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Nahost-Konflikt und FeminismusGöttinnen des Gemetzels

Lilly Schröder
Kommentar von Lilly Schröder

Der Krieg in Gaza entzweit die feministische Bewegung. Es gilt, Gemeinsamkeiten hervorzuheben statt Nahost über den feministischen Kampf zu stellen.

„Flinta stick together“: Ein Aufruf, der in der feministischen Bewegung auf taube Ohren trifft Foto: PM Cheung Photography

V or dem Krieg in Gaza war der 8. März ein Tag kämpferischer Solidarität unter Flinta*. Heute ist er nur noch ein Schauplatz für das unerbittliche Gemetzel einer ideologisch zerrütteten feministischen Bewegung.

Gegenüber stehen sich zwei unversöhnliche Lager: Ein liberaler, westlicher, oftmals weißer Feminismus, der in seiner vermeintlich emanzipatorischen Haltung auch exklusiv ist und in seiner Extremform etwa Trans-Identitäten oder die Vereinbarkeit von feministischen Positionen mit dem Islam infrage stellt. Auf der anderen Seite eine jüngere queerfeministische Bewegung, die stark durch dekoloniale Kämpfe geprägt wurde.

Der Nahost-Konflikt wirkt wie ein Brennglas für die weltanschaulichen Gräben, die es in der Bewegung schon immer gegeben hat. Das eine Lager beschuldigt das andere, sexualisierte Gewalt durch die Hamas zu verharmlosen, während das andere eine rassistische Auffassung von Feminismus kritisiert, die sich nicht gegen jede Form der Unterdrückung richtet. Beidseitig – da ist man sich einig – lautet der Vorwurf: Doppelmoral.

Was bleibt? Ein orientierungsloser Scherbenhaufen. Daran lassen die Demo-Aufrufe für den diesjährigen feministischen Kampftag in Berlin keinen Zweifel. Unter dem Motto „Until total Liberation“ ruft die „Alliance of International Feminists“ zur Demonstration auf – gemeinsam mit Gruppen wie „Palestine at the Forefront“ und „Young Struggle“, die den Hamas-Terrorangriff auf Israel als „Gefängnisausbruch“ und „Widerstand“ bezeichneten. Ebenso einseitig palästinasolidarisch positioniert sich die kämpferische Abenddemo „Fight by Night“. Dem gegenüber steht das 2024 gegründete israelsolidarische 8.-März-Bündnis „Feminism Unlimited“, das zu einer Demo für „einen antifaschistischen und universellen Feminismus“ aufruft.

Doppelmoral auf beiden Seiten

Nur drei Tage vor der Demo erschien auf indymedia.de ein offener Brief eines ehemaligen Gründungsmitglieds von „Feminism Unlimited“, das dem Bündnis Queerfeindlichkeit, Transmisogynie, Feindlichkeit gegenüber Sexarbeitenden sowie antimuslimischen und antipalästinensischen Rassismus vorwirft. Das Bündnis sei von „antideutschen TERFs“ (Trans Exclusionary Radical Feminists) übernommen worden und „alle genderqueeren Personen und alle queerfeministischen Personen aus dem Bündnis herausgedrängt“ worden.

Im Demo-Aufruf von „Until total Liberation“ heißt es: „Wir stellen uns bedingungslos auf die Seite der Unterdrückten und der von ihnen gewählten Wege des Widerstands.“ Eine Formulierung, die die Massenvergewaltigungen, Geiselnahmen und Ermordung von jüdischen Flinta* durch die Hamas als legitimen Widerstand rechtfertigt. So weit, so antifeministisch. Und doppelmoralisch.

Im Aufruf der ebenso stark propalästinensisch positionierten Abenddemo „Fight by Night“ heißt es, „jegliche Länderflaggen“ seien verboten. Man wolle keine israelische Flagge sehen, so eine Sprecherin zur taz. Eine Ausnahme gibt es jedoch: Palästina-Flaggen sind willkommen. Denn – na klar – diese stünden nicht nur für einen Staat, sondern auch für eine „revolutionäre antiimperialistische Praxis“. Das gelte auch für Kurdistan- oder Rojava-Flaggen sowie für alle Flaggen „von unterdrückten Staaten“. Und welche Staaten als unterdrückt gelten, das entscheidet wer? Was ist mit Ukraine-Flaggen? Oder irischen?

Das israelsolidarische Bündnis zeigt sich ähnlich willkürlich: Die Or­ga­ni­sa­to­r*in­nen hätten sich gegen ein Verbot von Nationalfahnen gestellt, mit der Begründung, dass man jüdischen Menschen nicht verbieten könne, eine Israel-Fahne zu tragen. Palästina-Fahnen und Küfiyas hingegen, sollten verboten werden.

