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Nachruf auf Regisseur David LynchMeister des derangierten Kinos

Der Regisseur David Lynch schuf Albtraumwelten, in denen es sich bestens leben lässt. Das lag nicht zuletzt an seinem Witz. Ein Nachruf.

Rauchen gehörte bei ihm fast bis zuletzt dazu: David Lynch (1946–2025) Foto: Chris Weeks/ap

Das schafft nicht jeder. Wenn der Name eines Künstlers sich zum Adjektiv verlängert, ist er spätestens Teil der Allgemeinheit geworden. Wie von „kafkaesk“ in Anlehnung an den Schriftsteller Franz Kafka spricht man beim Filmemacher David Lynch schon mal von „Lynchian“. Und zwar nicht bloß, wenn es um dessen Filme geht, sondern bei allem, was an sie erinnert. Sogar der Ausdruck ­Lynchian fear hat sich im Englischen etabliert.

David Lynch war Spezialist auf dem Gebiet der Angst und des Unheimlichen. Doch in einer Weise, die dem Schrecken nicht bloß eine eigene Ästhetik gab, sondern zudem eine spe­zielle Komik. Jetzt ist der Filmemacher, wie am Donnerstag von seiner Familie bekannt gegeben wurde, gestorben.

Dass der 1946 geborene David Lynch schon eine Weile krank war, hatte er selbst im vergangenen Jahr öffentlich gemacht. Auch, dass er schon seit 2020 von seinem Lungenemphysem gewusst hatte, sich aber erst zwei Jahre später von der Gewohnheit des Rauchens endgültig verabschieden konnte. Man wird sich fortan mit dem Adjektiv und seinem Werk begnügen müssen.

Seine Bilder gehören zum kulturellen Gedächtnis

Dabei umfasst das Werk von David Lynch gerade einmal zehn Spielfilme. Und selbst wenn man nicht jeden einzelnen zum Klassiker erklären sollte, hat er mit jedem dieser Filme Bilder geschaffen, die zum kulturellen Gedächtnis gehören. Ebenso mit seiner Fernsehserie „Twin Peaks“, deren erste zwei Staffeln Anfang der neunziger Jahre sein größter Erfolg wurden und die er 2017 um eine dritte Staffel erweiterte.

Lynch war relativ spät zum Film gekommen. Er studierte zunächst Malerei, in der er insbesondere Schwarz als Farbe verwendete, bevor er ans ­American Film Institute in Los Angeles wechselte. Dort entstand 1977 sein Abschlussfilm „Eraserhead“. Jack Nance, der danach in den meisten weiteren Filmen von Lynch mitwirken sollte, wurde in der Hauptrolle des Henry Spencer mit seinem irren Blick und der turmartigen Frisur zur viel ­zitierten Popikone, die auf zahllosen T-Shirts prangte.

Henry versorgt in seiner kargen Wohnung sein an ein Alien gemahnendes Baby und pflegt Umgang mit einer leicht deformierten Frau, die in seiner Heizung haust, vielleicht auch nur in seinem Kopf. Sie singt wiederkehrend die Zeile „In heaven everything is fine“.

Kommerzieller Erfolg wider Erwarten

Lynch hatte das Drehbuch geschrieben, Kamera, Schnitt und Produktion selbst übernommen und auch für den Sound gesorgt. Obwohl dieser mit Paranoia und Ekel hantierende Body­horrorfilm in Schwarz-Weiß eher für ein geneigtes Publikum gemacht schien, erwies er sich als kommerzieller Erfolg.

Und setzte den Auftakt für die kommenden Werke. Sowohl im Bild als auch im Ton, der bei Lynch nicht bloß die mutmaßliche Realität seiner Bilder begleitet, sondern eine eigene, zusätzliche Ebene hinzufügt. Oft kündet sie von Ungemach, etwa das konstante, an Industrielärm erinnernde Brummen in „Eraserhead“.

Lynch inszenierte eine Realität, die sich überdies nicht scharf vom Traum trennen ließ. Und dieser tendiert bevorzugt zum Albtraumhaften. In „Twin Peaks“ gibt es zum Beispiel einen theaterhaften „Red Room“, in dem sich die Figuren oft wiederfinden. Die Darsteller sprechen darin mit Stimmen, die befremden, weil sie verschoben klingen. Lynch ließ seine Schauspieler dafür die Parts rückwärts einstudieren, um die Aufnahmen anschließend andersherum laufen zu lassen. Der Effekt ist beklemmend.

Gesang ohne Stimme

Bei Lynch konnte der Ton sogar zur Reflexion über das Kino selbst werden. In einer berühmten Szene aus seinem vorletzten Spielfilm „­Mulholland Drive“ von 2001 besuchen die zwei Hauptfiguren Betty und Rita ein Konzert und lauschen ergriffen der Darbietung der Sängerin Rebekah Del Rio, die „Llorando“, eine spanische Version des Roy-Orbison-Songs „Crying“, vorträgt. Mitten im Lied bricht sie auf der Bühne zusammen und wird eilig weggetragen. Währenddessen geht ihr Gesang unbeirrt weiter.

Dadurch, dass sich der Auftritt so als Playback offenbart, zerstört Lynch elegant eine der Illusionsregeln des Kinos und verstört im selben Zug das Konzertsaalpublikum im Film wie das im Kino.

Als größter Filmklassiker wird vermutlich „Blue Velvet“ von 1986 in Erinnerung bleiben, in dem Isabella Rossellini im Zentrum dubioser, teils erotischer Machenschaften steht. Die Anfangsszene – in der ein Mann in einem Villenvorort seinen Garten mit dem Schlauch wässert, bis er mit einem Infarkt kollabiert, während die Kamera ihm runter aufs Gras folgt und dann weiter bis zum Boden, wo sich krabbelnde Insekten als die Kehrseite der gezeigten bürgerlichen Idylle zu entpuppen scheinen – hat es längst zu akademischen Ehren gebracht und wird gern vom Philosophen Slavoj Žižek als Beispiel für das „Reale“ angeführt.

Ausrasten auf dem Highway

Oft meint man bei Lynch auch einfach einen kindlichen Spieltrieb am Werk zu sehen. In einer Szene von „Wild at Heart“ aus dem Jahr 1990 etwa fahren Nicolas Cage und Laura Dern als das Paar Sailor und Lula im Auto auf dem Highway. Lula sucht nach einem Radiosender, der nicht irgendwelche Schreckensmeldungen bringt, bremst schließlich abrupt und fordert Sailor energisch auf, sofort Musik für sie zu finden.

Sailor dreht ein wenig, bis er bei einem schrabbeligen Metalriff angelangt ist, um aus voller Kehle und ein wenig in Konkurrenz zum Sänger der zu hörenden Thrashmetalband deren Namen herauszubrüllen: „Powermad!“ Beide rasten dann spontan auf dem Grünstreifen mit Headbanging aus.

David Lynch arbeitete fast durchgehend mit Popreferenzen. In seiner oft als schwächer beurteilten Körperwanderungsfantasie „Lost Highway“ von 1997 ist in der ersten Szene David Bowie mit dem Song „I’m Deranged“ zu hören, später erklingen die teutonischen Rammstein. Lynch hatte überdies selbst immensen Einfluss auf die Popmusik. Bei dem HipHop-Produzenten Flying Lotus kam es sogar zur direkten Zusammenarbeit. Lynch rezitiert eine Kürzestgeschichte im Song „Fire Is Coming“, dessen Titel dieser Tage auf unselige Weise aktuell wirkt.

Verwirren, ohne die Verwirrung aufzulösen

Den Titel „I’m Deranged“ könnte man auf das Schaffen Lynchs insgesamt anwenden. Denn sein Schrecken ist einer, der selten zu einer Pointe führt, die sich zu einem Sinn schließt. Bei Lynch lässt sich eher von einem „derangierten Kino“ sprechen, das verwirrt, ohne die Verwirrung zwingend aufzulösen. In diesem Sinn lässt sich Lynchs seinerzeit oft als konfus abgetaner letzter Spielfilm „Inland Empire“ (2006) als würdiges Schlusswort begreifen.

Die Verwirrung hatte bei Lynch noch eine weniger glückliche Dimension. So bemühte er sich tatkräftig um die sogenannte Trans­zen­den­ta­le Meditation, die er selbst praktizierte und deren Gründer Maharishi Mahesh Yogi er seine gemeinsam mit der Journalistin Kristina McKenna verfasste Biografie „Traumwelten“ von 2018 widmete.

Lynch engagierte sich so weit, dass er 2005 die David Lynch ­Foundation gründete, mit der er Meditationsprogramme förderte und „Unbesiegbarkeitsuniversitäten“ einrichten wollte. Eine davon sollte in Berlin auf dem Gelände der ehemaligen Abhörstation Teufelsberg entstehen.

Auf einer Berliner Werbeveranstaltung, die Lynch mit einem deutschen Repräsentanten der Transzendentalen Meditation abhielt, sorgte Letzterer mit dem Mantra „Unbesiegbares Deutschland“ für Protest im Publikum. Der des Deutschen mutmaßlich nicht mächtige Lynch lächelte zu dem Beinaheeklat freundlich, wie in Videomitschnitten online zu sehen war.

Wetterbericht im Internet

Die Sache war wahrscheinlich gut gemeint. Frei von Verwirrung scheint Lynchs Engagement allerdings auch nicht gewesen zu sein. Viel besser dagegen der Rat aus „Twin Peaks“, den FBI-Agent Dale Cooper, in seiner undurchdringlichen Freundlichkeit von Kyle MacLachlan dargestellt, dem Sheriff des Orts Twin Peaks während eines Diners gibt: „Mache dir täglich ein Geschenk. Ohne es zu planen oder darauf zu warten, lass es einfach geschehen.“

Hier meint man den wohlwollenden Lynch zu hören, den seine Familie mit den Worten „Achte auf den Donut und nicht auf das Loch“ verabschiedete.

Einen guten Rat erteilt David Lynch auch in seiner letzten Filmrolle als Regisseur John Ford dem jungen Sammy Fabelman, dem Alter Ego Steven Spielbergs in dessen autofiktionalem Film „Die Fabelmans“. Darin darf der angehende Filmemacher Fabelman sein großes Vorbild in dessen Büro besuchen.

Hinter Augenklappe und Basecap kaum zu erkennen, raucht der John Ford von Lynch erst einmal in Ruhe eine Zigarre, bevor er den ehrfürchtigen Sammy auffordert, die Bilder an seinen Bürowänden zu betrachten. Die einzige Frage, die Ford dabei interessiert, ist: „Wo ist der Horizont?“ Seine Devise: „Wenn er in der Mitte ist, ist es sch***langweilig.“

Dazu passend und ganz im Einklang mit seinem Gespür für schrille Auftritte hatte Lynch in den letzten Jahren täglich einen „Weather Report“ ins Netz gestellt. An dessen Ende wünschte er, stets mit eckig ins Bild ragender Hand grüßend, einen schönen Tag. In diesem Sinn: „Everyone, have a great day!“

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2 Kommentare

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  • Hi. David Lynch's Weather Report 12/16/22



    www.youtube.com/wa...dGhlciByZXBvcnQ%3D



    & one means there -



    “ @eclipsesong3789 vor 22 Stunden



    Good afternoon. It is January 16th, 2025. And if you can believe it, Mr. Lynch has left us for the great beyond. Thank you for your weather reports and amazing art.“

    Yes …anschließe mich

    Farewell - David Lynch - immer noch ganz 👂



    & irgendwann - kommste an - 🤠 -



    - A Strait Story -



    www.youtube.com/results?



    sp=mAEA&search_query=david+lynch+straight+story



    “…und den Weg muß ich allein machen …“



    images.app.goo.gl/R7qjQQER7rNbmNsH7

  • 10 Filme gedreht und kein Schlechter dabei, sogar fast nur sehr Gute und ein paar Meisterwerke, im richtigen Moment in die transzendentale Rente gegangen (Twin Peaks 3 vergessen wir mal). Man kann nur eine fröhliche Entschwebung wünschen.