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Nachruf auf Filmemacher Hartmut BitomskyEs blieb der scharfe materialistische Blick

Für seine Filme stellte er keine neuen Bilder her, sondern sezierte die bestehenden: Zum Tod des Essayisten und Dokumentaristen Hartmut Bitomsky.

Regisseur Hartmut Bitomsky während des 66. Filmfestivals von Locarno am 7. August 2013 in Locarno, Schweiz Foto: Vittorio Zunino Celotto/getty images

Ein Mann am Schreibtisch. Er blättert Schwarz-Weiß-Fotos auf. Sie zeigen einen Mord. Man sieht das Messer, den Duschvorhang, den aufgerissenen Mund, schwarzes Blut, das in den Ausguss rinnt. Der Mord in Alfreds Hitchcocks „Psycho“ ist eines der berühmtesten Todesbilder der Filmgeschichte. Hartmut Bitomsky kommentiert dazu in dem Videoessay „Das Kino und der Tod“ von 1988: „Kein verletzter Körper, keine Wunden. Der Zuschauer glaubt, einen Mord gesehen zu haben – doch er hat nicht stattgefunden“. Hitchcock, der Meister der Täuschung, stelle sich in dieser Szene „die Frage: Was ist der Tod?“ Am Ende der Szene sieht man die dunklen Augen der Toten, die ins Nichts starren. „Das Nicht-Sehen ist die größte Annäherung an den Tod, die Hitchcock sich vorstellen kann“, kommentiert Bitomsky.

„Das Kino und der Tod“ ist ein kleiner Film über große Fragen: Was ist das Kino? Was sehen wir? Was glauben wir? Es ist ein Film mit minimalistischen Mitteln, typisch für den Dokumentarfilmer, Filmlehrer, Kritiker und Essayisten Bitomsky. Schreibtisch, Fotos, Text, manchmal Musik. Keine Filmausschnitte. Die Bewegungen der Filme, von Griffith bis Godard, sind auf Fotos eingefroren. Das ergibt einen seltsamen, verfremdenden Effekt. Die Bilder wirken in der Bewegungslosigkeit der Fotos intensiver, so wie die Verlangsamung der Bilder in Filmen von Sam Peckinpah wie „The Wild Bunch“ die Effekte der Gewalt intensivieren. Gleichzeitig schafft die Reduzierung auf Foto und Text Distanz. Man beginnt die Bilder des Todes zu lesen, so wie man einen Text entziffert.

Man muss keine neuen Bilder herstellen, sondern die Bilder, die es gibt, bearbeiten. Das hat Harun Farocki, ein Freund und Weggefährte von Bitomsky, mal gesagt. Das war ein programmatischer Satz auch für die Arbeit von Bitomsky. Dessen Essayfilme waren Bilderbefragung, Versuche, in Details vergrabene historische Zusammenhänge zum Vorschein zu bringen. In „Deutschlandbilder“ (1983) sezierte Bitomsky NS-Kulturfilme. „Reichsautobahn“ (1986) ist die Entzifferung eines NS-Mythos. Man sieht Adolf Hitler, der am 23. September 1933 in Frankfurt beim ersten Spatenstich für den ersten Autobahnabschnitt gar nicht mehr aufhören kann, Sand zu schippen. Es sollte, kommentiert Bitomsky, unbedingt nach Anstrengung aussehen. Die neuen Straßen waren Zeichen, dass „Deutschland modern war“. Für LKWs war der Belag zu dünn, Autos gab es in den 30er Jahren auch kaum. Und die gingen kaputt, wenn sie schnell fuhren. Autobahnen, so Bitomskys mit lässiger knarzig-tiefer Stimme gesprochener Kommentar, waren im NS eher dazu da, gefilmt und bewundert als benutzt zu werden. Bitomsky war ein marxistischer Linker. Nachdem der Glaube an den Sozialismus versickert war, blieb der scharfe materialistische Blick. Bitomsyks Kunst, schrieb der Filmkritiker Michael Althen, war, etwas zu sehen, „was so noch keiner gesehen hat, obwohl es für alle sichtbar wäre.“

Westberlin, Kalifornien, Berlin

Bitomsky gehört zum ersten Jahrgang der 1966 in Westberlin gegründeten Filmschule DFFB, zusammen mit dem späteren RAF-Terroristen Holger Meins und dem späteren Hollywoodregisseur Wolfgang Petersen. Er schrieb in den 70er Jahren, wie Farocki, für die Zeitschrift Filmkritik, und arbeitete als Dokumentarist, viel für den WDR. Nach 1993 war er für zehn Jahre in Kalifornien Dekan an einer Kunsthochschule. 2006 kehrte er nach Berlin zurück, drei Jahre lang als Direktor der DFFB. Zentrale dokumentarischen Arbeiten befassten sich mit der Geschichte des US-Bombers B52 (2001), dem Architekten Hans Scharoun (1993) und Staub (2007). Sein Werk lagert in öffentlich-rechtlichen Archiven. Zugänglich ist es nicht.

Bitomsky hatte ein Talent für sprachliche Miniaturen und Verdichtungen. Der Titel seines 1972 erschienenen Buches über Produktion und Ästhetik des Films lautete „Die Röte des Rots von Technicolor“. Bitomsky konnte Bilder lesen und Worte zu Bildern machen. Am letzten Mittwoch ist er im Alter von 83 Jahren gestorben.

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