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Nato und RusslandKalter Krieg 2.0

Nach den USA kündigt jetzt auch Russland das „Open Skies“-Abkommen über gegenseitige militärische Beobachtungsflüge.

Vorbei: Eine russische TU-214 über Offutt Air Force Base in Nebraska im November 2020 Foto: Chris Machian/Omaha World Herald/ap

Berlin taz | Russland und die von den USA geführte NATO rutschen immer weiter zurück in den einst als überwunden geglaubten Kalten Krieg. Am Freitag verkündete die Regierung in Moskau den Ausstieg Russlands aus dem „Open-Skies-Abkommen über gegenseitige militärische Beobachtungsflüge, das die 34 Mitgliedsstaaten der NATO und der ehemaligen Warschauer Vertragsorganisation (WVO) 1992 vereinbart hatten. Die Trump-Administration in Washington hatte das Abkommen bereits im vergangenen Jahr wegen angeblicher russischer Verstöße aufgekündigt.

Das 2002 in Kraft getretene Abkommen über „offene Himmel“ war neben dem ebenfalls gefährdeten Abkommen über konventionelle Rüstungskontrolle in Europa (KSE) die wichtigste vertrauensbildende Maßnahme, die die ehemaligen Feindstaaten der Ost-West-Blockkonfrontation nach deren Ende vereinbart hatten. Es erlaubt den 34 Vertragsstaaten militärische Beobachtungsflüge in den jeweiligen anderen Lufträumen, um Informationen über Truppen sowie militärische Einrichtungen und Aktivitäten zu gewinnen.

Die Idee eines solchen Vertrages war bereits 1955 vom damaligen US-Präsidenten Dwight D. Eisenhower der sowjetischen Führung während der Genfer Vier-Mächte-Konferenz vorgeschlagen worden. Die Weiterverfolgung scheiterte jedoch aufgrund sowjetischer Befürchtungen, dass die Beobachtungsflüge zu Spionagezwecken genutzt werden könnten.

Im Mai 1989, ein halbes Jahr vor dem Fall der Berliner Mauer, nahm der damalige US-Präsidenten George Bush sen. die Idee wieder auf. Im Februar 1990 fassten die 35 Aussenminister der NATO und der damals noch bestehenden WVO auf der „Open Skies“-Konferenz in Ottawa den Beschluß, entsprechende Verhandlungen aufzunehmen. Nach dem Ende des WVO und dem anschließenden Zerfall der Sowjetunion wurde im Rahmen der „Konferenz für Sicherheit- und Zusammenarbeit in Europa“ (KSZE) verhandelt.

Gleichgewicht gekippt

Rund 1.500 Beobachtungsflüge fanden bis zum Ausstieg der USA, der nach Ankündigung der Trump-Admininistration vom Mai 2020 im November vollzogen wurde, statt. Zur Begründung führten die USA an, dass Russland der US-Luftwaffe den Überflug über einige Gebiete verweigere, in denen Washington atomare Mittelstreckenraketen vermutet. Zudem behindere Moskau Aufklärungsflüge über die Ostsee vor Kaliningrad und Gebiete in der Umgebung von Georgien.

Die USA seien unter „vorgeschobenen Anschuldigungen“ aus dem Vertrag ausgestiegen, und ihr Rückzug habe „das Gleichgewicht der Interessen der Signatarstaaten erheblich“ kippen lassen, erklärte das russische Außenministerium am Freitag. Vorschläge Moskaus, das Abkommen am Leben zu erhalten, seien bei den NATO-Verbündeten Washingtons „nicht auf Resonanz gestoßen“.

Nach dem Ausstieg der USA im vergangenen November hatte Russlands Außenminister Sergej Lawrow vergeblich eine schriftliche Verpflichtung der europäischen Nato-Staaten und Kanadas verlangt, nach Beobachtungsflügen über Russland keine Daten mehr an die USA weiterzugeben.

Zudem warnte Lawrow die Vertragspartner davor, auf Forderungen der USA einzugehen, keine russischen Beobachtungsflüge über amerikanischen Militärstützpunkte in Europa mehr zuzulassen. Das sei „eine grobe Verletzung des Vertrages“.

Bedauern und Kritik

Die Bundesregierung hatte die Ankündigung des Ausstiegs der USA durch die Trump-Administration im Mai 2020 noch bedauert und kritisiert. Außenminister Heiko Maas (SPD) erklärte damals:,„Wir sehen, dass es in den letzten Jahren auf der Seite Russlands in der Tat Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Vertrags gab, aber dies rechtfertigt aus unserer Sicht keine Kündigung.“ Der Vertrag trage zu Sicherheit und Frieden „auf praktisch der gesamten Nordhalbkugel bei“, betonte Maas.

