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„Nacht“-Ausstellung in HamburgZum Schlafen zu schade

Sprüher, Spukgestalten und Schichtarbeit: In Hamburg ist der Remix einer Berliner Ausstellung über „Die Nacht“ zu sehen.

Nachts, wenn die Züge stehen: Betriebspause bei Hamburgs Hochbahn Foto: HHA/Museum der Arbeit

Hamburg taz | Ob die Schäfchen-Expert*innen da waren? Die Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) tagte Anfang des Monats in Hamburg, da war die Sonderausstellung im dortigen Museum der Arbeit ungefähr seit einer Woche eröffnet. Und die weist im (Unter-)Titel ja genau hin auf das Feld, das diese Fachmediziner*innen beackern: „Alles außer Schlaf“. Also das Feiern, zum Beispiel: Konzipiert und zuerst gezeigt worden ist die Ausstellung im Berliner Museum für Kommunikation – da ist ist 90er-Jahre-Technostandort-Nostalgie wohl ein Muss; zu schweigen vom Berlin-Babylon-Zwischenkriegskitsch, also dieses gute Kapitel deutscher Geschichte, ehe das ganz böse kam.

Beides berücksichtigt die Ausstellung gewordene „Reise durch die Nacht“, die Florian Schütz kuratiert hat, ebenso die Nachtgestalten, die uns diverse Künste beschert haben: Hexen und Nachtmahre, Werwolf und Vampir, aber auch die ungleich jüngere, neoromantische Popkulturverästelung namens Gothic. Oder die Sinnstiftung, die der frühe Mensch vornahm angesichts dieses über ihn kommenden Dinkels, sei’s im Mythos, sei’s in der Religion – sei’s in den Wissenschaften: Auf eine überdimensionale Reproduktion der „Himmelsscheibe von Nebra“ sind sie nun einerseits sehr stolz in Hamburg, andererseits: Das rund 4.000 Jahre alte Original bekam vor einigen Jahren nicht mal das örtliche archäologische Museum ausgeliehen; da sind die Kolleg*innen in Sachsen-Anhalt eigen.

Der Trailer zur Ausstellung, sowas muss heute ja auch immer öfter sein, setzt den nächtlichen Luftfracht­umschlag bei DHL zeitgerafft zu Technobeats in Szene – hinter dem Berliner Museum steht ja die Deutsche Post mit ihrem Geld. Dass aber manche arbeiten, arbeiten müssen, wenn andere feiern (oder gar schlafen): Auch davon erzählt diese Ausstellung, die Erfordernisse eines zunehmend globalen, mithin keinen echten Feierabend mehr kennenden Wirtschaftens finden also Berücksichtigung. Dass Schichtarbeit körperliche Folgen haben kann, und zwar kaum gesunde: so wahr wie überraschend in einer doch zuallererst kulturgeschichtlich angelegten Ausstellung.

Und dabei löst sich die Hamburger Ausstellungsvariante dann auch von der in Berlin: Hinzugekommen sind etwa Fotos, die über mehrere Jahrzehnte der örtliche Nahverkehrsbetrieb, die Hochbahn, in Auftrag gab. Was passiert, wenn die U-Bahn-Züge stillstehen? Dass sie nämlich durchfahren, zumindest am Wochenende: So viel Großstadt ist Hamburg so schrecklich lange noch gar nicht.

Infos

„Die Nacht. Alles außer Schlaf“: bis 1. 6. 20, Hamburg, Museum der Arbeit

Diskussionsabend zur Nachtarbeit am Beispiel der Druckindustrie: Mo, 25. 11, 19 Uhr

Kurzfilmnacht: Mo, 16. 12., 19 Uhr

Infos und das gesamte Begleitprogramm: https://shmh.de/de/die-nacht-alles-ausser-schlaf

Zwei andere nun berücksichtigte Fotoserien entstanden für das Hamburger Straßenmagazin Hinz & Kunzt, eine dritte schoss CP Krenkler bei der Begleitung von Polizeibeamt*innen der überlokal bekannten Davidwache: Kaum also lässt sich der Ausstellung vorwerfen, sie verschlösse die Augen vor der Ambivalenz des Nächtlichen, von gern Übersehenem oder auch das Licht Scheuendem. Nacht und Arbeit aber, und das in Streifengangreichweite von Deutschlands prominentestem Polizeirevier? Ja, auch die Prostitution hat hier ihren Auftritt, und das übrigens nicht erst in Hamburg, wo man ja manchmal nicht so genau weiß, wie sehr dieses besondere Gewerbe nun zu verdammen ist – oder nicht vielmehr eine Art Tourismusfaktor.

Noch so ein Ambivalentes, das zum allergrößten Teil im Schutz von Dunkelheit oder wenigstens dünner Personaldecke geschieht: Graffiti. Ein eigens beauftragtes Piece ziert nun eine Wand im Ausstellungsraum; daneben Fotos von Sprühern in Aktion, die lieber nicht erkannt werden wollten – anders als die lokalen Szenegrößen, von denen einige zur Ausstellungseröffnung anwesend waren. Ein neues Buch stellen Mirko Reisser alias „Daim“, Oliver Nebel („Davis One“), Andreas Timm („Cario“) und Frank Petering vom Magazin Backspin dann im Frühjahr vor: „Eine Stadt wird bunt – Hamburg Graffiti History 1980–1999“.

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1 Kommentar

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  • Der ganze Spuk - Das glaub ich gern: kein Spu… - kein Spunk - laß gehn: 👻 👻 👻

    “Zum Schlafen zu schade - Sprüher, Spugestalten und Schichtarbeit:



    In Hamburg ist der Remix einer Berliner Ausstellung über „Die Nacht“ zu sehen.“



    & Däh …Spugestalten - “… Nachtgestalten, die uns diverse Künste beschert haben: Hexen und Nachtmahre, Werwolf und Vampir, aber auch die ungleich jüngere, neoromantische Popkulturverästelung namens Gothic.…“

    unterm——- servíce —



    “ In der Folge 9 der Serie sucht Pippi etwas, das sie einen „Spunk“ nennt. Nahezu alles was ihr begegnet, wird daraufhin überprüft. Ein wildes Tier wird vermutet, im Bonbonladen sucht sie mit ihren Freunden ebenso nach „Spunk“ wie im Metallwarenladen. Schließlich lässt sie sich vom Arzt auf „Spunk“ untersuchen. Dieser bescheinigt ihr nach gründlicher „Spunkuntersuchung“ beste Gesundheit.

    Astrid Lindgren hatte das Wort „Spunk“ gewählt, weil es ein Wort sein sollte, das es nicht gibt. Im Englischen gibt es dieses aber sehr wohl. Noch dazu kann es dort eine vulgäre Bedeutung haben. Daher wurde in der englischen Übersetzung stattdessen das Wort „Spink“ verwendet. Pippi Langstrumpf (schwed. Pippi Långstrump) entdeckt das neue Wort „Spunk“ erstmals 1945 in einem Buch von Astrid Lindgren. Das Wort „Spunk“ wird jedoch auch außerhalb der Werke Astrid Lindgrens benutzt. So ist „Spunk“ die Markenbezeichnung für ein sehr starkes dänisches Salzlakritz.“

    Na Mahlzeit 🥳 🎏 👺