Nachruf auf Arseni Roginski: Ein ganzes Leben mit Stalin

Der Historiker und Menschenrechtler saß selbst in Lagerhaft. Er verschrieb sich der Aufarbeitung der sowjetischen Diktatur.

Arseni Roginski

Der Historiker Arseni Roginski Foto: imago/Itar-Tass

Moskau taz | Arseni Roginski ist tot. Der Vorsitzende der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial starb am Montag im Alter von 71 Jahren in Israel. Roginski war nicht nur weise, er hatte auch eine Menge Humor. Die Jahre als Dissident in einem Straflager Anfang der 1980er Jahre konnten dem studierten Historiker anscheinend nichts anhaben. Wegen einer Falschaussage war der Herausgeber von Samisdatliteratur 1981 zu vier Jahren Lagerhaft verurteilt worden.

Für Roginski war die Haft nichts Unbekanntes. Schon der Vater war mit der Familie in den 1940er Jahren von St. Petersburg in die Nähe von Archangelsk in ein Lager verbannt worden. Dort kam Arsenij 1948 zur Welt.

Die Aufarbeitung der stalinistischen Vergangenheit seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion wäre auch ohne den Historiker möglich gewesen. Roginski verlieh der 1990 gegründeten NGO Memorial jedoch ein besonderes Gesicht.

Trotz der politischen Verwerfungen nach den 1990er Jahren und ständigen Versuchen, Memorial das Leben schwer zu machen, steht die Organisation auch nach 27 Jahren wie ein Fels in der Brandung. Jahr für Jahr wird sie erneut als Friedensnobelpreisanwärterin gehandelt. Das ist auch Roginskis Verdienst, das dieser jedoch zurückweisen würde.

Anderer Geist

Im Unterschied zu vielen anderen russischen NGOs, demokratischen und oppositionellen Zirkeln weht bei Memorial ein anderer Geist. Es konnte sich eine innere demokratische Struktur erhalten.

Freunde schreiben es Roginski zu, der mit den Erfahrungen aus Dissidentenzeit und Lager nicht zu einem autoritären Führungsstil neigte. Geschick und Anerkennung des Gegenübers sowie der Respekt vor jedem einzelnen Menschen sind die Melange, mit der der Vorsitzende die Klippen des oft rauen Geltungsbedürfnisses der oppositionellen Kultur bei Memorial umschiffte.

Wenn es um die Aufarbeitung der totalitären Vergangenheit Russlands geht, kann keine andere Organisation Memorial das Wasser reichen. Auch der Staat verlässt sich auf seine Expertise. Ungeachtet dessen, dass der Kreml die NGO nicht nur nötigen möchte, sich den Label „ausländischer Agent“ zuzulegen.

Immer wieder werden aus den Tiefen der staatlichen Strukturen auch Angriffe gestartet, die Organisationsstrukturen als Hebel zu nehmen, um Memorial in die Knie zu zwingen. Bislang konnte sich Memorial dem widersetzen. Nicht zu Letzt auch wegen der Besonnenheit und Cleverness des Vorsitzenden.

Training für den freien Geist

Den freien und beweglichen Geist trainierte Arseni Roginski in den 1970er Jahren an der Universität Tartu in der sozialistischen Sowjetrepublik Estland. Tartu war eine Ausnahmeuniversität am Rande des Sowjetimperiums.

Der Semiotiker Jurij Lotman zählte zu den Vordenkern einer Schule, die die Besonderheiten des russisch-sowjetischen Kulturtyps entwickelte und damit über die Grenzen der UdSSR bekannt wurde. „Bipolare Kodierung“ hieß das. Roginski bewegte sich in dieser Bipolarität geschickt. Viele sahen in ihm einen Gegner, manche auch einen Feind. Achtung konnten sie ihm nicht verweigern.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.