Flinta* geraten über den Nahost-Konflikt in den Hintergrund

Während die Bewegung über willkürliche Symbolpolitik und unterdrückte Staaten streitet, geraten diejenigen in den Hintergrund, um die es am 8. März eigentlich gehen sollte: die unterdrückten Flinta* – auf beiden Seiten.

Einen intersektionalen Ansatz zu verfolgen, der Antiimperialismus und Kolonialisierung mitdenkt, ist legitim. Aber Intersektionalität darf nicht selektiv sein und auf Kosten jüdischer Flinta* gehen. Intersektionalität bedeutet zudem, keine Hierarchie der Unterdrückung aufzumachen. Doch genau das passiert: Anstatt gegen jede geschlechtsspezifische Gewalt zusammenzustehen, wird die sexualisierte Gewalt auf beiden Seiten infrage gestellt, relativiert und geleugnet und das Leid der Frauen und Mädchen in Israel und Gaza zu einem Wettbewerb.

Intersektionalität bedeutet schließlich auch die Gleichwertigkeit aller Kämpfe, nicht die Dominanz eines Themas über den feministischen Kampf. Doch derzeit wird der Nahost-Konflikt zum Gradmesser für Zugehörigkeit oder Ausschluss innerhalb der feministischen Bewegung. Statt sich über gemeinsame Ziele zu verbinden und sich zusammen am 8. März die Straße zu nehmen, arbeitet sich die Bewegung an ideologischer Reinheit ab und blockiert so jede Form der Zusammenarbeit.

Indem der Nahost-Konflikt die Agenda der 8.-März-Demos beherrscht, wird letztlich bewusst in Kauf genommen, dass sich weniger Menschen am feministischen Kampftag beteiligen. Viele, die sich dem Kampf gegen das Patriarchat anschließen wollen, fühlen sich durch die gewaltverherrlichende Rhetorik mancher Gruppen, die auf queerfeministischen Demos Sprechchöre, wie „Yallah, Yallah, Flintifada!“ (Flinta* und Intifada) anstimmen, unwohl und ziehen es vor, den Demos fernzubleiben.

Die Zerfleischung der Bewegung ist ein Trauerspiel. Die Logik der Feindschaft, die sich entwickelt hat, ist genauso selbstgerecht, wie destruktiv und stärkt nur eins: das Patriarchat. Denn feministische Solidarität ist eine Bedrohung für das patriarchale System. Also Flinta*: Lasst uns zusammenreißen und diese Bedrohung entfalten!

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Lilly Schröder
Redakteurin für Feminismus & Gesellschaft im Berlin-Ressort Schreibt über intersektionalen Feminismus, Popkultur und gesellschaftliche Themen in Berlin. Studium der Soziologie und Politik.
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9 Kommentare

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  • Klingt auf beiden Seiten nach männlicher Rechthaberei. Das Problem ist Geschlechterlos und bleibt Armut und die damit einhergehende Unbildung und sich dadurch immer wieder manifestierende Rollenbilder.

  • Die offensichtliche Bejahung von brutaler sexualisierter Gewalt die in den queerfeministischen Kreisen wie im Artikel beschrieben, eine etablierte Haltung ist, unter dem Deckmantel der Antikoniallisierung, zeigt ein Verhalten das vorher seinen Ausdruck in der cancel cultur bis hin zur tätlichen Gewalt gegen lesbische Feministinnen und materialistischen Feministinnen zum Ausdruck kam. Wo waren die Aufschreie das auf Feministischen Demos Frauen für ihre Haltung, körperlich bedroht, angegriffen und niedergeschrien wurden/werden. Plakate wurden angezündet. Das begann vor Jahren mit der Trans Debatte in Europa (SbstG). Männliche Gewalt beherrschte feministische und quer Demos aber von innen heraus. Das ist für mich das Alleinstellungsmerkmal des, wie im Artikel benannt, jüngeren Feminismus.



    Also dass Brennglas wird jetzt erst auf das Gewalt Problem gerichtet.

  • Ich denke nicht das diese Heuristik so aufgeht:

    "Ein liberaler, westlicher, oftmals weißer Feminismus, der in seiner vermeintlich emanzipatorischen Haltung auch exklusiv ist und in seiner Extremform etwa Trans-Identitäten oder die Vereinbarkeit von feministischen Positionen mit dem Islam infrage stellt. Auf der anderen Seite eine jüngere queerfeministische Bewegung, die stark durch dekoloniale Kämpfe geprägt wurde."

    Hier wird eine merkwürdige Heterogenität beider Lager herbeigerdet. Für mich geht das allein schon deshalb nicht auf weil die hier als "jüngere queerfeministische Bewegung" die stark durch "dekoloniale Kämpfe geprägt wurde" sich in Teilen stark in kommunistischen Kaderorganisationen organisiert die teilweise Postulieren, die Diktatur des Proletariats sei historisch durch Identitätspoltik verhindert worden. Die Widersprüchlichkeit der eigenen Organisierung scheint da vielen einfach nicht bewusst zu sein. Auch, dass materialisitsch (feministische Analysen) die Gruppen wie Zora und Young Struggle ideologisch zu Grunde Liegen die oft auch zu transexklusion führen scheint für die Menschen die sich hier organisieren kein Widerspruch zu sein.

  • Ich kann nur bestätigen, für mich kommt eine Beteiligung an irgendeiner Veranstaltung zum 8. März nach der unfassbaren Gewaltverherrlichung ( Yallah, yallah Flintifada ) nicht mehr in Frage. Das ist bitter, dort war ich mal zuhause.

  • Sorry, aber nein. "Der Nahost-Konflikt wirkt" nicht "wie ein Brennglas für die weltanschaulichen Gräben, die es in der Bewegung schon immer gegeben hat."

    Die üblichen Knackpunkte wie die Frage nach Gleichheit und Differenz oder das Verhältnis zu Reformbestrebungen im Staat spielen hier keine Rolle. Erkennbar auch daran, dass der Nahostkonflikt in allen anderen Subspektren der Linken genauso wirkt. Da ist nichts spezifisch feministisches, außer der Einzelaspekt, an dem sich der Streit entzündet. Also die patriarchale Gewalt.

    Auf die gleiche Weise verzichten aber, wenn es um Palästina geht, z.B. antizionistische Anarchist:innen auf die für sie typische Verweigerung staatlicher Autorität, und die Klassenkampffraktion aufs Proletariat. Was jeweils eine Folge des Antisemitismus ist.

  • Danke für diesen Beitrag! Ich sehe es ebenso, dass flinta* Anliegen ohne den Nahostkonflikt besser durchgesetzt werden können und wenn man sich statt dessen auf die Interessen ALLER Flinta* konzentriert und flinta* Solidarität demonstriert und zwar egal, ob unterdrückte Flinta* unter religiös-nationalistisch-patriarchalen Strukturen in Israel oder unter traditionell oder islamistisch patriarchalen Strukturen in Gaza und Westbanks oder unter anderen patriarchalen Strukturen weltweit leben! Der Nahost-Konflikt ist auch ein aktuelles und wichtiges Thema, aber sollte extra behandelt werden und nicht den 8. März dominieren. Flinta*-Rechte sind ja (leider) weltweit aktuell wieder stärker bedroht. Auf allen Kontinenten.

    • @Nina Janovich:

      Wenn aber Trans*- und Inter-*Personen nicht als Frauen* anerkannt werden oder viele 'traditionelle' Feminist:innen bereits den Sammelbegriff "FLINTA" ablehnen, funktioniert das nicht.



      Durch die Nicht-Anerkennung von Trans- und interfrauen werden für viele eben genauso patriarchale Strukturen re-/produziert und das in diesem Sinne auch aus der feministischen Bewegung heraus. Und genau um diese Kritik geht es im Rahmen dieser innerfeministischen Auseinandersetzung.

      Das lässt sich mMn. nicht einfach ablegen und deshalb kann man auch nicht sagen, man gliiedert Themen wie den Nahost-Konflikt aus. Problematisch ist, dass es zunehmend weniger Graustufen und Zwischentöne gibt, nur viele Selbstgewissheiten und Selbstgerechtigkeiten.

      • @White_Chocobo:

        Es gibt hier keinen Konflikt zwischen einer Trans- und einer antideutschen Terf-Fraktion. Hier ist der Aufruf der angeblichen Terfs zu finden:

        feminism-unlimited.org/

        Darin heißt es unter anderem: "Ob in den USA, Afghanistan, Kurdistan, Israel, Gaza, Iran, Sudan, der Ukraine, Russland oder der BRD: Kriege, ökologische und gesellschaftliche Krisen und sexualisierte Gewalt in diesen Kontexten sind auch Ausdruck einer patriarchalen Herrschaft, in der Frauen und queere Menschen Männern gewaltvoll untergeordnet werden [...] Und damit nicht genug: aktuell werden überall hart erkämpfte feministische Errungenschaften angegriffen und Transfeindlichkeit ist ein zentrales Mobilisierungsthema konservativer und rechter Parteien. [...] Der Wahlkampf seiner [Trumps] Partei basierte maßgeblich auf Transfeindlichkeit, Millionen Dollar gingen in transfeindliche Propagandavideos. [...] In dieser Zeit ist es umso wichtiger, dass wir als Frauen, Lesben, inter*, nichtbinäre, trans* und queere Personen zusammenhalten."

        Was es vermutlich gibt ist eine Fraktion, die sich dieses Zusammenhalten nur autoritär-antisemitisch vorstellen kann, und eine, bei der das nicht der Fall. ist.

  • Ich bin heiliger als du und deshalb darf ich alles.



    Ich bin unterdrückter als du und deshalb fehlerfrei.



    Ich habe mehr Durchblick als du und kann dich auf den ersten Blick beurteilen.



    Ich bleibe Morgen zuhause.