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Nachtarbeit im Berliner SchwulenclubTanz mit dem Wischmob

Jolanta Marquardt hat in Polen studiert und arbeitet im Berliner Club Schwuz als Toilettenfrau. Dabei erfüllt sie für viele Gäste auch eine Fürsorgefunktion.

Stammgäste des Schwuz nennen sie „Mutti“: Jolanta Marquardt Foto: Amélie Losier

Berlin taz | Jolanta Marquardt lacht so oft und herzlich, dass man sich schwer vorstellen kann, dass sie auch mal griesgrämig dreinschaut. Dabei ist ihr Job keiner, der permanent Spaß macht. Marquardt arbeitet als Toiletten­frau. Drei Mal in der Woche sorgt sie nachts in Clubs oder tagsüber auf Kongressen dafür, dass hochfrequentierte Toiletten hygienisch bleiben. Dass die Klobrillen sauber und die Seifenspender gefüllt sind, dass die Toi­letten nicht verstopfen und das Toilettenpapier nicht ausgeht.

Sechs Mal im Monat schiebt Marquardt Nachtschichten im Schwuz, Berlins berühmtem, queeren Club. Wo alle um sie herum feiern, wischt sie zwischen 23 Uhr und sechs Uhr morgens anderen nach dem Toilettengang hinterher. „Ich werde oft von Gästen gefragt, ob ich nicht auch einmal tanzen möchte“, sagt die 54-Jährige. „Ich antworte dann, dass ich die ganze Nacht mit meinem Wischmop tanze.“ Wer Marquardt bei ihrem Tanz durch die Toiletten im Schwuz begleitet, stellt fest: Der Job bereitet ihr Freude.

Wahrscheinlich liegt das auch daran, dass Marquardt gut mit Menschen umgehen kann. Dass sie den Trubel und all die Leute um sich herum liebt. Wie gut sie selbst dabei in ihrem Arbeitsumfeld ankommt, wird bei einer Zigarettenpause klar: Eine Mitarbeiterin des Schwuz stürmt ohne Vorwarnung auf sie zu, umarmt sie innig und nennt sie „Mutti“. Das passiere ihr öfter, sagt Marquardt, auch manche Stammgäste würden sie „Mutti“ nennen. Marquardt findet das okay. „Ich bin nur froh, dass sie nicht Oma sagen.“

Mehr als nur Pissflecken wegzuwischen

Mutti also. Der Kosename sagt schon einiges darüber, dass Marquardt im Schwuz als diejenige anerkannt wird, die sich um wichtige Dinge kümmert – sie wird respektiert. Gäste erzählten ihr manchmal, dass sie sich frisch verliebt hätten, oder kämen zu ihr, wenn sie sich mit ihrem Partner gestritten hätten. „Mutti erzählt man alles“, sagt Marquardt. Sie darf hier im Schwulenclub die Rolle der guten Seele einnehmen, und das ist schon weit mehr, als nur Pissflecken wegzuwischen.

Der Job nachts im Schwuz sei freilich ein anderer als etwa bei Kongressen. Dort bekäme sie schon mal abfällige Bemerkungen zu hören oder werde gefragt, ob sie denn keine bessere Arbeit finde. Deswegen gefalle ihr die respektvolle Stimmung im Schwuz. „Hier streiten sie sich nicht so viel und sie klopfen sich auch nicht“, sagt sie. Man hört an ihrem Deutsch immer noch ein bisschen, dass sie vor über 25 Jahren aus Polen nach Deutschland gekommen ist.

Schwul, lesbisch, queer – das sei ihr alles recht, erklärt Marquardt, die mit ihrem Mann in einem 65 Kilometer von Berlin entfernten Dorf im Havelland lebt und außer im Schwuz keinerlei Bezüge zur queeren Szene hat.

