Nachruf auf Schimon Peres: Immer der Zweite
Peres stammte noch aus einer Welt ohne den Staat Israel. Am Mittwoch ist der Politiker und Nobelpreisträger im Alter von 93 Jahren verstorben.
Es gibt kein wichtiges Regierungsamt, das Peres nicht irgendwann besetzt hätte. Er war Regierungschef, Staatspräsident und Nobelpreisträger. Seinen Traum vom Frieden mit den Palästinensern konnte er sich nicht erfüllen. „Es gibt noch immer eine Welt zu heilen“, sagte Peres in seiner Abschiedsrede vor zwei Jahren als Staatspräsident. Der 93jährige erlag am frühen Mittwoch morgen den Folgen eines schweren Schlaganfalls.
Am 2. August 1923 erblickte er als Sohn der Eheleute Persky im heute weissrussischen Wischnewa, einem jüdisches Shtetl mit nur 1500 Einwohnern, das Licht der Welt. In seinen 1995 auf deutsch erschienenen Memoiren mit dem Titel „Shalom“ („Frieden“) erinnert sich Peres an das Talmudstudium bei seinem Großvater und die frühe Erkenntnis, „dass nichts auf der Welt nur eine Seite hat“. Das Kind war gottesfürchtig und stritt heftig mit seinen Eltern, als sie ausgerechnet an einem Sabbat ihren eben erstandenen „Radioapparat“ anschalteten. Den erwachsenen Peres konnte man allenfalls auf Beerdigungen mit einer Kipa (Kopfbedeckung frommer Juden) sehen oder bei Besuchen in der Holocaustgedenkstätte Yad Vashem.
Mit dem Zug bis nach Istanbul und weiter auf einem polnischen Dampfer erreichte Peres als elfjähriger Tel Aviv, besuchte dort das Gymnasium und ging anschließend auf ein landwirtschaftliches Internat in Ben Schemen. Kühe melken, Weizen aussähen und ernten stand auf dem Lernprogramm und wie man mit einer Pistole umgeht. In Ben Schemen lernte Peres, Verantwortung zu übernehmen, für das Kollektiv zu denken, er las das Kapital von Karl Marx und traf seine spätere Frau Sonia, mit der er eine Tochter und zwei Söhne haben sollte. Der fromme Shtetl-Jude entpuppte sich zu einem zionistischen Sozialdemokraten.
Schwieriges Verhältnis zu Rabin
David Ben-Gurion, Israels erster Regierungschef, wurde auf den jungen Parteigenossen von der Mapai (Vorläufer der Arbeitspartei) aufmerksam, der inzwischen aus dem polnischen Persky ein hebräisches Peres gemacht hat, und nahm ihn unter seine Fittiche. Die beiden Männer verstanden sich auf Anhieb und ein Leben lang, was nicht unbedingt typisch für Peres ist. Mit Golda Meir, die Jahre später Regierungschefin wurde, und auch mit Izchak Rabin war sein Verhältnis schwieriger. Einen „ewigen Intriganten“ schimpfte Rabin einst seinen Parteigenossen, mit dem er jahrzehntelang Machtkämpfe ausfocht.
Eine der ersten Aufgaben des jungen Peres war die Waffenbeschaffung. Er selbst war zwar nie ein großartiger Soldat, aber er verstand sich darauf, Israels Sicherheitspolitik vom Schreibtisch aus voranzutreiben. Paradoxalerweise hinterließ der Politiker, dem wie keinem anderen der Ruf anhing, um Versöhnung mit den arabischen Nachbarn zu ringen, seine tiefsten Spuren in der Zeit als Staatssekretär und Minister für Verteidung. Peres gilt als Vater des israelischen Atomwaffenprogramms. „Die Araber sind nicht unsere Feinde, aber die Politik des Mordes ist es“, rechtfertigte er Jahre später seine Haltung zur israelischen Sicherheitspolitik.
Ob es die militärischen Orden waren, die Peres nicht bieten konnte oder seine Selbstüberschätzung, dass er Kampagnen nicht nötig habe – Tatsache ist, dass er sich bei Wahlen nur ein einziges Mal durchsetzen konnte. Erst 2007 ernannte ihn das Parlament zum Staatspräsidenten. Schon sieben Jahre zuvor hatte Peres für das höchste Amt im Staat kandidiert und den Kürzeren ziehen müssen. Die Abgeordneten entschieden sich damals überraschend für den wenig charismatischen Mosche Katzaw vom Likud.
