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Nachruf auf Richard von WeizsäckerSo viel mehr als eine Rede

Im Gedächtnis bleibt der „Tag der Befreiung“. Der Altbundespräsident war vielschichtig und streitbar – und wird über seinen Tod hinaus wirken.

Richard von Weizsäcker im November 2014 in Hamburg Bild: dpa

Kaum jemanden haben die Deutschen so respektiert, ja sogar verehrt wie Richard von Weizsäcker. Ihm ist gelungen, was viele Politiker sich wünschen, aber nur sehr wenige erreichen: Über Jahrzehnte hinweg galt er als unangefochtene moralische Instanz im Land. Das verrät allerdings mindestens ebenso viel über das Selbstbild der Deutschen wie über den ehemaligen Bundespräsidenten, der am Samstag im Alter von 94 Jahren in Berlin gestorben ist.

Richard von Weizsäcker hatte in seinem Leben viele politische Ämter inne. Er war Abgeordneter des Bundestages und dessen Vizepräsident, er war Leiter der Grundsatzkommission der CDU, Regierender Bürgermeister von Berlin und Staatsoberhaupt. Über seinen Tod hinaus im Gedächtnis bleiben wird er jedoch nicht mit einer Entscheidung oder entschlossenem Handeln im Angesicht einer Kontroverse. Sondern mit einer Rede.

Am 40. Jahrestag des Kriegsendes, am 8. Mai 1985, fand der damalige Bundespräsident vor dem westdeutschen Parlament jene Worte, die bis heute über Grenzen der politischen Lager hinweg als erlösend empfunden werden: Der Tag sei für die Deutschen kein Grund zum Feiern, so von Weizsäcker, wohl aber ein „Tag der Befreiung vom menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.“ (Rede im Wortlaut)

Das war mehr als eine unmissverständliche Distanzierung vom Faschismus. Das definierte den Nationalsozialismus als unvergänglichen Teil der deutschen Vergangenheit. Zugleich aber legte der Ausdruck „Befreiung" den Gedanken nahe, auch die Mehrheit der Deutschen sei vom nationalsozialistischen Regime unterdrückt worden - und nicht etwa Teil dessen gewesen. Eine Formulierung, die auf den ersten Blick provokant und mutig wirkte, enthielt zugleich eine Botschaft, die Mitläufer entlastete.

Strebsam, aus gutem Haus

Gustav Heinemann, einer der inzwischen fast vergessenen Vorgänger von Richard von Weizsäcker im Amt des Bundespräsidenten, hatte während des so genannten Dritten Reichs illegal Flugblätter für die Bekennende Kirche hergestellt und verbreitet. Der ehemalige Bundeskanzler Willy Brandt, bis heute eine Ikone der Sozialdemokratie, war Widerstandskämpfer gewesen. Für ihre Vergangenheit bewundert wurden beide Männer allenfalls von einer Minderheit. Richard von Weizsäcker, ein strebsamer Sohn aus gutem Hause, war als Vorbild offenbar besser geeignet.

Es würde der damaligen Situation nicht gerecht, wollte man unterstellen, es sei Richard von Weizsäcker vor allem um eine Selbstentschuldung der Deutschen gegangen, als er zum 40. Jahrestag des Kriegsendes vor dem Bundestag sprach. So einfach ist es nicht. Dazu hat er sich bis zu seinem Tod allzu intensiv und schmerzhaft mit der Frage politischer Schuld auseinandergesetzt. Auch und vor allem aus persönlichen Gründen.

Richard von Weizsäcker wurde 1920 in Stuttgart geboren. In Verhältnisse, die für die Ewigkeit gemacht zu sein schienen: Gesichert, bildungsbürgerlich - ungeachtet des nicht allzu bedeutenden Adelstitels -, respektiert. Der Vater war Diplomat. Und blieb es, auch nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten.

