Nachruf auf Udo Zimmermann: Sinnlichkeit und Aufbruch
In Dresden starb der Komponist und Dirigent Udo Zimmermann. Er setzte sich mit Leidenschaft für Neue Musik und junge Kollegen ein.
An Ewigkeit und Endlichkeit gemahnten die letzten Jahre Udo Zimmermanns. Auf die 70 zugehend und von einer heimtückischen seltenen Nervenkrankheit befallen, war er immer weniger ansprechbar. Seine letzte Komposition erschüttert zutiefst, ein Klagegesang für Violine, Stimme und Orchester. Den lange gehegten und bis zuletzt motivierenden Traum von einer siebten Oper „Gantenbein“ nach Max Frisch nahm er nun mit ins Grab. 78-jährig ist Udo Zimmermann vergangenen Freitag in seiner Heimatstadt Dresden gestorben.
Wer den Komponisten als einen agilen, ja im besten Sinne virulenten Menschen erlebt hat, musste seinen Verfall umso fassungsloser beobachten. Zimmermann prägte als junger Mann maßgeblich eine Komponistengeneration mit, die in beiden Teilen Deutschlands eine vergleichsweise hohe Reputation genoss.
Der Aufbruch, den in der Bundesrepublik beispielsweise der 15 Jahre ältere Karlheinz Stockhausen verkörperte, sollte in der DDR ein verordneter im Sinne des Sozialismus sein. Aber die Künste, namentlich die Musik, ließen sich nur wenig instrumentalisieren. Jedenfalls wurden auch im Osten die höchst individuellen Werke der Zeitgenossen erwartet, registriert und öffentlich debattiert.
In seiner stets sinnlich geprägten Musiksprache konnte man Zimmermann nicht zu einer um jeden Preis rebellierenden Avantgarde zählen. Sein Stil entwickelte sich aus traditionellen Dresdner Institutionen heraus. Der Kreuzchor dient eben nicht nur der musikalischen Denkmalpflege, sondern befördert auch authentische Kreativität. Früh drängte es den jungen Udo zu eigenen Notationen. Das Handwerk, er lernte es an der Dresdner Musikhochschule, auch das des Dirigierens, setzte seine Gesangsausbildung fort.
Liebe zum Musiktheater
Mit 25 Jahren avancierte er an der Berliner Akademie der Künste zum Meisterschüler bei Günter Kochan und assistierte zwei Jahre der Regielegende Walter Felsenstein. 1970 wechselte er als Dramaturg an die Staatsoper Dresden, sechs Jahre später wurde er Dozent und bald darauf Professor für Komposition an der Dresdner Hochschule.
In Erinnerung bleiben wird Udo Zimmermann als Komponist und ebenso als ein Missionar zeitgenössischen Musikschaffens. Seine Vorliebe galt dem Musiktheater, und unter seinen Opern wird wohl die „Weiße Rose“ von 1986 über den Widerstand der Geschwister Scholl stets zuerst genannt werden. Mit seither etwa 200 Produktionen zählt sie zu den meistgespielten der Gegenwart. Bekannter sind auch „Levins Mühle“ nach Johannes Bobrowski oder „Der Schuhu und die fliegende Prinzessin“ nach Peter Hacks.
Manchem war sein Stil zu agitatorisch, eine Einschätzung, die Zimmermanns Sensibilität und Nachdenklichkeit nicht gerecht wird. Spätere Instrumentalwerke wie „Dans la marche“ oder das Cellokonzert für Jan Vogler zeigen das. Ausdruck einer aus christlicher Überzeugung geborenen Friedenssehnsucht ist sein vielleicht bekanntestes chorsinfonisches Werk „Pax Questuosa“. 1982 zum hundertjährigen Bestehen der Berliner Philharmoniker entstanden, belegt es zugleich die damals schon über die DDR hinausgehende Bedeutung des Komponisten.
Zeitgenössisch akzentuierter Spielplan
Zwei Opernintendanzen unterbrachen für ein Dutzend Jahre Zimmermanns kompositorisches Schaffen. Bis 2001 bewies er in Leipzig einigen Mut, als er dem Publikum einen zeitgenössisch akzentuierten Spielplan zumutete. Weniger glücklich endeten die beiden Jahre an der Deutschen Oper Berlin, in denen ihn eine herzliche Abneigung mit dem damaligen Generalmusikdirektor Christian Thielemann verband.
Udo Zimmermann geht aber auch als leidenschaftlicher Förderer in die Musikgeschichte ein. Vorläufer des 1986 gegründeten „Dresdner Zentrums für zeitgenössische Musik“ war 1974 das „Studio Neue Musik“. Lange kämpfte er um dessen Anerkennung auch im vereinten Deutschland. Das Zentrum ging 2004 im Europäischen Zentrum der Künste am Festspielhaus Hellerau bei Dresden auf, dessen Gründungsintendant er war. In 14 Jahren förderte er in der Reihe „Musica Viva“ des Bayerischen Rundfunks 175 Uraufführungen. Michael Bartsch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
HTS als Terrorvereinigung
Verhaftung von Abu Mohammad al-Jolani?