Nebenklägerin im NSU-Prozess: Abschied eines Phantoms
Im Münchner NSU-Prozess legt ein Nebenklage-Anwalt sein Mandat nieder und muss gestehen: Seine Mandantin hat es „wahrscheinlich“ nie gegeben.
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Nun aber stellt sich heraus: Offenbar saß ein Anwalt die zweieinhalb Jahre unbegründet im Saal. Der Eschweiler Jurist Ralph Willms gestand laut Spiegel Online, dass seine Mandantin Meral K. „wahrscheinlich überhaupt nicht existent“ sei. Ihre Existenz sei von einem anderen NSU-Opfer nur vorgetäuscht worden.
Um seine – vermeintliche – Mandantin hatte es schon länger Fragezeichen im Prozess gegeben. Sie soll vor dem Anschlag des NSU im Juni 2004 in der Kölner Keupstraße ein Restaurant besucht haben. Als die Bombe explodierte, habe sie draußen gestanden und geraucht. Meral K. habe dabei Schnittwunden erlitten. So hieß es bisher.
Wiederholt war Meral K. in den Prozess geladen, um zu den Ereignissen auszusagen – zuletzt am vergangenen Dienstag. Sie erschien aber nie. Anwalt Willms sprach mal von einem verpassten Flug, mal von einem Krankenhausaufenthalt. Ob er dies alles von dem anderen NSU-Opfer „erfuhr“ oder nur erfand, bleibt vorerst offen.
Nicht bemerkt
Richter Manfred Götzl platzte am Dienstag jedenfalls der Kragen. Er stellte Willms eine Frist von einem Tag, um nachzuweisen, was mit Meral K. nun sei. Darauf, so Spiegel Online, habe Willms am Freitag sein Mandat niedergelegt und das Oberlandesgericht München um eine Entbindung aus dem Prozess gebeten. Gleichzeitig habe er Anzeige gegen das NSU-Opfer gestellt, dasihm Meral K. „vermittelte“.
Warum Willms aber über zweieinhalb Jahre lang nicht bemerkte, dass seine Mandantin „wahrscheinlich nicht existent“ ist, bleibt offen, eine taz-Anfrage ließt der Anwalt vorerst unbeantwortet. Eine Sprecherin des Oberlandesgerichts sagte, dem Senat liege noch kein Schreiben von Willms vor. Der Anwalt saß bis Januar 2014 auch für die CDU im Stadtrat Eschweiler. Er legte dieses Amt mit Verweis auf die Belastung durch den NSU-Prozess nieder.
Der Fall bringt erneut die Nebenkläger-Vertreter zum Anschlag in der Kölner Keupstraße in die Diskussion. Ein Zeuge hatte vor Gericht berichtet, er sei von einem Anwalt regelrecht bedrängt worden, ihn als Nebenklage-Vertreter zu engagieren. Er habe das abgelehnt. Zudem versuchte im Frühjahr die Zschäpe-Verteidigung den Nebenklage-Anwalt Alexander Hoffmann auszuschließen, weil dessen Mandantin keinen „nachweisbaren Schaden“ erlitten habe.
Die Frau litt unter Panikattacken, ein Arzt konnte aber keinen sicheren Zusammenhang zu dem Anschlag herstellen. Hoffmann bekundete dagegen, es gehe darum, ihn „rauszuschießen“. Er gilt als einer der engagiertesten und streitbarsten Nebenklage-Anwälte. Bei dem Anschlag in der Kölner Keupstraße wurden 22 Menschen verletzt, vier davon schwer. Der NSU-Prozess wird am Mittwoch fortgesetzt.
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