Nachruf auf Niklaus Hablützel: Zum Leuchten gebracht
Der taz-Kollege und Opernkritiker Niklaus Hablützel ist gestorben. Er schrieb nicht für Opernspezialisten, sondern für alle, die gute Geschichten lieben.
Es war eine Krux mit seinem Namen. Mal wurde aus Niklaus ein Niklas, mal Hablützel zu Halblützel verwurstet. Manchmal zu beidem, auch das kam vor. Dann zuckte er die Achseln, als wolle er sagen: Was soll’s. Er drehte sich vielleicht eine Zigarette, immer Schwarzer Krauser oder anderes hartes Zeug, und kicherte leise in sich hinein. Sein Lachen war unverkennbar, wie seine Stimme, amüsiert, nie laut.
Die Leute konnten ihn oft nicht einordnen, so war es auch mit seinem Namen. Niklaus war Schweizer, aus Biel, und sprach mit einem für Norddeutsche nicht sofort verortbaren Akzent ein fremdes, sanft klingendes Deutsch. Sein Auftreten war höflich, beobachtend, bescheiden. Eine schmale Erscheinung in Jeansjacke, Regenmantel oder dem geliebten Tweedjackett. Selbstgedrehte ohne Filter statt edler Zigarettendose.
Niklaus war älter als die Kolleginnen und Kollegen aus der Kulturredaktion. Er ging schon auf Ende 30 zu, als er in den 1980er Jahren in der Kulturredaktion der taz Hamburg auftauchte. Immer freundlich, Distanz haltend, die er nicht durchbrach außer mit einem melancholischen oder ironischen Lächeln. Er, der promovierte Philosoph, der nach Ausflügen in die grüne Lokalpolitik nach neuen Beschäftigungen suchte, freute sich über die Möglichkeit, seine Kenntnisse, Vorlieben und Abneigungen in Konzert- und Theaterkritiken unter die Leute zu bringen.
Das Vergnügen kam nicht zu kurz
Er hatte lange im Orchester gespielt, Fagott, konnte Partituren lesen und liebte die Oper. Ein klassischer Feuilletonist, breit aufgestellt, der die kleine wie die große Form beherrschte und zum Leuchten brachte. Er verstand Musik- oder Theaterkritik als inhaltliche Auseinandersetzung, man lernte bei und von ihm.
Wobei das Vergnügen nicht zu kurz kam. Jedem Stoff, und sei er noch so abstrus, gewann er eine spannende Geschichte ab, verstand Machenschaften und Liebschaften als das, was sie waren: nur allzu menschliche Leidenschaften, die oftmals in Verstrickungen enden.
Die Redaktion der taz Hamburg, heute taz Nord, residierte damals im Nernstweg in Altona, im fünften oder sechsten Stock, wo Niklaus im kleinen Raum der Kulturredaktion mit seinen damals noch mit Schreibmaschine getippten Manuskripten erschien. Er editierte die Seiten mit den vorgezeichneten Spalten für 32 Anschläge pro Zeile ordentlich mit Schere und Kleber; fand er Formulierungen nicht gut, tippte er den Absatz neu und überklebte die Stelle sauber, statt wie andere alles wild durchzuixen. Im Grunde nahm er, so sagt es ein früherer Kollege, auf analogem Wege vorweg, was später zur Kulturtechnik des Copy & Paste wurde.
Das Internet in der Tageszeitung
Insofern ist es kein Zufall, dass Niklaus später als Redakteur für das Internet zuständig war. Für Neuerungen hatte er ein Gespür. Ihm ist es zu verdanken, dass die taz die vermutlich erste Zeitung in Deutschland war, die dem Internet eine eigene Seite widmete. Seit Ende 1995 erschien sie jeden Donnerstag, da war er schon in Berlin.
Als das Projekt nach acht Jahren an sein Ende kam, schrieb Niklaus, die Seite habe ihre Funktion erfüllt: „Niemand muss mehr eigens darauf hingewiesen werden, dass es das Internet gibt.“ Weil Niklaus ein Feuilletonist war und das Internet eine Universalbibliothek, fand sich ein bemerkenswert breites Spektrum an Themen auf der Seite. In seiner Kolumne „Surfbrett“ widmete er sich etwa einem Projekt des Opernfans Richard Edwards, der wie alle anderen vor ihm daran scheiterte, eine Zusammenfassung von Verdis „Ernani“ zu schreiben. Kein Wunder, meinte Niklaus süffisant: diese Oper sei schlicht zu konfus.
In Berlin arbeitete er in der überregionalen Kulturredaktion und baute das heutige Ressort Wirtschaft & Umwelt mit auf. Doch das feste Eingebundensein als Fachredakteur im aktuellen Geschäft lag ihm auf Dauer nicht. Er kaprizierte sich in den vergangenen zwanzig Jahren auf Opernkritiken, reiste nach Bayreuth, ging in symphonische Konzerte, in den letzten Jahren leider immer seltener.
An die Hand genommen
Als Opernkritiker schrieb er vor allem auf der Berlinkulturseite der taz – mit Leidenschaft und mit großem Wissen, das er nonchalant einfließen ließ. Von ihm an die Hand genommen, ließ sich die Schwelle zur „Hochkultur“ leicht überwinden. Was der Komponist für seine Zeit bedeutet hatte und was wir heute davon haben, was der Dirigent hervorhob und was die Regie draus machte; man wurde mit lustvollen Einschüben dahin geführt. Er schrieb nicht für Opernspezialisten, sondern für alle, die gute Geschichten lieben. Seine Kritik war oft ironisch, nahm Mängel aber meist weniger wichtig als die große Liebe zum Genre.
Niklaus war diskret, auch verschwiegen. Er hatte keine Familie mehr, die Schweizer Wurzeln waren hörbar, aber gekappt. Er starb am 17. Februar 2024 im Alter von 74 Jahren an den Folgen einer Krebserkrankung. Er hinterlässt seine Lebensgefährtin, die Kunstkritikerin Brigitte Werneburg, die er bei der taz kennenlernte. Eins der vielen taz-Paare und eins der wenigen, die bis zum Ende zusammenblieben.
Zwölf Jahre lang lebten wir in Schöneberg nur wenige Straßen voneinander entfernt. Manchmal sah man ihn von weitem, seine Silhouette im Regenmantel, mit dem silbrigen Lockenkopf, den Hund Richtung Volkspark ausführen. Hund Paul starb nur wenige Tage vor Niklaus.
Niklaus war neugierig, konnte sich treiben lassen. Einmal nahm er einen Ortstermin auf der Wandsbeker Chaussee wahr, in einem zerbombten einstigen Arbeiterstadtteil in Hamburgs Osten. Er schrieb eine Reportage, für die er 1986 prompt beim Wettbewerb für Internationale Publizistik in Klagenfurt den Zweiten Preis gewann. „Das ist die Straße, für die niemand Zeit hat“, schrieb er, „und auch die Straße, die man sofort wieder vergisst.“ Niklaus konnte sich auf das Gewöhnliche einlassen wie auf das Ungewöhnliche.
Mitarbeit: Ulrich Gutmair und Katrin Bettina Müller
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