Sex auf den Toiletten? Ich sehe nichts und ich höre nichts

Jolanta Marquardt

Direkt neben dem Platz, am Eingang zu den Toiletten, hängt ein riesiges Foto, das einen nackten Mann mit erigiertem Penis zeigt. „Am Anfang war das Bild ein Schock für mich“, sagt sie. Inzwischen habe sie sich daran gewöhnt. „Nur das Gesicht des Mannes mag ich immer noch nicht.“ Auf die Frage, was sie von Sex auf ihren Toiletten halte, antwortet sie mit ihrem Jolanta-Marquardt-Lachen: „Ich sehe nichts und ich höre nichts.“

Wenn jemand zu lange braucht, muss sie nachschauen

Bei all dem Positiven, das sie über ihren Job sagen kann, sagt die Nachtarbeiterin auch: „Anstrengend ist er schon. Manche Leute denken, ich würde immer nur rumsitzen und auf Trinkgeld warten. Dabei bin ich die meiste Zeit auf den Beinen.“ Nach zehn bis 20 Gästen auf den Unisex-Toiletten des Schwuz dreht sie ihre Klorunde. Jede Kabine wird kurz durchgewischt, Duftöl dazu, fertig. Die Kunst besteht darin, nicht zu viel Zeit pro Kabine zu benötigen, um den im Laufe der Nacht ansteigenden Betrieb nicht aufzuhalten.

Überhaupt ist Marquardts Tätigkeit komplexer als sie auf den ersten Blick aussieht. Weckdienst hat die Toilettenfrau auch: Wenn eine Kabine ungewöhnlich lange geschlossen bleibt, muss sie dem nachgehen. „Wenn jemand seine Beine nicht mehr bewegt, ist er wahrscheinlich eingeschlafen.“ Zwischendurch immer wieder: Klopapier und Seife nachfüllen, wischen, Spiegel putzen.

Marquardt hat Abitur. Sie hat Pädagogik studiert und in Polen in einem Kinderhort gearbeitet. In ihrer neuen Heimat sei ihr Deutsch zu schlecht für den Job gewesen, sagt sie. Auch deswegen arbeitet sie nun eben als Toilettenfrau. Sie bekommt einen festen Stundenlohn, aber gegen Trinkgeld habe sie natürlich nichts einzuwenden. Ihre Trinkgeldbüchse ist Schwuz-gerecht: Eine Figur, der man die Münzen in den Po schiebt.

Daneben stehen auf einem Tischchen eine Unzahl an Dosen mit Haarspray, Deodorant, allerlei Schmink­utensilien, Atemerfrischer und ein kleiner Beutel mit Tampons. Sogar ein paar Süßigkeiten hat Marquardt dabei, als Notriegel für Gäste. Wer etwas braucht, um im Schwuz besser durch die Nacht zu kommen: Bei Mutti vor dem Klo gibt es fast alles.

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6 Kommentare

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  • Ja, es ist schade, dass die Dame nicht in ihrem gelernten Beruf arbeiten kann. Da werden auch Menschen mit positiver Lebendeinstellung gebraucht.

  • Ich wünsche mir ein Europa, in welchem studierte Pädagoginnen nicht mehr als Toilettenfrauen arbeiten (müssen).



    Was für eine Verschwendung und welch ein Verlust für Polen.

    • @Trabantus:

      Vielleicht beruhigt es Sie, wenn ich Ihnen versichere, dass, wenn man z.B. als Heilpädagoge in einer Einrichtung für geistig Behinderte arbeitet, bei der Reinigung der Toiletten dort durchaus mehr wegwischen muss als Wichs- und Pissflecken.

      Und Trinkgeld bekommt man auch nicht dafür. Und früher war der Verdienst, wenn man als Erzieher eingestuft wurde, auch nur dann erträglich, wenn man ausreichend Sonntag- und Nachttdienste machte dabei. Das ist aber jetzt wenigstens etwas besser geworden.

      • @Age Krüger:

        Was sollte mich an Ihrer Antwort beruhigen, wenn ich denn aufgeregt wäre?

  • "Marquardt hat Abitur. Sie hat Pädagogik studiert und in Polen in einem Kinderhort gearbeitet. In ihrer neuen Heimat sei ihr Deutsch zu schlecht für den Job gewesen, sagt sie."

    Das könnte auch die neue Zuwanderung von Fachkräften sein (Plan - vorhandener Abschluss) - verheizen von qualifizierten und willigen Menschen in billigen Dienstleistungsjobs...

    • @agerwiese:

      Z.B als Erzieher?

      Dann kann man die winzigen Verbesserungen in der Einstufung im pädagogischen Bereich wieder schnell zurücknehmen.