In den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen wurde Ernst Freiherr von Weizsäcker wegen „Verbrechens gegen die Menschlichkeit" vor Gericht gestellt und zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Ein Urteil, das der Sohn Richard auch Jahrzehnte später noch als „ungerecht" bezeichnen sollte. Der spätere Jurist, damals noch Student, hatte an der Verteidigung seines Vaters mitgearbeitet. Der erst Deportationsbefehle für Juden nach Auschwitz unterzeichnet und dann behauptet hatte, vom Holocaust erst nach dem Krieg erfahren zu haben.

Brücken schlagen

Was kann, was darf ein Nachgeborener denen vorwerfen, die - um mit Bertolt Brecht zu sprechen - in „finsteren Zeiten" gelebt haben? „Eine Distanzierung vom Vater wäre ihm ehrenrührig vorgekommen," sagt der Publizist Gunter Hofmann, der ein hoch gelobtes Porträt über Richard von Weizsäcker veröffentlicht hat. „Objektiv ist er mit seiner Rede zum 8. Mai 1945 aus dem Schatten des Vaters getreten, aber eben nicht subjektiv."

Vielleicht, nein: wahrscheinlich liegt darin der Schlüssel zum Wirken von Richard von Weizsäcker. Lebenslang hat er versucht, Brücken zu schlagen zwischen Positionen, die unvereinbar zu sein schienen. Zu einem Zeitpunkt, zu dem die Ostverträge für heute unvorstellbare innenpolitische Zerwürfnisse sorgten, suchte er nach einem Ausgleich. Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze als Ausdruck konkreter Friedenspolitik, ja, unbedingt. Einerseits.

Andererseits aber wollte er auch nicht zu weit gehen und sich der Mehrheit seiner Parteifreunde nicht entfremden. Zu einer Zustimmung zum Moskauer Vertrag von 1970, in dem die Grenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR als unverletzlich erklärt wurde, konnte er sich nicht durchringen. Zugleich kämpfte er erfolgreich gegen ein „Nein". Stimmenthaltung war der Ausweg. Hat er damit die Ratifizierung des Vertrages überhaupt erst ermöglicht - oder war er zu feige, seine wahre Überzeugung offen darzulegen?

Darüber werden Historiker vermutlich noch lange streiten. Und wenn man das nicht als Floskel schreibt, sondern ernst meint, dann ist das ja auch ein Hinweis auf die geschichtliche Bedeutung eines Menschen. Dass er noch über seinen Tod hinaus für Kontroversen sorgt - weil es eben nicht gleichgültig ist, was er wollte.

Vereinen heißt teilen

Hinweise auf die Gesellschaft, in der er zu leben wünschte, gibt es. Immerhin. Auf dem Höhepunkt rechtsextremer Ausschreitungen gegen Ausländer zu Beginn der 90-er Jahre wandte sich Richard von Weizsäcker - vergeblich - gegen die Beschneidung des Rechts auf Asyl und eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes.

Fast zeitgleich warf er der „Politikerschicht" vor, sie erliege einer „Machtversessenheit in Bezug auf Wahlkampferfolge". Im Hinblick auf den deutschen Vereinigungsprozeß mahnte er, sich zu vereinen lernen hieße: teilen lernen. Und im März 1993 appellierte Richard von Weizsäcker an die Politikerinnen und Politiker in Deutschland, ihre Führungsverantwortung wahrzunehmen und die Achtung der Bevölkerung zurückzugewinnen.

Manchmal greift das kollektive Gedächtnis und der Respekt vor dem vermeintlichen Kern einer Lebensleistung vielleicht doch allzu kurz. Ob man Richard von Weizsäcker wirklich gerecht wird, wenn man ihn auf seine Rede von 1985 zum Thema 1945 reduziert? Wahrscheinlich sagen seine weniger beachteten, aber deutlich unbequemeren Äußerungen zur jeweiligen Gegenwart mehr - und Besseres - über ihn aus als seine Einschätzung der Vergangenheit. Sie lassen sich allerdings auch weniger leicht beerdigen.

