piwik no script img

Nachruf auf Pete SeegerOhrwurm der Bewegung

Von den US-Rechten wurde Pete Seeger gehasst. Seine Songs verbannte man aus dem Radio, und doch wurden sie weltberühmt. Oder gerade deshalb.

Bis zum Schluss politisch aktiv: Pete Seeger auf einer Demo von Occupy Wall Street in New York im Oktober 2011. Bild: ap

„Even God is uneasy“, selbst Gott ist beunruhigt, singt Pete Seeger in seinem Protestsong „The Bells of Rhymney“, den er 1958 zum ersten Mal aufgenommen hat, aber weit früher im Repertoire hatte. Der Text, den er aus einem Gedicht des walisischen Dichters Idris Davies geformt hat, handelt von Bergwerksexplosionen und verschütteten Kumpel. Von Kirchenglocken, die das Unheil verkünden, aber auch von Klauen und Zähnen, die jene Bergwerksbesitzer blecken, die ihre Arbeiter als Werkzeuge ansehen und daher ausrangieren, wenn sie abgenutzt sind.

Seegers Anliegen: Wenn sogar Gott über diese Zustände beunruhigt ist, wo bleibt dann die Gerechtigkeit? Am Ende pfeift er zu den sparsamen Akkorden der akustischen Gitarre, macht sich und seinen Hörern Mut.

Mut machen, das war etwas, das der 1919 geborene Pete Seeger, der sich bescheiden als „Kommunist mit kleinem k“ bezeichnete, als Kardinaltugend eines Folksängers verstanden hat. Musik hat eine positive Kraft. Also galt es, ihre Traditionen zu bewahren. Nahegelegt wurde ihm dieses Verständnis im Elternhaus. Seine Mutter Constance war Geigerin, Vater Charles arbeitete als Musikologe, archivierte Noten und nahm seinen Sohn zu Exkursionen aufs Land mit. Ein Square-Dance-Festival und die dort dargebotene Hillbillymusik beeindruckten den Sohn stark.

In den dreißiger Jahren existierte angesichts der Wirtschaftskrise in den liberalen Kreisen der Ostküste, denen Pete Seeger entstammte, eine Sehnsucht nach Frieden und Zugehörigkeit, als Ausweg aus der als erbarmungslos empfundenen modernen Zivilisation. „Es gibt wunderbare, geradlinige, mehr oder minder unkomplizierte Menschen, die auf dem Lande in unmittelbarem Kontakt mit der Erde leben, Menschen mit einer eigenen Identität und einer eigenen Geschichte“, wie der Musikkritiker Robert Shelton die Wurzeln dieses Folk-Revivals romantisierte.

Dieser kollektiven Geschichte spürte auch Pete Seeger nach, zuerst in seiner Fantasie, indem er die Traditionals genannten Songs und ihre existenzialistischen Texte erlernte. Und dann auch in Wirklichkeit, als Seeger sich aufmachte, um auf Güterzügen durchs Land zu trampen und dadurch in Kontakt mit Hobos kam, obdachlosen Saisonarbeitern.

Währenddessen erlernte er das Banjospiel, widmete sich mit Verve den rätselhaften Songs aus dem Süden der USA. „Der schroffe Gesangsstil und die energische Art, wie zu diesen Songs getanzt wurde, sagten mir sofort zu“, erklärte Pete Seeger seinem Biografen.

Linke Volksfrontideologie

Das Folk-Revival war nicht nur kulturell von Bedeutung, es schuf eine gesellschaftliche Bewegung, mit Elementen der linken Volksfrontideologie, einem etwas verquasten Patriotismus und den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, von denen Künstler und Akademiker zu Zeiten von Roosevelts New Deal profitierten. Einer davon war Pete Seegers Vater, der beim „Farm Resettlement Program“ der Regierung mitarbeitete.

Pete Seeger wollte ursprünglich Journalist werden, er studierte einige Semester in Harvard, gründete eine Campus-Zeitung und trat der Jugendorganisation der KP bei. Bei einem Benefizkonzert für kalifornische Wanderarbeiter lernte er 1940 auch Woody Guthrie kennen und gründete mit ihm zusammen die Gesangsgruppe Almanac Singers. Sie agierten auf Parteilinie, sangen Antikriegssongs. Bei Kriegseintritt der USA, 1941, änderten sie das Programm, zeigten sich patriotisch und sangen gegen den Faschismus.

Das half nichts, denn das FBI führte bereits eine Akte von Seeger. Als der Kalte Krieg heißer wurde und der paranoide Senator Joseph McCarthy in Washington an Einfluss gewann, wurde Seeger aus Radio und Fernsehen verbannt. Im Jahr 1950 trat ein Bekannter Seegers vor dem berüchtigten House Un-American Activities Committee auf und bezichtigte Seeger der Mitgliedschaft in der KP, obwohl er sein Parteibuch bereits zurückgegeben hatte. Seeger wurde in den Fünfzigern massiv ausgegrenzt, man warf ihm „Verschwörung“ vor.