Der Außenminister kündigte an, Deutschland werde sich „zusammen mit unseren gleichgesinnten Partnern intensiv dafür einsetzen, dass die US-Regierung ihre Entscheidung noch einmal überdenkt.“ Zwischen den verbleibenden 32 Vertragsstaaten besteht das Open-Skies-Abkommen zwar formal weiter. Aber nach dem dem Austritt der USA und Russlands ist es praktisch Makulatur und politisch tot.

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14 Kommentare

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  • Russland führt seit den späten Neunzigern einen ununterbrochenen Cyberkrieg gegen den gesamten Westen, hackt Parlamente und Pentagon, manipuliert Wahlen und Referenden und trollfabrikt in sozialen Netzwerken. Russland finanziert Rechtsextreme und Nationalisten in der EU. Russland vergiftet und erschießt Oppositionelle und Journalisten. Rußland verhaftet Umweltschützer und Punkbands. Russland marschiert mit False-Flag-Operationen in anderen Staaten ein und erhält ganze Zombiearmeen in der Ukraine künstlich am Leben.

    Im Vergleich dazu spielen Nuklearwaffen schon längst die zweite Geige, und damit sind auch die damit zusammenhängenden Verträge nicht mehr so wahnsinnig aktuell. Keiner gibt es offen zu, aber die Lage hat sich geändert, es hat sich eine Art ständige Beinahe-aber-doch nicht-so-richtig-Kriegführung etabliert (auf allen Seiten) und man paßt sich langsam daran an. Die Waffen der Wahl sind Cyber und hybride Kriegführung, Proxy und Propaganda, einfach gegenseitiges Ärgern, Schaumschlägerei und shit stirring. Daß man sich nicht mehr gern in die Karten gucken läßt, paßt ins Bild.

    Eine Lösung müßte die neuen Formen der Kriegführung insgesamt regulieren, und auch die konventionellen, aber das dürfte auf sich warten lassen.

  • insbesondere Rubikon.news und Weltnetz-TV und die Besetzung des Ostens der Ukraine durch den Kreml treiben den Kalten Krieg 2.0 voran!

  • Traurig, aber eben auch unausweichlich.



    Nach der jahrelangen Ausdehnung der NATO bis an Russlands Halskrause und dem dreisten Griff des Westens nach der Ukraine bleibt Russland nur die traurige Pflicht, auch mal contra zu geben.



    Kann Joe Biden die amerikanischen Scherben aufkehren?

    • @Linksman:

      "dem dreisten Griff des Westens nach der Ukraine"

      Ich kam ja aus dem Lachen nicht mehr raus. Krim und Neurussland, jetzt ja Kleinrussland, zeigen da genau das Gegenteil, wer da nach der Ukraine greift...

      • @Sven Günther:

        Verständliche Reaktion auf den vom Westen installierten "Euromaidan".

        • @Linksman:

          "The Russian Federation, the United Kingdom of Great Britain and



          Northern Ireland and the United States of America reaffirm their commitment to



          Ukraine, in accordance with the principles of the Final Act of the Conference on



          Security and Cooperation in Europe, to respect the independence and sovereignty



          and the existing borders of Ukraine;"

          s_1994_1399.pdf

          Der Ukraine von Russland im Budapester Memorandum 1994 zugesichert.

          Auch der Euromaidan setzte das nicht außer Kraft.

          Wenn das russische Wort wertlos ist, warum sollten Polen, Balten oder sonstwer sich darauf verlassen?

          • @Sven Günther:

            Der Westen hat 1990 Gorbatschow zugesichert, die NATO nicht nach Osten zu erweitern.



            Wenn das westliche Wort wertlos ist, warum sollten die Russen sich darauf verlassen?

            • @Linksman:

              In welchen Verträgen ist das denn versprochen worden?

              Ich kenne die Antwort schon, es existiert keine schriftliche Zusage darüber.

              • @Sven Günther:

                Stimmt, solche Verträge gibt es nicht und die Situation in Russland ist nicht besonders vertrauenserweckend, wie man nach der Rückkehr von Navalny sehen kann. Auch hat nicht die NATO "sich erweitert". Staaten wie Polen wollten von sich aus den militärischen Schirm der USA über sich wissen, was man von der "brüderlichen" Umarmung des ehemaligen W.P. nicht sagen konnte....



                Vermutlich fragen Sie sich auch, ob das wirklich sein muss, dass man deutsche Panzer in's Baltikum schickt, an die russische (belarussische) Grenze in Litauen? Die meinung eines ehemaligen BW- Soldaten würde mich interessieren...Mit dieser Geschichtsvergessenheit macht man doch nichts besser......

                • @Günter:

                  Zuerst einmal, dies ist meine persönliche Meinung, ich spreche für niemanden und meine Einschätzung beruht auf meinen Erfahrungen.

