Nachruf auf Trude Unruh: Unruhe als Lebensprinzip
Trude Unruh war Ehrenvorsitzende der früheren Partei der Grauen Panther. Wie nun bekannt wurde, ist sie bereits im Herbst gestorben. Ein Nachruf.
Bis in die frühen achtziger Jahre dominierte hierzulande das Bild von der alten Frau eine phantasierte Figur voller Omahaftigkeit, gütig bis enkeldauerverständig, duldsam, lieb und folgsam. Dann kam sie, die 1925 in Essen geborene Trude Kremer, verheiratete Unruh – und dieser Ehename sollte ihr Programm werden, als sie zunächst den Seniorenschutzbund gründete, der schließlich dank ihrer besonderen Tatkraft schließlich zur Partei „Graue Panther“ transformiert wurde.
Wer heute jung ist, mag mit alten Menschen, Frauen insbesondere, freundliche Wesen sich vorstellen, vielleicht in der taz-Leserschaft in gewisser Weise auch behütend-hippiesk, aber Unruhe war noch von anderem Kaliber. Sie war, kaum hatte sie man drei bis vier Silben reden gehört, so eine Mischung aus Resolutheit und autoritärem Beharren auf das, was sie als vernünftig erkannt hat.
Trude Unruh, nach der Mittleren Reife gelernte Sekretärin beim Krupp-Konzern, widmete in ihrer besten Zeit, und das waren die Jahre bis 1990, ihre Energie der Idee, dass es Menschen jenseits des Erwerbslebens nicht schlecht gehen darf. Eine gute Pflege, angemessene Wohnverhältnisse, eine vorzügliche Gesundheitsversorgung.
Was sich heutzutage wie ein Katalog an Selbstverständlichkeiten liest, war zu ihrer Zeit neu. Dass da eine, eher im Timbre der daueranklagenden und angebitterten Inge Meysel denn mit dem Klang der vornehmen Lil Dagover, mit offensiver Rhetorik Besserungen, ja, konkrete Politiken einforderte, kam für manche einer moralischen Brüskierung: Die Unruh – die treibt's aber langsam etwas zu weit.
Die Frau aus dem Ruhrpott wusste aber immer, dass man mit Leisetreterei kein Schrittchen weiterkommt. Der taz-Kollege Klaus-Peter Klingelschmitt beschrieb sie 1990 einmal so: „Die politisch streng populistisch ausgerichtete Medientigerin“, was sich darauf bezog, dass sich die „Graue Panther“-Promi (und spätere Ehrenvorsitzende) auch hinter dem Zenit ihrer politischen Relevanz nicht bescheidener scheinen wollte. Das war, als sie auf einer Mitgliederversammlung – ihr allesamt Schnarchnasen ohne Pep – ihren Unmut über die Mitgliedschaft nicht verhehlen wollte, weil diese es nicht vermochten, irgendeinen Wahlgang mit Entschlossenheit hinter sich zu bringen.
Ein Deal mit den Grünen
Sie schaffte es, mit den Grünen nach der Bundestagswahl 1987 eine Art politischen Deal auszuhandeln: Dass sie für das Programmatische zur Altenpolitik zuständig sei – so zog sie in jenem Jahr, das für Bundeskanzler Helmut Kohl erfolgreich sein würde, in den Bundestag ein.
Ihr politischer Weg war ansonsten von Diversität grundiert: Sie war da, wo sie sich für ihre Anliegen (und sich) die größte Effizienz versprach. Von 1968 bis 1973 war sie Mitglied der Sozialdemokraten, in ihrer Heimat so naheliegend wie in Bayern das CSU-Parteibuch, wechselte aber 1973 (bis 1978) zu den Liberalen. 1978 war auch sie vom nahenden ökoalternativen Zeitgeist mitgenommen: So wurde sie 1978 Mitbegründerin der Partei Grüne Aktion Zukunft in Nordrhein-Westfalen, 1979 dann der Grün-Alternativen Liste. Die Grünen wussten, welche Popularität eine wie sie unter, wie es immer schönredend hieß, SeniorInnen genießt. Die Allianz zerbrach indes 1989 mit der von Trude Unruh betriebenen Parteigründung „Die Grauen Panther“.
So oder so: Ohne sie wäre die Idee – und die entsprechenden politischen Programme – von einem humanen, nicht nur abgeschobenen Alter in Deutschland nicht so in der Debatte gewesen. Unruh hat dafür alles getan – und war sich für keine Bühne, für keinen Streit zu schade. Mit ihr lernte die Republik, dass Alte im Zweifelsfall viele Haare auf den Zähnen haben können.
Dass Unruh selbst als unduldsam, ja, herrisch ihren AltergenossInnen gegenüber geschildert wird, mag ein Moment von Tragik enthalten. Sie sprach von sich und ihrer Art als „Trudismus“, und diese Haltung lebe vom Unfrieden mit dem Kapitalismus, der die Menschenwürde nicht achte.
Wie erst jetzt bekannt wurde, ist sie – als demente Frau – bereits im vorigen November gestorben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann