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Nachruf auf Fotograf Allan SekulaAufklärer auf hoher See

Der US-amerikanische Fotograf Allan Sekula ist gestorben - er analysierte in seinen Essays und Reportagen die moderne, globalisierte Industriearbeit.

Allan Sekula (1951-2013): Er erprobte eine „paraliterarische Neufassung der Dokumentation“. Bild: archiv

Durch die digitalen Kommunikationswege und die Zunahme von Arbeitsplätzen, die mehr der Verwaltung und Verwertung von Informationen dienen als der Produktion industrieller Güter, entstand der Mythos vom Verschwinden einer ausbeuterischen und körperlichen Arbeit.

Die Prinzipien und Organisationsformen einer globalen Ökonomie gelten dabei als schwer nachvollziehbar. Für viele Konsumenten scheinen die angebotenen Waren einfach da zu sein - und der Kauf dieser Produkte Selbstzweck.

Die Zusammenhänge zwischen Billiglöhnen, hemmungslosem Ressourcenverbrauch und einer gleichzeitig übersättigten und geizigen Konsumentenschicht sind aber mittlerweile Thema in zahlreichen TV-Formaten. Nicht als Lektionen in politischer Ökonomie, sondern meist als voyeuristische Schock-Dokumentationen.

Analyse von Industriearbeit

Der US-amerikanische Fotograf Allan Sekula, Jahrgang 1951, arbeitete an den Rändern der gängigen Bildformate und stellte die Frage nach der Verbindung von Politik und Ökonomie in den Mittelpunkt seiner Arbeit. Gleichzeitig analysierte er dezidiert sein eigenes Medium, die Fotografie.

Sekula konzentrierte sich auf Fragen der Klassenzugehörigkeit und die daraus resultierenden sozialen Repressionen und auf eine komplexe Analyse von moderner, globalisierter Industriearbeit und der internationalen Distribution der Güter. Diese ohnehin schon schwergängigen Themen koppelte er an eine dezidierte Bildkritik.

Sein Vorgehen trug Allan Sekula zunächst viel Unverständnis und Ablehnung ein: zu komplex für das Museum der Blockbuster-Kultur und die oberflächlichen Attitüden des kommerziellen Kunstmarktes. Er selbst wurde nicht müde, Kuratoren, Kritiker und Publikum herauszufordern und scharfe institutionelle Kritik am Museums- und Galeriesystem zu üben.

Aber Sekula war kein Kritiker um der Kritik willen. Im Mittelpunkt standen für ihn Aufklärung und die Weiterentwicklung einer instruktiven und kritischen Fotografie.

An Bord der großen Containerschiffe

„Fish Story“ (1995) heißt sein umfangreichstes und wohl bekanntestes Werk - eine umfassende Recherche über die moderne Seefahrt, den weltweiten Gütertransport auf hoher See und die wirtschaftlichen und sozialen Implikationen dieses Sujets.

Sekula war an Bord der großen Containerschiffe, fotografierte Streiks, Arbeitswelten und Alltag der Hafenarbeiter. Und die großen Häfen der Welt: Rotterdam, Los Angeles, Gdansk, Glasgow oder Vigo. Vollautomatisierte Terminals des Warenumschlags. Der Transfer ist optimiert, Roboter gewährleisten die logistische Umsetzung.

Sekula fokussierte aber nicht ausschließlich die bekannten Formen der Rationalisierung von Arbeit und der damit einhergehenden Deklassierung. Ihm ging es auch darum, die Trennung von Kultur und Gesellschaft aufzuheben, die im Spätkapitalismus ganz selbstverständlich die Kategorie der sozialen Hierarchie aushebelt und Kultur als Ablenkungs- und Vergnügungsprogramm, bestenfalls als finanzielles Investment einer Eilte versteht.

Wenn alles Soziale und Kulturelle ökonomischen Prinzipien unterworfen ist, der Warencharakter umfassend das Leben bestimmt, gleichzeitig aber ein kruder Individualismus propagiert wird, so stand Sekula dafür, den kritischen Diskurs über Wirtschaft und Bilder in der Kunst vorantreiben.

Sekulas Arbeit sind „komplexe Statements zum Verhältnis von Diskurs und Dokument“, wie es Benjamin Buchloh formulierte. Sekula stellte in seinen Sequenzen, Installationen und Essays die Frage nach der Strategie des Sprechens und kombinierte seine Fotografien mit Texten von zum Teil herausragender literarischer Qualität. Er entzog sich den gelegentlich einfachen Formen des Fotojournalismus durch eine sorgfältige Unterscheidung von Schauen und Lesen.

Wider den sozialdokumentarischen Romantizismus

Er arbeitete in Farbe und vermied damit jeden Anflug eines sozialdokumentarischen Romantizismus. Er porträtierte Arbeiter und Familien, Abhängige und Unbehauste. Immer geht es dabei um den sozialen und wirtschaftlichen Kontext. Und um die Form der Darstellung.

Die Porträtierten kommen selbst zu Wort. Aber ihre Worte werden gespiegelt und eingebunden in eine diskursive Verkettung, die weder Heroen der Arbeiterklasse zeigt noch den Fotografen als Abenteurer oder Haudegen zelebriert.

Sekula erprobte die Möglichkeit einer Erzählung nach der Postmoderne und damit eine „paraliterarische Neufassung der Dokumentation“, wie er seine Arbeit selbst definierte – gemäß der alten Forderung von Bertolt Brecht, dass eine Fotografie der Kruppwerke oder der A.E.G. beinahe nichts ergibt und deshalb etwas „aufzubauen“ sei. Diese Geistesgegenwart und Kreativität hat Allan Sekula seit den frühen 1970er Jahre intelligent und zeitgemäß praktiziert.

Nach langer Krankheit ist er kürzlich in Los Angeles mit 62 Jahren verstorben.

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1 Kommentar

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  • WE
    w. eltenbrand

    Es ist ein bisschen beschämend, in der TAZ erst durch seinen Tod vom Werk eines so präzisen fotografischen Kapitalismuskritikers zu erfahren. Warum durften wir nicht schon früher an Allan Sekulas klugen Gedanken und Visualisierungen teilhaben ?