Nazi-Symbole in Göttinger Wohnhaus: Übermalen gestattet
Das Göttinger Amtsgericht kassiert einen Strafbefehl: Die Staatsanwaltschaft hatte das Übermalen von Nazi-Symbolen als Sachbeschädigung bewertet.
Die Staatsanwaltschaft hatte die nonbinäre Person beschuldigt, „unbefugt das Erscheinungsbild einer fremden Sache nicht nur unerheblich und nicht nur vorübergehend verändert zu haben“ und gegen sie wegen Sachbeschädigung eine Geldstrafe in Höhe von 500 Euro beantragt.
Anlass für die Strafverfolgung war eine zuvor angekündigte Aktion des Bündnisses gegen rechts im vergangenen Dezember. Mehrere Dutzend Aktivist:innen, unter ihnen auch Rudolph, hatten im Treppenhaus des Göttinger Wohnkomplexes Iduna-Zentrum Hakenkreuze mit lila Farbe überstrichen.
Rund 80 dieser Nazi-Symbole waren wenige Monate zuvor mutmaßlich von einem 41-jährigen Mann an die Wände geschmiert worden. Das Iduna-Zentrum ist eine von drei Göttinger Immobilien, die es in den vergangenen Jahren wegen äußerst schlechter Wohnbedingungen immer wieder auch in die bundesweiten Schlagzeilen geschafft haben.
Verwaltung ließ nur provisorisch übermalen
Das Bündnis gegen rechts hatte die in Hannover ansässige Hausverwaltung aufgefordert, die Hakenkreuze zu entfernen. Die Firma ließ die Symbole jedoch nur provisorisch und in ihrer Form übermalen, wenn auch mit weißer statt schwarzer Farbe. Sie blieben als solche sichtbar.
Gegenüber dem Göttinger Tageblatt hatte die Hausverwaltung seinerzeit erklärt, dass für die vollständige Entfernung der Hakenkreuze ein Beschluss der Eigentümer notwendig sei: „Eine endgültige und fachgerechte Beseitigung der Schäden erfordert umfangreiche Sanierungsarbeiten, die mit erheblichen Kosten verbunden sind.“ Eine so aufwendige Maßnahme müsse bei einer Eigentümerversammlung abgestimmt werden.
Im Dezember schritt das Bündnis gegen rechts zur Tat. Mehr als 60 Tage habe man abgewartet, dass die Hausverwaltung die rund 80 Symbole fachmännisch entfernen würde, so Ezra Rudolph. „Wir sind dann zu dem Entschluss gekommen: Am Ende muss man es doch selber machen.“
Die Hausverwaltung stellte nach der Aktion des Bündnisses Ende Januar Strafanzeige gegen Rudolph wegen Sachbeschädigung. Die Staatsanwaltschaft erließ den Strafbefehl – und benannte gleich vier Polizeizeugen, welche die übermalten Hakenkreuze begutachtet und als Sachbeschädigung identifiziert hätten: „Aufgrund eines gemeinsam gefassten Tatentschlusses überstrichen Sie diverse Wände mit deckender violetter Wandfarbe. Dieses war Ihnen seitens der Hauseigentümer nicht gestattet.“
Kein hinreichender Tatverdacht
Das kam beim Bündnis gegen rechts nicht gut an: „Wir waren irritiert, dass es der Hausverwaltung angesichts der offensichtlich prekären Zustände im ihr anvertrauten Wohnkomplex nicht unangenehm war, über Monate an der Anzeige festzuhalten“, sagt Ezra Rudolph. „Ebenso irritiert waren wir, dass die Staatsanwaltschaft augenscheinlich weder Kosten noch Mühen gescheut hat, den Vorwurf zu verfolgen.“
Nach Auffassung des Amtsgerichts lag hinsichtlich des Vorwurfs kein hinreichender Tatverdacht vor. Rudolph habe lediglich bereits bestehende Beschmierungen an den Wänden übermalt, heißt es im Gerichtsbeschluss. Wenn sich wie im vorliegenden Fall das Gesamterscheinungsbild aber nicht „im rechtsgutspezifischen Sinne“ verändere, sei natürlich auch der Tatbestand der Sachbeschädigung nicht verwirklicht.
Dies gelte umso mehr, wenn „offensichtlich verfassungswidrige Inhalte, die vom Eigentümer zu entfernen waren, Gegenstand der (ersten) Beschmierung sind“. In einem solchen Fall sei auch das Recht der Angeschuldigten auf freie Meinungsäußerung betroffen.
Das Bündnis gegen rechts begrüßt den Richterspruch. Die Entscheidung des Amtsgerichts stärke nicht nur das eigene Vertrauen in den Rechtsstaat und seine Kontrollinstanzen, so Rudolph. „Sie stärkt auch alle Menschen, die Verfassungsfeindlichkeit im öffentlichen Raum nicht dulden und Zivilcourage zeigen. Wir hoffen, dass die Entscheidung des Göttinger Amtsgerichts auch in ähnlichen Fällen richtungsweisend sein wird.“
Rudolphs Anwalt Sven Adam findet es „fast ein bisschen bedauerlich, dass das Amtsgericht diese natürlich richtige Entscheidung getroffen hat“. Er hätte in einer mündlichen Verhandlung „viele Fragen an die Hausverwaltung, die Wohnungseigentümergemeinschaft und die Staatsanwaltschaft gehabt“, sagte Adam der taz: „Wer in einem Haus, in dem viele Menschen mit Migrationshintergrund leben, metergroße Hakenkreuze nicht entfernt und stattdessen Menschen verfolgen lässt, die die Hakenkreuze übermalen, gehört selbst auf die Anklagebank.“
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