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Nazi-Schläger seit sieben Jahren unbestraft

Nach einem Angriff auf zwei Journalisten in Fretterode gibt es immer noch kein Urteil gegen die rechtsextremen Täter. Für das Gericht gibt es nun eine Verzögerungsrüge

Angeklagte vor Gericht: Prozessauftakt im ersten Verfahren 2021 Foto: Swen Pförtner/dpa

Von Reimar Paul

Im sogenannten Fretterode-Verfahren gegen zwei Neonazis beklagen Vertreter der Nebenklage erneut eine Hinhaltetaktik des Landgerichts (LG) Mühlhausen in Thüringen. Einer der Göttinger Nebenkläger hat deshalb jetzt eine weitere Verzögerungsrüge gegenüber dem Gericht erhoben.

Im April 2024 hatte der Bundesgerichtshof (BGH) ein weithin als äußerst milde oder sogar als Skandal bewertetes Urteil des Landgerichts aufgehoben und das Verfahren an eine andere Kammer desselben Gerichts zurückverwiesen. Mehr als 14 Monate später ist die Verhandlung aber noch immer nicht neu terminiert.

Im April 2018 hatten zwei Journalisten aus Göttingen im thüringischen Fretterode recherchiert. In dem Dorf nahe der Landesgrenze zu Niedersachsen residiert der Rechtsextremist und „Die Heimat“-(Ex-NPD-)Funktionär Thorsten Heise, seine Familie betreibt dort auch einen Versand für Nazi-Devotionalien. Die Journalisten wurden von den beiden Neonazis entdeckt und, als sie sich mit ihrem Auto zurückziehen wollten, mit einem schwarzen BMW verfolgt. Einer der Rechtsextremisten ist ein Sohn Heises, der andere gilt als sein Ziehsohn.

Es kam es zu einer Verfolgungsjagd durch mehrere Orte. Am Ortseingang von Hohengandern an der Landesgrenze wurden die Journalisten von den Verfolgern eingeholt. Nachdem das Fahrzeug der Reporter in einem Graben landete, griffen die Neonazis Auto und Insassen mit einem Baseballschläger, einem Messer, einem großen Schraubenschlüssel und Pfefferspray an.

Äußerst milde Urteile

Der Fotograf erlitt dabei eine Stichverletzung mit einem Messer im Oberschenkel, sein Begleiter nach einem Schlag mit dem Schraubenschlüssel eine Fraktur des frontalen Schädelknochens und eine Kopfplatzwunde. Die Scheiben des Fahrzeuges wurden zerstört, die hinteren Reifen zerstochen, die Kamera des Fotografen wurde geraubt.

Das Landgericht Mühlhausen hatte die Täter – drei Jahre nach dem Angriff und ebenfalls erst nach Eingang einer Verzögerungsrüge – im September 2022 wegen gefährlicher Körperverletzung lediglich zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung beziehungsweise den Heise-Sohn zu 200 Arbeitsstunden nach Jugendstrafrecht verurteilt. Das Gericht sah damals weder einen gezielten Angriff auf Journalisten noch einen schweren Raub oder ein politisches Tatmotiv als erwiesen an.

Diese Einschätzung war bei der Staatsanwaltschaft und den Nebenklägern auf scharfe Kritik gestoßen. Die Nebenklage hatte eine Verurteilung insbesondere auch wegen schweren Raubes mit deutlich höheren Strafen und insbesondere die Berücksichtigung der neonazistischen Beweggründe bei der Strafzumessung gefordert. Auf die Revision hin hatte der BGH die Beweiswürdigung des Landgerichts Mühlhausen für erheblich fehlerhaft erklärt und das Urteil kassiert. Die Revision des einen Beschuldigten wies der BGH hingegen zurück.

„Die Justiz in Mühlhausen versagt in dem Verfahren“, sagt nun der Göttinger Rechtsanwalt Sven Adam, der einen der beiden Journalisten vertritt. Nach einer derartigen Schelte durch den BGH das Heft nicht unmittelbar in die Hand zu nehmen und die offensichtlichen Fehler aus dem ersten Verfahren schnell auszuräumen sei „peinlich und offenbart, dass unsere Mandanten von der Justiz in Mühlhausen weder Genugtuung noch Schutz zu erwarten haben. Geschützt werden dort Neonazis.“

Gericht sieht keine Schuld

Ob die Nebenkläger angesichts des Verhaltens des LG überhaupt an einer Neuauflage des Prozesses teilnehmen wird, lassen Adam und sein Kollege Rasmus Kahlen offen. „Unsere Mandanten haben aus der starken solidarischen Begleitung des Prozesses und der großen öffentlichen Aufmerksamkeit viel Kraft gezogen“, erklärten die Anwälte am Mittwoch. Sie seien aber auch überzeugt, „dass nach sieben Jahren Verschleppung des Verfahrens ein gerechtes Urteil einer Jugendstrafkammer in Mühlhausen nicht mehr zu erwarten ist.“

Das Gericht weist den Vorwurf der Verschleppung zurück. Ein Sprecher nannte als Grund für die Verzögerung eine Vielzahl eilbedürftigerer Verfahren, insbesondere Haftsachen, sowie zahlreiche ältere, bereits früher anhängig gewordene Fälle. Bei Haftsachen gelte das Beschleunigungsgebot in besonderem Maße. Die Verzögerung im ersten Verfahren hatte das Gericht unter anderem mit der Coronapandemie und personellen Engpässen bei der Justiz begründet.

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