Seeger antwortete mit Hits: „If I had a Hammer“, „Where have all the flowers gone“ und zahlreiche andere Songs wurden entweder in seiner Version oder in der seiner Interpretation weltberühmt. Auch zu Hause in den USA blieb er unbeeindruckt, trat in Kaffeehäusern und Kirchen auf und engagierte sich früh für den Kampf der Bürgerrechtsbewegung. Seegers Song „We shall overcome“ wurde zu ihrer Hymne. Sie basierte auf dem Gospel „I’ll overcome“, den streikende Tabakarbeiter in South-Carolina anstimmten, wenn Streikbrecher ihre Blockaden durchbrachen.

E-Gitarre wie Bob Dylan? Nichts für Pete Seeger!

Den Unerschrockenen hat Seeger nicht nur verkörpert, er hat dies als Folk-Erbe den nachfolgenden Generationen weitergereicht. „Meine Aufgabe ist es, den Leuten zu zeigen, dass es da draußen sehr viel gute Musik gibt“, sagt er 2009. „Wenn man sie zum richtigen Zeitpunkt spielt, lässt sich mit ihr die Welt retten.“ Siehe auch „Bells of Rhymney“, Ende der sechziger Jahre coverten die Byrds Seegers Song. Auch von Bob Dylan existiert eine Version, eingespielt zusammen mit The Band.

Dylan, den Pete Seeger wegen seines Wechsel zur E-Gitarre 1965 heftig kritisierte, sah Seeger immer als Mentor an. Die USA ehrten Pete Seeger erst in den Siebzigern. 1972 wurde er in die Songwriter Hall of Fame aufgenommen, 1993 erhielt er einen Grammy auf Lebenszeit, 1994 überreichte ihm Bill Clinton die National Medal of Arts, die höchste Auszeichnung auf dem Feld der Künste. Seeger interessierte all das wenig, er trat bis ins hohe Alter auf und trug dazu bei, dass Folkmusik anhaltend populär blieb. Am Montag ist er im Alter von 94 Jahren gestorben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • S
    Schade

    Nie gehört, den Musiker Pete Seeger wissentlich. Die Musik bestimmt. Where have all the flowers gone ... das klingt bei mir nur nach Musikunterricht und Schule einst. Schade!

     

    Julian Weber, was ist mit taz im Onlineradio? Da hatten Sie und andere schöne Musikbildung zu vermitteln begonnen. Ich fand das sehr hörenswert. Nach den Pilotsendungen hörte ich nix mehr. Darf ich mich auf mehr freuen oder nicht? Meine Facebook-Fragen bei dem Post damals auf Facebook, die Zeit vergeht ... letzten Monat, blieben unbeantwortet.

     

    Ich höre jeden Tag Radio. Derzeit zwei Sender: Inforadio und Deutschlandradio. Die haben keine alternative Musiksendung. Schon gar nicht freitags. Ich mag die taz und ich mag nicht mehr so musikungebildet sein. Die Flut von Musik durch die Digitalisierung hat bei mir zu einer starken Abkapselung geführt, die ich ändern möchte. Wäre super, würde die taz mir dabei, wie auch bei vielem anderen informativem Neuem helfen. Nur Texte über Musik ohne Musik lese ich nicht wirklich mit Vorliebe. Die Nachrufe auf Pete Seeger und Artikel mit Gesellschaftskritik ausgenommen.

    • M
      Musikredaktion
      @Schade:

      Hallo "Schade",

       

      taz-Radio geht voraussichtlich im März bei byte fm auf Sendung. Bis dahin bitte Geduld. Oder einfach mal die Interpretennamen aus den Texten und Rezensionen in die Suchmaschinen eingeben.

       

      Viele Grüße

      Musikredaktion

      • Y
        Yeah
        @Musikredaktion:

        Super toll, Vorfreude.

         

        Zu dem Eingeben von InterpretInnennamen in Suchmaschinen. Ich lese euch und wenn ihr mich vor etwas warnt, denke ich darüber nach und ändere mein Verhalten. So bei Suchmaschinen, dank Svenja Bergt und anderen. Ich nutze fast nur noch "Startpage". Die Suche darüber ist teilweise mühsam, da die nicht so schnell wie Google errät, was ich haben möchte, in diesem Fall wäre das Probemusik zum Reinschnuppern. Mühsam suchen contra erholsame Musik-Entspannung: dann sehe ich lieber eine Film-DVD erneut an oder höre Alben weiter, die ich bereits in- und auswendig kenne (Kings of Hip Hop, Jacksons Dangerous, Pavarotti Best of ...).

         

        Ich freue mich weiter vor. Toll!

         

        P. S. Ich habe meinen Nickname Schade geändert.

  • R
    Respekt

    Rest in Peace and Power!