Nato-Treffen in Finnland: Schweden rüstet gegen die Schatten in der Ostsee
Ministerpräsident macht vor Nato-Treffen klar: Die Sabotage in der Ostsee werte man als Eskalation. Nato-Partner sehen Russland verantwortlich.
Ulf Kristersson setzt noch einen drauf. Genau ein Jahr, nachdem die schwedische Regierung die Bevölkerung mit der Äußerung „Der Krieg kann nach Schweden kommen“ aus dem Winterschlaf gerissen hatte, gab der Ministerpräsident am Sonntag in seiner Eröffnungsrede auf der jährlichen Sicherheitskonferenz „Folk och Försvar“ (Gesellschaft und Verteidigung) ein Update: „Schweden ist nicht im Krieg, aber Frieden herrscht auch nicht.“
Zur Begründung sagte er, „wir und unsere Nachbarn sind hybriden Angriffen ausgesetzt, die nicht mit Raketen und Soldaten durchgeführt werden, sondern mit Computern, Geld, Desinformation und drohender Sabotage“. Der Ministerpräsident bezog sich nicht zuletzt auf jüngste Vorfälle in der Ostsee, als er sich weigerte, den aktuellen Zustand als Frieden zu bezeichnen.
In Schweden wird das als weitere Eskalation des Alarmschlagens gewertet, die zusätzliche Ausgaben für die Verteidigungsbereitschaft des Landes vorbereitet. Hier liegt ein Unterschied zum Nachbarn im Osten: Finnland hatte bei Militär und ziviler Verteidigung nie abgerüstet.
Was beiden Nachbarn aber gemein ist, ist die relativ neue Nato-Mitgliedschaft. Kristersson beschrieb stolz Schwedens veränderte Rolle und erste Nato-Aktivitäten, während Finnlands Präsident Alexander Stubb in seiner Neujahrsansprache vor allem dies betont hatte: Finnland sei nicht mehr allein. „Wir haben Freunde und Verbündete, die unsere Werte und Interessen teilen. Zusammen mit unseren Verbündeten sind wir stärker.“
Im Zusammenhang mit dem havarierten Tanker „Eventin“ in der Ostsee hat das Auswärtige Amt betont, dass Deutschland aktiv gegen die von Russland eingesetzte Schattenflotte zur Umgehung von Öl-Export-Sanktionen vorgehe. Die Bundesregierung sei hier in Brüssel „sehr aktiv“, um Sanktionen voranzutreiben, erklärte ein Sprecher.
Das 274 Meter lange Schiff war am Freitag mit fast 100.000 Tonnen Öl an Bord nördlich von Rügen havariert und wird derzeit von einem Schlepper vor dem Stadthafen von Sassnitz gesichert. Montagabend sollte es die Ostsee Richtung Dänemark verlassen. Eine Gefahr für die Umwelt geht laut Bundesumweltministerium von dem Tanker aber derzeit nicht aus. (dpa)
Die Verteidigungspolitik des Landes zu führen, ist in Finnland traditionell Aufgabe des Präsidenten. Stubb war es auch, der direkt die Nato kontaktierte, als am ersten Weihnachtstag mehrere Unterseekabel zwischen Finnland und Estland beschädigt wurden, darunter ein Stromkabel.
Ulf Kristersson, Ministerpräsident
Und am Dienstag ist Stubb nun, zusammen mit Estlands Regierungschef Kristen Michal, Gastgeber eines Nato-Treffens in Helsinki. Die Ostsee-Anrainer unter den Verbündeten wollen hier mit Nato-Generalsekretär Mark Rutte und der Vizepräsidentin der EU-Kommission Henna Virkkunen über Schutzmöglichkeiten für die kritische Infrastruktur am Meeresgrund sprechen.
Das finnische Präsidialamt machte noch einmal deutlich, was seit dem Weihnachtsvorfall sehr deutlich gesagt wird: Es gehe bei dem Treffen darum, wie man der Bedrohung durch die russische Schattenflotte begegnen kann. Der Begriff wird seit Weihnachten in diesem Zusammenhang auch von der EU-Kommission öffentlich benutzt. Anders als noch beim letzten vergleichbaren Vorfall im November, als mehrere Datenkabel in der schwedischen Wirtschaftszone beschädigt worden waren, darunter eins, das zwischen Finnland und Deutschland verläuft. Der chinesische Frachter „Yi Peng“ wurde mit den Vorfällen in Verbindung gebracht, weil seine Route zu den Schäden passte. Als Urheber der Weihnachtssabotage wiederum ermittelten finnische Behörden schnell den unter der Flagge der Cook-Inseln fahrenden Tanker „Eagle S“.
Kriminalpolizei und Grenzschutz eskortierten das Schiff in finnische Hoheitsgewässer, wo Finnland das Recht hat, bei Verdacht auf ein Verbrechen Untersuchungen anzustellen. Ermittler betraten die „Eagle S“ schließlich von Hubschraubern aus und begannen direkt mit Verhören der Besatzung. Die gesamte Aktion wurde von Militär-Experten als entschlossen, riskant und gut durchgeführt eingeordnet. Mehrere Besatzungsmitglieder sind immer noch mit Reiseverbot belegt.
100 Kilometer Schleifspur auf dem Meeresgrund
Ermittelt wird wegen grober Sabotage und groben Eingriffs in Post- und Telekommunikationswege. Die Behörden fanden eine etwa 100 Kilometer lange Schleifspur am Meeresboden, offensichtlich von einem Anker, die dort endete, wo die „Eagle S“ ihren Anker gelichtet habe. Er befand sich nicht mehr an der Ankerkette, wurde aber später in der Nähe geborgen – vier mal zweieinhalb Meter groß, elf Tonnen schwer. Eine technische Untersuchung läuft, um sicherzustellen, dass er zu genau diesem Schiff gehört, woran offenkundig niemand zweifelt.
Ebensowenig wie daran, dass Russland hinter diesen Aktionen steckt. Mit der „Schattenflotte“ sind Schiffe gemeint, die das Seerecht nutzen, um für Russland durch internationale Gewässer der Ostsee Waren in die Welt zu bringen. Insgesamt 79 solcher Schiffe soll die EU auf ihrer Liste haben, wie es aus dem Auswärtigem Amt heißt. Die Fahrzeuge sind oft alt, schlecht gewartet und nicht versichert. Experten warnen immer wieder vor Umweltrisiken – als jüngstes Beispiel gilt der vor Rügen havarierte Öltanker „Eventin“.
Dass diese Schiffe nun auch für Sabotageakte an wichtiger europäischer Infrastruktur eingesetzt werden, wird inzwischen offenbar als gegeben angesehen. Kristersson sagte zwar, ob die Kabel absichtlich zerstört wurden und in wessen Auftrag, sei noch nicht abschließend beantwortet. Aber: „Unter keinen Umständen werden Schweden und unsere Nachbarn akzeptieren, dass das einfach so weitergeht.“ Und: Die Bedrohung durch Russland werde, wie es aussehe, langfristig anhalten, dasselbe müsse für Schwedens Verteidigung gelten.
Küstenwache und Militär des Landes sollen stärker zusammenarbeiten, um Hybridangriffe zu verhindern. Außerdem macht sich Schweden bereit für den ersten geplanten Nato-Einsatz zum Schutz der Infrastruktur in der Ostsee, zu dem das Land seinen Teil beiträgt.
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