Nazisymbole in Videospielen: Nazis als Nazis zeigen
Familienministerin Giffey legt Einspruch ein gegen die Verwendung von Nazisymbolen in Computerspielen. Ihre Argumente überzeugen nicht.
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) ist aus der Sommerpause zurück und hat in ihrer Rolle als oberste Jugendschützerin gleich eine Ermahnung auszusprechen: „Mit Hakenkreuzen spielt man nicht“, sagte sie am Donnerstag der Funke Mediengruppe und reagierte damit – über drei Wochen später – auf eine Regeländerung der Prüfstelle Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK).
Die USK ist für die Jugendfreigabe von Videospielen zuständig und hat bereits Ende Juli festgelegt, dass verfassungsfeindliche Symbole wie Hakenkreuze in Zukunft in Games auftauchen dürfen: Unter der Bedingung, dass sie „der Kunst oder der Wissenschaft, der Darstellung von Vorgängen des Zeitgeschehens oder der Geschichte“ dienen. Die Branche freut sich, denn ihr Medium wird damit als Kunst anerkannt: In Filmen oder Theaterstücken sind derartige Symbole bereits erlaubt.
Das erste Spiel, das Hakenkreuze zeigt, nennt sich “Through the Darkest of Times“ und wurde Mittwoch auf der weltgrößten Spielemesse Gamescom vorgestellt (die taz berichtete). Und erregte ausreichend mediale Aufmerksamkeit, um die Politik zu erreichen.
Der israelische Botschafter in Deutschland twitterte, er sei geschockt über die Hakenkreuze, eine Sprecherin der Unionsfraktion nannte Videospiele als nicht angemessen, um sich mit Nationalsozialismus zu beschäftigen und Giffey reagierte mit einem moralischen Appell: “Gerade in Deutschland müssen wir uns auch heute unserer besonderen historischen Verantwortung immer bewusst sein.“
Fortgesetzte Ignoranz
So weit, so selbstverständlich – jedoch lassen die Aussagen Giffeys und ihrer Unionskollegin den Schluss zu, dass sie sich mit “Through the Darkest of Times“ und der erzählerischen Tauglichkeit von Videospielen bisher nicht besonders eingehend auseinandergesetzt haben.
Das Indie-Game eines kleinen Berliner Entwicklerstudios befasst sich mit dem zivilen Widerstand im Zweiten Weltkrieg. Die ProtagonistInnen sind angelehnt an eine Gruppe mit etwa 100 Mitgliedern, die von der Gestapo zum Netzwerk “Rote Kapelle“ gezählt wurde.
Ziel des Spiels ist es, die Moral der Gruppe aufrechtzuerhalten und das Netzwerk nicht auffliegen zu lassen. Die Handlung setzt ein nach Hitlers Machtergreifung, zu jeder Etappe gibt es vorab eine geschichtliche Einführung. Mit dem Spiel wollen die Entwickler ein Bewusstsein schaffen für die Unterdrückung Oppositioneller in Nazideutschland und für die Dynamiken, die sich in einer Widerstandsgruppe entfalten können.
Dafür braucht man nicht zwangsläufig Hakenkreuze. Jedoch fielen unter die verbotenen Symbole bisher auch der Hitlergruß, SS-Uniformen und Abbildungen Adolf Hitlers. Entwickler wie die von “Through the Darkest of Times“ waren dadurch gezwungen, Nazis zu verharmlosen: Als unscharfe graue Männer ohne Symbole, die ihre Ideologie widerspiegeln.
Herr Heiler?
Die NS-Zeit nachspielen – das an sich kann man geschmacklos finden; unbedingt geschmacklos ist aber, was die bisherige USK-Regelung mit Computerspielen machte, die längst auf dem Markt sind und sich ernsthaft mit der Geschichte auseinandersetzen: In der deutschen Version des antifaschistischen “Wolfenstein II“ hat Hitler vorsichtshalber keinen Schnurrbart und heißt “Herr Heiler“, das Hakenkreuz ist ein Dreieck und jüdische Figuren sind nicht mehr jüdisch. Alles, was auf den Holocaust hindeutet, wurde entfernt. Die lächerliche Karikatur “Herr Heiler“, die ein Regime anführt, das nichts mit Massenmord zu tun hat? In Kritiken wurde das deutsche Wolfenstein II immer wieder als geschichtsrevisionistisch bezeichnet.
Nicht erst seit gestern generieren Jugendliche ihr Wissen über historische Ereignisse auch über Videospiele. Die neue USK-Regelung ermöglicht es Entwicklern, diese in einer Art und Weise darzustellen, die nichts ausblendet.
Reine Kriegsspiele, die die Schrecken des NS-Regimes nicht thematisieren, weil sie den Spielfluss stören könnten oder “nicht unterhaltsam“ sind, sollten nach wie vor keine verfassungsfeindlichen Symbole verwenden dürfen. Die von der USK vorgesehenen Einzelfallprüfungen müssen das gewährleisten, denn, wie die Familienministerin es sagte, “gerade in Deutschland müssen wir uns auch heute unserer besonderen historischen Verantwortung immer bewusst sein.“
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