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28 Kommentare

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  • In meinen Augen war Richard von Weizsäcker der beste Bundespräsident, den dieses Land jemals hatte. Er hat mit seiner viel zitierten Rede am 8. Mai 1985 dem Ende des Krieges und des Nationalsozialismus eine Bewertung verliehen, die heute gesellschaftlicher Konsens ist, seinerzeit aber provokant und verstörend wirkte. Und wie souverän und solitär dieser Mann im Vergleich zum sonstigen Politpersonal seiner Zeit war, ließ sich drei Jahre später beobachten, als Philipp Jenninger, als Bundestagspräsident die nominelle Nummer Zwei im Staate, in seiner Rede am 9. November 1988 über das berüchtigte „Faszinosum“ stolperte und binnen Stunden vom Amt zurücktrat.

  • @Stefan Weinert -

     

    da sagen Sie was -

    es gibt eines dieser typischen Familienfotos - der Weizsäckers

    (meine Mutter04 zu dieser Sorte Verwaltungsadel - Stall voll Kinder/Jungs jeder inner anderen Pachtei - man weiß ja nie - (über die benachbarten geschätzten Schlabrendorffs)

    und da können Sie leicht den prägnanten Unterschied der beiden studieren;

    (ich hab mich immer gefragt - wie man als wannebe mit so einem älteren Überflieger als Schatten durchs Leben kommt; in seinen Erinnerungen - nix wirklich; - wie zum ein paar Kilometer weiter erschossenen Bruder - ein karger Satz)

  • @GION

    wie schon geschreddert angemerkt -

    Weizsäcker hat - was sich auch an dem Spiegelartikel zeigt - seine Positionwie auch sonst gern bei Boehringer grob eitel - überschätzt;

    "typischer adliger Grüßaugust" -

    (mein in dieser (Nachkriegs)Zeit als Großhändler mit der Firma geschäftsverbandelter Vater)

  • Man sollte auch beim Tod eines Menschen aus Pietät nicht vergessen, dass er trotz allem nur ein Grüß-Gott-Onkel wie jeder Bundespräsident war. Heinemann war insofern eine Ausnahme, weil er ein integerer Mensch lange Zeit seines Lebens war. Das ist schon eine Qualität für einen Bundespräsidenten, den andere nicht aufweisen konnten.

     

    Die so oft genannte Rede fand ich nicht bemerkenswert. Ich kenne keine Deutschen, die außerhalb der Konzentrationslager die Alliierten als Befreier gesehen haben. Die Rede hat die Debatte darüber, warum fast alle Deutschen problemlos mit dem Naziregime zusammengearbeitet haben, es ja auch zum Teil selber waren, eher erschwert.

    • @Age Krüger:

      Sie müssen sich in merkwürdigen Kreisen bewegen, wenn Sie keinen Deutschen kennen, der die Alliierten als Befreier sieht.

      • @Arcy Shtoink:

        Ach Arcy, nehmen Sie mal Ihr Gebiss raus und legen Sie sich erst mal Schlafen - morgen ist auch noch ein Tag!;-)

    • @Age Krüger:

      "Ich kenne keine Deutschen, die außerhalb der Konzentrationslager die Alliierten als Befreier gesehen haben."

       

      Für die Masse der jüngeren Jahrgänge die überwiegend oder ganz in der Nazizeit sozialisiert wurden stimmt das wohl zum großen Teil.

       

      Im Osten kam ja auch noch allgemeine und begründete Panik vor dem Strafgericht der "Roten Armee" dazu.

       

      Zumindest im Westen Deutschlands haben aber wohl nicht wenige auf den Einmarsch der Amis und Tommis klammheimlich gewartet.

      Meist waren es die Älteren der Jahrgänge vor 1900.

