Nachruf auf Al Jarreau: Er scattete munter drauf los

Al Jarreau studierte Psychologie, betreute traumatisierte Vietnam-Veteranen. Seine Karriere als Jazz-Sänger gewann in Westdeutschland an Fahrt.

Al Jarreau am Mikrofon, mit weißem Hut und in schwarzer Weste

Wenn er scattete, war das immer mehr Stimmakrobatik als spirituelle Erweckung Foto: dpa

Scat-Gesang, das zuerst im afro-amerikanischen Gospel praktizierte Singen von Silben, drückt gesteigerte Empfindungen ohne Worte aus. Bei Al Jarreau schwang beim Scat stets mehr Stimmakrobatik mit, weniger brachte er einen Zustand spiritueller Erweckung zum Ausdruck. Man hört das an „We got by“, dem Titelsong seines gleichnamigen Albums von 1975, mit dem Al Jarreau in Westdeutschland der Durchbruch gelang, nachdem der Sänger zuvor im Hamburger Club „Onkel Pö“ gastiert hatte. In Europa war Al Jarreau Mitte der Siebziger bekannter als in seiner Heimat, wo Jazzkritiker die Nase rümpften, weil er nicht die Emotionalität der Sängergrößen erreichte.

Mit „We got by“, dieser sacht unaufdringlichen Ballade, hatte Jarreau einen kargen Alltag und harte Lebensumstände besungen: Die Black Community sehnte sich am Ende der Civil-Rights-Bewegung nach dem sorglosen Leben, eine Mittelklasse war erst im Entstehen. Das Prekäre thematisierte der Song virtuos. Etwa nach der Hälfte verzichtet Jarreau dar­auf, die Titelzeile zu wiederholen, und scattet munter drauflos.

„We got by“ hatte kaum autobiografischen Charakter: Alwyn Lopez Jarreau, als Sohn eine Predigers 1940 in Milwaukee/Wisconsin geboren, war studierter Psychologe und arbeitete in den Sechzigern in seiner Wahlheimat Kalifornien bei der Betreuung von GIs, die bei Kampfeinsätzen in Vietnam traumatisiert wurden. Musik spielte für Jarreau schon in der Kindheit eine Rolle, er hatte sie hautnah in der Kirche seines Vaters erlebt, sang mit seinen Geschwistern im Chor.

In den Sechzigern nahm er das Singen wieder auf und wurde Teil des Gesangsquartetts Indigos, das Jazzstandards und Soulsongs in A-capella-Versionen coverte. Jahrelang tingelte Jarreau auch als Solosänger in Begleitung eines Gitarristen durch die Clubs von Nord­kalifornien. Hierbei erprobte er seine dehnbare Stimme. Natürlich profitierte Jarreau auch von der harmonischen Ausdrucksvielfalt des Soul: Al Jarreau hat Donny Hathaway viel zu verdanken. Dank der Vorarbeit dieses begnadeten Sängers konnte Al Jarreau Jazzakkorde in Popsongs überführen. Lange vor dem Beat­boxing des HipHop klang er mit seinem Mundwerk vollständig perkussiv, ahmte Drums nach, brummte trickreich tief den Bass oder schmetterte hell wie eine Schallmei. 1977 bezeichnete ihn der Rolling Stone als „singenden Pyrotechniker“.

Der Sänger als Teamplayer

Jarreau war ein asketischer Performer, der lange Tourneen scheinbar mühelos absolvierte: In den USA wurde Jarreau bekannt, nachdem er 1976 beim Festival „California Soul“ in New York auftrat und zusammen mit George Benson als „Fusionmusiker“ firmierte.

Al Jarreau war immer ein Teamplayer. Er nahm Songs für die Kindersendung „Sesamstraße“ auf, genauso kollaborierte er mit Rockstars wie Carlos Santana. Er arbeitete mit Soulsängerinnen: Zusammen mit Dionne Warwick nahm er etwa ein Live-Album auf. Für seine Leistungen wurde Jarreau mit mehreren Grammys ausgezeichnet. „Ich bin Rhythm-&-Blues-Sänger, Popsänger und Jazzsänger. Diese Genres vertragen sich bestens, ich möchte mich da nicht auf eines festlegen, auch wenn es bedeutet, dass ich schizophren bin.“

Lange vor dem Beatboxing des HipHop klang er mit seinem Mundwerk vollständig perkussiv

Vor einigen Wochen verkündete Al Jarreau eine Pause wegen chronischer Erschöpfung. Am Freitag ließ sein Management mitteilen, dass er sich von der Bühne zurückziehen würde. Am Sonntag ist Al Jarreau in Los Angeles gestorben. Er wurde 76 Jahre alt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.