Vermittler, nicht Führer
„Ich bin ein Versager?“, rief Peres im Mai 1997 von der Bühne vor dem Parteitag. „Jaaa!“, antworteten die Genossen im Chor. Peres war der ewige Zweite, auch in den Reihen der eigenen Partei. Als Nummer zwei funktionierte Peres besser, vor allem unter Izchak Rabin, der seinem Außenminister freie Hand ließ bei den geheimen Verhandlungen mit der PLO (Palästinensische Befreiungsorganisation).
Im September 1993 reichten PLO-Chef Jassir Arafat und Israels Regierungschef Rabin einander zum ersten Mal die Hand. Sie vereinbarten die Osloer Prinzipienerklärung über das gemeinsame Streben nach zwei Staaten für die zwei Völker. Arafat, Rabin und Peres sind kurz darauf mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden. Rabin zahlte mit seinem Leben.
Nur wenige Monate nach dem Mordanschlag blieb die Arbeitspartei unter Peres, der die Nachfolge Rabins antrat, bei den Parlamentswahlen knapp hinter dem Likud unter Benjamin Netanjahu. Peres hat sich die schwindende Popularität im Volk und in der Partei selbst zuzuschreiben. Kaum ein halbes Jahr lag zwischen dem Tod Rabins und Neuwahlen. Zeit genug für ihn, um zwei fatale Fehler zu begehen.
Er gab dem Drängen der Geheimdienste nach, die eine Gelegenheit erkannten, um den damals meistgesuchten Terroristen Jachije Ajasch zu exekutieren. Peres signalisierte Grünes Licht. Eine im Telefonhörer versteckte Sprengstoffladung riß dem berüchteten Ajasch kurz darauf den Kopf von den Schultern. Die Hamas rächte sich mit einer Serie von Terrorattentaten. Dutzende Zivilisten, darunter viele Kinder, starben bei Sprengstoffexplosionen in Tel Aviv und Jerusalem. Jede Bombe trieb Israels Wähler weiter nach rechts in die Arme des konservativen Likud-Spitzenkandidaten Benjamin Netanjahu, der mit dem Versprechen für mehr Sicherheit lockte. Die Friedensverhandlungen mit den Palästinensern lagen auf Eis.
Umstrittene Friedenstaube
Beinah noch schlimmer war die Fehlentscheidung über die Operation „Früchte des Zorns“ und die Angriffe auch auf zivile Ziele im Libanon. Bei einem fehlgeleiteten israelischen Luftangriff auf das Dorf Kana im Südlibanon starben über hundert Zivilisten. „Uns treibt weder Blut noch Abenteuer“, kommertierte er damals sichtlich erschüttert. Die Stimmen der arabisch-israelischen Staatsbürger hatte Peres verspielt. Die Araber boykottierten den Urnengang. Manch einer hat es ihm bis heute nicht verziehen.
Einen „Tyrannen“ schimpfte ihn der Abgeordnete Basel Ghattas von der antizionistischen Vereinten Liste. Peres sei „für Kriegsverbrechen verantwortlich“. Noch während Israel um die Gesundheit des Ex-Präsidenten bangte, ließ der arabisch-israelische Abgeordnete seinem Zorn freien Lauf. Peres habe den Palästinensern großen Schaden zugefügt und es all dem zum Trotz geschafft, „sich selbst als Friedenstaube zu portraitieren“.
Im Ausland mehr als unter den eigenen Landsleuten genoß Peres, der Bücherwurm, der stets ein passendes Zitat oder eine Volksweisheit parat hielt, als Visionär des Neuen Nahen Ostens großes Ansehen. Wenn Peres von der Notwendigkeit sprach, Israel als jüdischen Staat zu definieren, klang es eben anders, als aus dem Munde eines Netanjahus – vor allem in den Ohren seiner bei der Sozialistischen Internationale gewonnenen zahllosen Freunde.
Peres liebte die Anerkennung und genoß es, im Mittelpunkt zu stehen. Seinen 90. Geburtstag feierte er großartig im Beisein von hunderten geladenen Gästen, darunter Ex-US-Präsident Bill Clinton, Robert de Niro und Barbara Streisand.
In den sieben Jahren als Staatspräsident gewann Peres auch unter seinen Landsleuten an Sympathie. Eine seiner letzten wichtigen Amtshandlungen war die Unterschrift als Präsident unter die Begnadigung von über eintausend Palästinensern, die Israel im Geiselaustausch für den entführten Soldaten Gilad Shalit aus der Haft entließ. Ohne politische Lösung, werde ein Frieden niemals möglich sein. Peres warnte stets davor, die Arabische Initative zu ignorieren. Am Ende müsse Israel Seite an Seite mit dem „arabischen Staat Palästina“ existieren. Das noch zu Lebzeiten gegründete Schimon-Peres-Friedenszentrum in Tel Aviv soll seine Arbeit solange fortsetzen, bis dieses Ziel erreicht ist.
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