       

      In unserem Heimatdorf gingen, nachdem sich die lokale Parteiprominenz heimlich verpisst hatte einige WK I Veteranen den Amis mit weißen Fahnen entgegen (Namen mir bekannt!), der Volkssturm löste sich zuvor stillschweigend auf, widerstandswillige Wehrmachtsangehörige wurden vor allem von den älteren Frauen zum Abzug bequatscht (Namen mir bekannt!), mehrere Deserteure, zwei polnische und ein französicher Fremdarbeiter die z.T. inzwischen auf den kleinen Bauerhöfen "Familienanschluss" hatten wurden vor den eigenen abziehenden Leuten auf Dachböden, Kellern und Heuschobern versteckt.

       

      Als die Amis dann durch waren war es zumindest für diese Menschen auch eine Befreiung.

      • @Waage69:

        Ich kenne leider wenig Berichte von Dörfern oder auch aus dem städtischen Proletariat,

        Tatsächlich ist richtig, dass meine Großeltern, die beide vor 1900 geboren waren, keine großen Anhänger der Nazis waren, meine Oma musste sogar mal wegen ihrer Judenfreundlichkeit und einer Auseinandersetzung diesbezüglich mit einem jungen SS-Mann beim SD erscheinen.

        Aber: Zumindest die Schicht, aus der meine Großeltern stammten, hatten auch schon nicht die besten Erfahrungen mit Besatzern nach dem I.WK gemacht. Insbesondere im Rhein-Ruhr-Gebiet war auch da Angst wohl vorhanden.

        Und es kommt eben hinzu, dass diese Generation auch Kinder hatte, die eben nach 1900 geboren war. Die waren dann schon zum Teil, auch, weil sie gar nichts anderes kannten, in den NS-Apparat reingewachsen. Dass man als Eltern bei aller Freude über das Ende der Naziherrschaft den Kindern nichts schlimmes wünscht, ist auch verständlich. Ganz zu schweigen davon, dass auch Nazigegner, wenn sie überleben wollten, eine bestimmte Anpassung an das System leisten mussten. Zumindest in den Gedankengängen des relativ gut betuchten Bürgertums war es wieder nur ein Wechsel von der einen Fremdbestimmung zur nächsten.

        Da kam wenig Grund zum Feiern über eine Befreiung auf.

        • @Age Krüger:

          Wie es beim Proletariat war weiss ich auch nicht. Bei den alten Anhängern der SPD, der KPD und den Anarchisten und meinetwegen auch Zeugen Jehowas wird das Kriegsende aber wohl auch herbeigesehnt worden selbst wenn die eigenen Kinder inzwischen Nazis und/oder Soldaten waren.

           

          Zwar nicht aus meiner Ecke aber sehr bewegend und halbwegs aktuell nochmal zur Situation auf dem Lande:

           

          Jürgen Bertram; Das Drama von Brettheim. Eine Dorfgeschichte am Ende des Zweiten Weltkriegs. Frankfurt am Main 2005.

           

          Wenn Sie keine Zeit für ein ganzes Buch haben googeln Sie mal nach den "Männern von Brettheim"

           

          In Lichtenau bei Paderborn, schon eher meine Ecke, ist kurz vor Kriegsende auch ein Ding passiert das an der durchgehenden linientreue aller ReichsbürgerInnen zweifeln ließ...

           

          Ich will aber nicht relativieren:

          für die Mehrheit der Deutschen die ja auch eindeutig insgesamt das Tätervolk waren, war das Kriegsende eine Niederlage. Weizsäckers Worte der Befreiung sind also als auch als rhetorischer Kunstgriff und wirkungsvolle Aufforderung zum Perspektivwechsel zu sehen.

           

          Weiter unten habe ich noch einen etwas anders akzentuierten Deutungsversuch angehängt.

          Es gibt hier wohl mal wieder viele Wahrheiten.