                  "Vermutlich fragen Sie sich auch, ob das wirklich sein muss"

                  Nein, das frage ich mich nicht.

                  Weder unsere Kompanie, noch die französische Schwadron, noch andere Alliierte können und machen in Litauen oder im restlichen Baltikum einen militärischen Unterschied, wir wissen das und die Russen wissen es auch.

                  Diese Truppen sollen aber für die Balten und Polen etwas symbolisieren, ihr seid europäische Familie und ihr seit nicht allein.

                  Alleine die Anwesenheit der Soldaten, würde die Republik bei einem Angriff im Baltikum zwingen, sich aktiv einzumischen.

                  Eine kurze Anekdote, in meiner damaligen Kasernen gab es eine Nato Fortbildung. Dort waren auch 2 Menschen der estnischen Streitkräfte. Am letzten Abend tranken wir zusammen und ich wurde gefragt, können wir uns auf euch verlassen oder kommt von euch wenn es hart auf hart kommt "Mourir pour Dantzig?"

                  Kannte ich ehrlich gesagt damals nicht, wurde dann bei ein paar weiteren Schnäpsen aufgeklärt. Das war eine Zeitungsüberschrift der französischen Rechten kurz vor dem dem Polenfeldzug des 3. Reiches und bedeutet, "Sterben für Danzig"?

                  Es Symbolosiert den Unwillen des damals polnischen Verbündeten Frankreich das Deutsche Reich anzugreifen und so aktiv in den Krieg einzugreifen.

                  Aber sobald deutsche Streitkräfte im Baltikum stehen und die angegriffen werden, müssen wir reagieren, das ist deren Rückversicherung.

                  Und seien sie ehrlich, auf wen würden Sie sich als Balten verlassen, wenn die Russen auf einmal ihre Leute in ihrem Land "schützen" wollen, wie auf der Krim? Die BRD gehört erstmal ganz sicher nicht dazu und wir sind das wichtigste Land in der EU, wenn wir nein sagen, folgen uns viele EU Mitglieder.

                  Aber stehen deutsche, französische, niederländische oder griechische Soldaten im Baltikum, sind wir immer sofort verwickelt und müssen helfen.

                  • @Sven Günther:

                    Das sind interessante Einsichten. Sie haben mich aus dem Konzept gebracht. Danke dafür!



                    Manchmal werde ich die Überlegung darüber nicht los, dass Putin in Leningrad gebohren ist und ganz sicher das, was seine Eltern dort erlebt haben, nicht vergessen kann. Die Staaten des Baltikum waren den Großmächten ausgeliefert und dass Stalin zeifellos das geringere Übel war brauch ich Ihnen nicht zu erzählen. Putin und seine Leute können nicht mit der Freiheit umgehen. Das ist ein großes Problem. Was wir heute mit Navalny sehen ist sehr ernüchternd. Leider, glaube ich, dass wir uns heute wieder in einem "Kalten Krieg" befinden, wie vor 1989, woran "der Westen" nicht unschuldig ist.

  • Da schaffte es die Bundeswehr letztes Jahr endlich, nach 22 Jahren ein neues Flugzeug für Open Skies zu beschaffen, das letzte war 1997 bei einer Kollision vor Namibia abgestürzt und jetzt ist Open Skies gescheitert, hätte der Dornröschenschlaf nur etwas länger gedauert, hätte man sich das Geld für den Airbus A319 OH/Offener Himmel sparen können...

    "Die USA seien unter „vorgeschobenen Anschuldigungen“ aus dem Vertrag ausgestiegen,"

    Die NYT hatte damals geschrieben, Trump habe sich vor allem darüber aufgeregt, dass die Russen relativ tief über seinen Golf Club in New Jersey geflogen sind, während er da Urlaub machte.



    Das sind doch für einen Spinner handfeste Gründe.

    www.nytimes.com/20...-arms-control.html

    Erklärung des Bendlerblock 2019:



    www.bmvg.de/de/the...mmel-oh-open-skies

    Absturz 1997:



    de.m.wikipedia.org...n_vor_Namibia_1997

  • Mensch gewinnt fast den Eindruck, Russland hätte es eilig. Bevor Biden...

    • @tomás zerolo:

      Jein, das würde ich nicht so sagen.

      Russland hatte zwei für sie wichtige Punkte vorgebracht, die die Europäer und Kanadier bestätigen sollten, nachdem die USA ausgetreten waren.

      1. Keine Datenweitergabe an die USA, die USA bekommt also weiter Daten von den Flügen der Verbündeten über Russland, schließen aber den eigenen Luftraum für die Russen.

      2. Das auch weiterhin Basen der Amerikaner in Europa und Kanada überflogen werden dürfen, das wollten die USA verhindern.

      Taten wir nicht explizit, darum zeigen die Russen auch mit dem Finger nach Europa, warum sie ausgetreten sind.