Rassismus eine strukturelle Diskriminierung ist, die von gesellschaftlichen Institutionen, Gesetzen und Normen ausgeht. Menschen, die der Mehrheitgesellschaft angehören, können im Gegensatz zu Minderheiten nicht strukturell benachteiligt werden.

Besonders erwähnenswert ist, dass Reichelt einen geflüchteten Journalisten aus Syrien, Mohammad Rabie, mitbrachte, als Token mit auf die Bühne nahm und ihn die Bild-Zeitung verteidigen ließ. Dass Reichelt einen geflüchteten Journalisten fördert, ist zweifellos eine gute Sache. Das schließt aber eine unsaubere Berichterstattung über Migration, Integration und Asyl genausowenig aus, wie eine Mutter zu haben Frauenfeindlichkeit ausschließt.

Nach seiner Replik verließ Reichelt die Bühne, allerdings nicht die Lokalität, trank türkisches Bier und unterhielt sich mit anderen Gästen. Die glänzende Goldene Kartoffel blieb einsam zurück, gewiss nur bis zum nächsten Jahr.

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11 Kommentare

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  • Da dürfte es einige Brennpunktschulen geben, an denen die "Kartoffeln" in der Minderheit sind...

    Ganz schwache Replik!

    Ich mag die Bild auch nicht, aber viel schlimmer finde ich die fortwährend unterschwellig migrationskritische Berichterstattung auf welt.de mitsamt des gelenkten und nahezu ausschließlich ultrarechten Forums.

  • Rassismus ist also "eine strukturelle Diskriminierung ist, die von gesellschaftlichen Institutionen, Gesetzen und Normen ausgeht"???



    Nach der Definition kann es in der Bundesrepublik überhaupt keinen Rassismus geben und der Neonazi aus Dresden kann erleichtert aufatmen.



    Dass hingegen Rassismus eine eine Ideologie, nach der Menschen aufgrund äußerlicher Merkmale , die auf eine gemeinsame Abstammung schließen lassen, beurteilt werden, gilt wohl nicht mehr? Warum nicht? Nur um entsprechend der eigenen Ideologie behaupten zu können Rassismus = weißer (heterosexueller) Mann?

  • Also den ersten Satz des Artikels kann man tatsächlich nicht unkommentiert lassen, denn:

    Als Nationalgemüse dieses Landes galt schon mmer der Kohl, keineswegs die Kartoffel. Im Verbrauch an Kartoffeln liegt Deutschland in der EU bestenfalls im Mittelfeld.

    Darüber hinaus ist die im Text propagierte Definition von Rassismus in der Tat dumm und falsch und das einzige wofür sie in der Praxis taugt ist, die sogenannte Mehrheitsgesellschaft durch einen Pauschalvorwurf zu beleidigen, was wirklich niemandem weiterhilft.

  • Es gab mal eine Zeit in den 70er und frühen 80er Jahren, da kaufte man eben keine BLÖD und es gab noch Politiker und andere Prominente, die sich weigerten, überhaupt mit Redakteuren der Springerpresse zu reden.

    Ob das nun sinnvoll ist, diese auszuzeichnen, selbst ironisch und denen somit noch mehr Podium zu bieten, wie sie leider eh schon haben, wage ich zu bezweifeln.

    • @Age Krüger:

      Früher - euch beiden - Gemach Gemach

      “…Ein anderer Traum ist in Erfüllung gegangen. Man tritt wider besseres Wissen hinaus auf die Straße, und von allen Litfaßsäulen lacht es einen an:



      HELMUT SCHMIDT SCHREIBT FÜR -BILD -. Wie schön. Aber: Kann man sich drauf verlassen? Bleibt das so?…"



      ? auch klar - Pooh's Corner - H.Rowohlt



      Dis cums right from da heart, paesano



      www.zeit.de/1993/1...er/komplettansicht



      &



      Das Problem heute is ja wohl a Balin.



      Daß die Medienfuzzis am Gendarmenmarkt eben nicht die Straßenseite wechseln. Wenn so Typen ala Sudelpepe Kai Diekmann Mathias Döpfner - oder son Luffi wie hier Entgegenkommen.



      Nö. Da wird in dem Hipster-Bar's rangewanzt - daß die Schwarte kracht.



      &



      Keiner hat den langen Löffel dabei.