      • @Waage69:

        So, noch ein kleiner Nachtrag den ich an anderer Stelle schon mal in etwas längerer Form abgeschickt habe, von der Seite stammt auch das wie ich finde sehr passende Zitat von Mitforisten @Gutsche:

         

        Eventuell meinte der Verstorbene mit der Befreiung im direkten Wortsinn auch die "Befreiung" der damaligen Tätergeneration aus belastenden eigen- und fremdgesteuerten zwanghaften verbrecherischen Handlungsweisen.

         

        Auch aus diesem Grunde denke ich, dass er trotz seiner Verwicklungen dem untergegengenen NS Staat keine Träne nachgeweint hat und wohl kein flott gewendeter und weiterhin verkappter Altnazi war.

         

        Deshalb ist es berechtigt wenn

        @Reinhardt Gutsche schreib!:

         

        "(...)Mit seiner Amtsführung hatte er die moralisch-politische und staatsmännische Meßlatte für dieses Amt sehr hoch gelegt. Für jeden seiner Amtsnachfolger wurden die Stiefel, die sie schlüpfen mußten, immer größer. Der derzeitige scheint sich permanent darin zu verlaufen.(...)"

    • @Age Krüger:

      "Aus gutem Hause". So sagen wir oft, wenn eine Familie hohes Ansehen genießt.

       

      Seinen Vater verteidigte Richard von Weizsäcker er vor dem Nürnberger Kriegsverbrecher Tribunal. Über seinen Bruder Carl Friedrich lesen wir in der Welt:

       

      http://www.welt.de/kultur/history/article13680234/Carl-Friedrich-von-Weizsaecker-hat-wohl-gelogen.html

      • @Gion :

        Um so schräger - daß es ausgerechnet die Weizsäcker-Gang - unter Federführung Richies war - die unlängst mit der schwer verlogenen Geschichtsklitterung überraschte -

        Heisenbergs Gang zu seinem Ziehvater Niels Bohr - Dänemark/Norwegen war besetzt - habe gar nicht dem unsäglichen Ansinnen gedient - diesen zur Mitarbeit am Nazi-A-Bomben-Projekt zu gewinnen -

        sondern habe die - wg Mißverständnis - mißlunge Warnung der Amerikaner zum Inhalt gehabt;

        zudem war auch der Herr H. - im Spiegel anhand der verschiedenen Entwurfsvarianten fein dokumentiert -

        gelinde gesagt - sehr nonchaland im Umgang mit der Wahrheit über seine Tätigkeit im braunen DEUTSCHEN TAUSENJÄHRIGEN.

        • @Lowandorder:

          ... als (...) weiterführende Lektüre lese ich im FREITAG

           

          https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/einer-dem-man-glaubt

          • @Gion :

            Danke -

            "…Ernst Kindhauser besprach 1997 in der Züricher Weltwoche Richard von Weizsäckers Erinnerungen und stellte fest: "Der bisweilen sehr farbig erzählende Weizsäcker verfällt bei den Schilderungen aus der Kriegszeit in eigentümliche Wortkargheit."…"

             

            genau das - fiel mir beim Vorabdruck im Spiegel auch auf -

            diese nunja Reduktion ist klassisches Zeichen für Vertuschung bis hin zur dreisten Lüge qua - weiß ich nichts von.

      • @Gion :

        Naja, seinem Bruder ist es wenigstens später wohl sehr peinlich gewesen, wie er sich in der Nazizeit verhalten hat.

         

        Zumindest hat der die Kandidatur zum Bundespräsidenten ausgeschlagen.

        • @Age Krüger:

          Es ist ihm sogar mehr, als nur "peinlich" gewesen. In seinem Buch "Der Garten des Menschlichen" beschreibt er ausführlich, wie er (Zitat:) "für die Pseudo-Ausgießung des Heiligen Geistes von 1933" empfänglich gewesen sei, wie sehr er ideologisch infiziert und begeistert gewesen sei und das er mit einem "unverdient sauberen (Entnazifizierungs-)Fragebogen aus der Zeit heruasgekommen" ist. Das ganze Buch ist eine beinahe bis zur Selbstzerfleischung reichende Abrechnung seiner eigenen Person. Es gab viele, sehr viele, die in der NS-Zeit Positionen und Posten bekleidet haben, mir sind nur wenige bekannt, die so offen und tabulos ihr eigenes Wirken reflektiert haben. Das versöhnt mich ein wenig mit ihm und verdient durchaus gewissen Respekt - selbst wenn man sich die Einsichten früher gewünscht hätte...

        • @Age Krüger:

          danke, das wußte ich nicht - es gereicht ihm zur Ehre!

  • Es ist leicht nach KZ-Heinrich, Wander-Karl, Hochaufdemgelbenwagen, Bruder Johannes, Ruckerherzog und gar Dompfaff aufzuragen -

     

    Aber - in der tat -

    Eine - nicht die hier genannte - wird -

    parallel mit der Willy Brandts gehalten -

    über den Tag hinaus wirken -

     

    Als diese beiden klug, unnachsichtig und bar der sonst üblichen Duckerei - internatinal öffentlich dem Aussitzer Dr.Helmut Nimbes Kohl mit Erfolg in den ausladend-bräsigen erlängerten Rücken traten - ohne in ausdrücklich zu nennen - das war wahrlich nicht nötig -

    Als dieser Herr Selbsbeweihräucher sich in gewohnter Manier qua Aussitzen anschickte - die einmalige situativ begrenzte Chance (Gorbis Stern sank erkennbar) der Wiedervereinigung zu vergeigen; ~>durch die dann doch dies garantierenden 4:2-Gespräche.

     

    @GION - ja -Einen hatten wir -

    aber der - spielte halt in einer anderen Liga.

  • Wenn ich das derzeit agierende politische Personal an dem Vorbild Richard von Weizsäcker messe, überkommt mich das Grausen.

     

    Dieses Ausmaß an Charakter, Integrität, Stil, Moral und Ethik ist in Deutschland leider nicht mehr zu finden unter deutschen Politikern

  • Er war sicher ein Mann von Format im besten Sinne des Wortes. Eine Eigenschaft, die man bei den Protagonisten der Politik heute leider kaum noich antrifft, von Attributen wie Kompentenz und Bildung garnicht zu reden.

  • Die Lebensleistung von Richard von Weizsäcker ist noch um einiges katastrophaler, als es dieser Artikel vermuten lässt. Denn durch die Verteidigung seines Vater gehörte Weizsäcker nicht nur zu jenen Figuren der deutschen Nachkriegsgeschichte, die das große Schweigen, ja die Unfähigkeit zu trauern in besonders exponierter Form mitverantwortet haben - um sich dann allerdings mit einer wachsweichen, die eigentlichen Konfliktlinien zuschüttenden Rede plötzlich an die Spitze jener Bewegung zu setzen (und dieser dabei den Stachel zu ziehen), die sich bereits seit den 1950er Jahren für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Geschichte des Nationalsozialismus eingesetzt hat (von Aktion Sühnezeichen über Vertreter der Kritischen Theorie bis hin zu beträchtlichen Teilen der sog. 68er Bewegung). Nein, Richard von Weizsäcker hat im Rahmen seiner leitenden Tätigkeit für den Chemiekonzern Boehringer auch den massenhaften Verkauf von jenem Pflanzengift mitgetragen, das die USA im Vietnamkrieg als Entlaubungsmittel unter dem Namen Agent Orange in rauhen Mengen über den Wäldern des südostasiatischen Landes abgeworfen haben - mit katastrophalen Konsequenzen bis heute, wie beispielhaft einem 2012 im Freitag erschienenen Artikel zu entnehmen ist, inklusive einem langen Leser-Kommentar, in dem die diesbezügliche Verwicklung von Weizsäcker genau geschildert wird: https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/am-rand-der-eukalyptuswalder Auch hierzu hat sich Weizsäcker später nie ernsthaft geäußert, geschweige denn, dass er in irgendeiner Form sein Bedauern geäußert hätte. Schließlich sei noch darauf verwiesen, dass Weizsäcker als regierender Bürgermeister von Berlin eine knallharte Politik gegenüber Flüchtlinge gefahren ist - weit entfernt von jeder ernsthaften Menschenrechtsorientierung!