      “Wieso denn - Kai die Blase is doch Genosse - Deniz Yücel beie Welt - kerr.



      &



      “+++Vor 25 Jahren rettete die Genossenschaft die taz.



      Heute ist weit mehr bedroht als eine einzelne Zeitung, sagt Mathias Döpfner



      & droht unverhohlen weiter:



      “Und da, ja, liebe taz-Genossen, sind sogar Allianzen zwischen taz und Bild denkbar.



      MATHIAS DÖPFNER - Jau -



      Schreibt in der taz - “Wie schön. Aber: Kann man sich drauf verlassen? Bleibt das so?…" Danke Harry*¡*



      www.taz.de/Archiv-...&SuchRahmen=Print/



      &



      Wann bitte diese Goldene Kartoffel*¿*

      kurz - Wir dürfen gespannt sein. Gell.



      Na - Si'cher dat. Da mähtste so fix nix.



      Normal.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @Age Krüger:

      Ja, ja, früher war alles besser. Oder zumindest anders. Auf alle Fälle: früher.

      Was Ihre Retro-Schau betrifft: neulich sollen sogar Menschen in Schland gesichtet worden sein, die es geschafft haben, ins Rentenalter zu gelangen, ohne jemals einen Pfennig bzw. Cent für ein Produkt des Springer-Verlags verschwendet zu haben.

      Da hielte ich eine Auszeichnung für angemessen.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Wer zum Artikel von Sibel Schick nichts Anderes beizutragen weiß als dass die Rassismus-Definition dumm oder falsch sei, hat den Sachverhalt offenbar nicht wirklich verstanden.

    Die Kernaussagen sind nach meinem Dafürhalten zutreffend. Und die Reaktion von Herrn Reichelt zeigen dies auch. Ich sehe keinen Anlass, deshalb einen Hut zu ziehen.

    Damit ist das Entscheidende gesagt. Mehr Ausmerzsamkeit hat Herr Reichelt wahrlich nicht verdient.

  • 9G
    970 (Profil gelöscht)

    Er ist halt ein Vollprofi: ihm kann die Auszeichnung nichts anhaben und seine Fans werden ihn für seine Rede abfeiern. Das hat Methode bei der Bild. Drum ist Diekmann bei euch ja auch Genosse geworden.

  • Also diese Definition, dass man nicht Rassismus erfahren kann, nur weil man der Mehrheitsgesellschaft angehört, ist ziemlich dumm. Und falsch.

  • Die goldene Kartoffel kann man auch nur ohne jeden Funken Selbstironie und -reflektion als rassistischen Vorwurf an sich selber begreifen. Ein echter Reichelt eben. Da ist auch nicht viel zu erwarten. Aber bei dem Gegenargument hätte ich mir mehr gewünscht:



    Das strukturelle Diskriminierung die Minderheiten trifft, heißt weder, dass Minderheiten nicht auch rassistisch seien können noch das Rassismus nicht jedem Menschen weh tun kann. Der Absatz legt nahe, dass rassistische Abwertung ohne strukturelle Diskriminierung nicht möglich bzw. nicht der Rede wert sei.

  • Naja - de hamburger Jung - ist ja mit zwei nach eigenen Auskünften Journalisteneltern bei LÜGT - mehr als gestraft.



    & aus berufenem Munde mal dess -



    "Der ehemalige Bundesrichter Thomas Fischer attestierte Reichelt im Februar 2018, in Bezug auf angeblich zu große Milde der deutschen Justiz „kenntnisfreie Panikmache und rechtspolitische Scharfmacherei auf sehr niedrigem Niveau“ zu betreiben. Er verwies darauf, dass die von Reichelt bei hart aber fair erhobenen Forderungen (u. a. nach Abschaffung eines Strafrahmens bei Sexualdelikten) in Deutschland zuletzt von 1941 bis 1945 im Rahmen der „Polenstrafverordnung“ praktiziert wurden, und unterstellte ihm „eine ausdrückliche und überlegte Absage an die Europäische Menschenrechtskonvention, das Menschenrecht aus Art. 2 Grundgesetz, den verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“.



    de.wikipedia.org/wiki/Julian_Reichelt



    &



    Damit solls mal sein Bewenden haben.



    Berufsrüpel bei LÜGT & Friede sei mit ihm. Newahr.

    Jau. Tiefer kannste nicht sinken. Liggers.



    Normal.