  • die taz erinnert heute an einen der Vorgänger von Richard von Weizsäcker:

     

    "(...) Gustav Heinemann, einer der inzwischen fast vergessenen Vorgänger von Richard von Weizsäcker im Amt des Bundespräsidenten, hatte während des so genannten Dritten Reichs illegal Flugblätter für die Bekennende Kirche hergestellt und verbreitet.(...)"

  • die Reise nach Moskau war eine entscheidende Reise von Weizäcker gewesen, in seiner Amtszeit als Bundespräsident. Das öffnete damals die Türen zum Mauerfall. Das war 1988, es geschah als Bundespräsident, der mit dieser Reise in die geschäftlichen Angelegenheiten des Bundeskanzleramts mit eingriff. Eine Einmaligkeit eines Bundespräsidenten. Weizäcker war auch immer ein Kritiker der Kohl CDU in der Phase der Wiedervereinigung gewesen

    • @Blingbling:

      Aber beide Männer trennten nicht nur politische Positionen, sondern auch ihre jeweilige Herkunft. Helmut Kohl stammte aus einfachen Verhältnissen, war Sohn eines Finanzbeamten, aufgewachsen in einem Ludwigshafener Industrievorort.

       

      Einfache, aber durchaus ehrenwerte Verhältnisse, wie ich finde.

      • @Gion :

        Aber solche Verhältnisse sind natürlich kein Versprechen für alle Zeit.

  • Weizsäckers Rede zum Kriegsende fand vor allem deshalb solche Beachtung, weil sich die Deutschen Burschenschafter von der Formulierung "Tag der Befreiung" so vehement distanzierten. Zur Erinnerung: Die Burschenschaftler fungieren ja in Deutschland bis heute als selbsternannte Keimzelle juristischer und politischer Laufbahnen. Kaum ein Politiker Nachkriegsdeutschlands in Amt und Würden - ob nun mit Begabung oder ohne - der sich nicht irgendwann des weltumspannenden Netzwerks der Burschen bedient hätte.

    Der Tod verzichtete schon immer großzügig auf einen Ariernachweis - bei der Deutschen Burschenschaft sieht das inoffiziell wohl nach wie vor anders aus.

  • Richard von Weizsäcker war einer der wichtigsten Bundespräsidenten der BRD. Keiner der nach ihm kam konnte sein Integrität und Kompetenz ersetzen. Daran kann man sehen das die Vergangenheit und familiäre Abkunft nicht dem erleben und erfahren in Objektivität unterliegen muss. Er hat die Nähe zur Nazivergangenheit seiner Familie wie seine Geschwister intelektuell und menschlich überlebt und so auch sein Amt europäisch und weltoffen ausgeübt. Keiner der nach ihm, kam hatte diese Gabe. Er war autark in all seinem handeln. Vielleicht auch politisch so gewollt. Aber er hatt´zeigen können wie es auch anders gehen könnte. Das ist die Botschaft seiner Amtszeitbund sie gab Mut für die neue Zeit.

    Leider ist diese neue Zeit nun Vergangenheit. Ich wünsche mir eine neue neue Zeit in der Deutschland sich endgültig von der Nazi-Vergangenheit befreit politisch und intelektuell. Kein Krieg und kein Kriegseinsatz von deutschem Boden mit deutschen Soldaten. Keine neuen Kolonien in der Fremde. Ein Land das sich und seine Nachbarn achtet und sich mit ihnen Materiell und geistig austauscht und ergänzt. Ganz im Sinne Weizsäckers und aller Humanisten.