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Nachruf Peter GrottianRuhelos bis zum Schluss

Gegen Arbeitslosigkeit, Sozialabbau, Bankenmacht und Glyphosat: Der Multi-Aktivist und Politikwissenschaftler Peter Grottian ist gestorben

Peter Grottian im November 2008 Foto: Wolfgang Borrs

Die Sache mit dem Scho­ko­pro­test war typisch für ihn: Zu Zeiten der Finanzkrise 2010 regte Peter Grottian bei einem Vortrag an, doch mit Schokoladenpistolen die Deutsche Bank zu besetzen. Einige seiner Mitstreiter von Attac betraten später friedlich den Vorraum einer Deutschen Bank in Schwaben und verlasen eine Schmähschrift. Grottian bekam von der Staatsanwaltschaft eine Anzeige wegen „Aufruf zum Hausfriedensbruch“. Zu einer Strafe kam es nicht, das Gericht urteilte, dass es kein Verbrechen ist, mit einer Schokopistole eine Bank zu betreten.

Grottian war in seinem politischen Aktivismus ruhelos, ein „Getriebener“, sagt sein früherer Attac-Mitstreiter Lothar Höfler. Er war Hochschulprofessor für Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin, der nicht nur lehrte und viel schrieb, sondern eine beeindruckende Aktionsbiografie vorweisen konnte: Kampagnen gegen Berufsverbote (1977), Teilnahme an Hausbesetzungen (1981), Blockaden in Mutlangen (1983/84), Verzicht auf ein Drittel seiner Professorenstelle, damit eine Stelle für eine Genderforscherin geschaffen werden konnte (1985).

In den 90er Jahren war er durch seine Teilzeitprofessur ein Beispiel für den freiwilligen Arbeitszeit- und Einkommensverzicht im Zuge einer Arbeitsumverteilung, worauf er – nicht ganz uneitel – auch gerne hinwies.

Ab 2002 organisierte Grottian Bürgerproteste gegen die Bankenmacht. Es folgten Schwarzfahraktionen im Kampf für günstige Fahrpreise in Berlin, symbolische Belagerungen von Arbeitsagenturen und im Jahre 2010 ein Bankentribunal im Rahmen von Attac Deutschland, dem er als wissenschaftlicher Berater diente.

Protest im Bischofsgewand

In den späteren Jahren protestierte er gegen die Automobilindustrie, den Waffenhandel, Glyphosat und rief zur Besetzung von Feldern auf – wobei ihm die Umweltverbände aber nicht folgen wollten, weil sie lieber auf Kooperation mit den Bauern setzten.

Grottian hatte keine Angst, mit seinen auch satirischen Auftritten sein Image als Hochschulprofessor an der Freien Universität Berlin anzukratzen, und er trat bei seinen Aktionen gerne auch mal kostümiert im Bischofsgewand oder in Frack und Zylinder auf.

Ein Problem des Multiaktivisten, der 2007 aus der Uni in den Ruhestand wechselte, war vielleicht die Anschlussfähigkeit an größere Verbände und eine Bereitschaft zum Kompromiss. Er, der nicht mal einen Laptop besaß, stand der Entwicklung der politischen Bewegungen in den sozialen Medien fremd gegenüber. Die UmweltaktivistInnen und ihre Protestcamps bezeichnete er in einem Text für die Jungle World abfällig als „Wohlfühlwiese mit Oktoberfeststimmung“.

Grottian, der aus bildungsbürgerlichem Hause stammte und in jungen Jahren die Scheidung seiner Eltern erlebte, war Weinkenner, begeisterter Koch, Bergsportler und Skifahrer. Er war zweimal verheiratet, geschieden und hinterlässt keine Kinder. Die letzten Jahre verbrachte er viel Zeit auf seinem Zweitwohnsitz, einem Haus am Bodensee. Schon länger krank, ist Peter Grottian am 29. Oktober 78-jährig in einem Krankenhaus in Feldkirch im Vorarlberg gestorben.

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11 Kommentare

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  • Peter Grottian war bundesweit sehr wichtig für das linke Spektrum: einerseits gibt es bis heute Gruppen, die soziale Kämpfe als reformistisch abtun, andererseits die großen Verbände (sic!), die mit direkten Aktionsformen nichts zu tun haben wollen.



    Grottian agierte da sehr spektrenübergreifend.



    Da müssen wir doch was machen!

  • Die tiefe Krise, die bei vielen realistischerweise Depressionen und Gefühle der Verzweiflung auslösen, wird oft mit der Feierlaune von Alkoholiker'innen übertüncht. Greta zumindest ist bestimmt nicht zum Feiern zumute. Das Kyoto-Protokoll ist uralt, und fast nichts ist geschehen. Jetzt kommt noch das Methan aus den Tiefen des Eises an die Oberfläche.



    Das Einzige, was wir jetzt noch brauchen, ist eine vernünftige Sterbebegleitung für Homo "Sapiens".

  • ich habe die falsche Taste gedrückt (habe dummerweise einen Laptop) - deshalb kommt gleich Korrektur des völlig unfertigen Textes.

  • "Die UmweltaktivistInnen bezeichnete er abfällig als „Wohlfühlwiese mit Oktoberfeststimmung“. Das gilt sicherlich nicht für alle von ihnen, aber oft beobachte ich dieses Phänomen auch. Die tiefe Krise wird mit

    Der globale Kapitalismus hat in seiner Blindheit und Brutalität inzwischen die Lebensgrundlagen selbst, die Biodiversität und die Atmosphäre extrem beschädigt. Auf uns selbst bezogen, heisst das, unsere Neigung zu einem von der gesamten Natur abgeschotteten Lebensstil zu führen, bis es nicht mehr weiter geht. Aber die Exponenten des extremen Kapitalismus gehen bis zur Selbstzerstörung dieser Welt, Operateure wie Black Rock oder Hedge Fund CEO's wie Paul Singer, der Argentinien in die Knie gewzungen hat, auch Marionetten wie Merz u Johnson.

  • Ergänzt:

    Danke für den Nachruf.

    Die Tatsache, dass Peter Grottian, 1942 geboren, In 90er Jahren durch seine Teilzeitprofessur konkretes Beispiel für den freiwilligen Arbeitszeit- und Einkommensverzicht im Zuge einer Arbeitsumverteilung lieferte, nicht politisch motiviert, sondern nicht ganz uneitel zu qualifizieren, finde ich erstens deplatziert zweitens unpolitisch.

    Dass Peter Grottian keinen Laptop hat, finde ich vernachlässigungswert, vielleicht überschätzen wir ja gesellschaftspolitisch soziale Medien, das Digitale überhaupt, wenn wir das Analoge vernachlässigen?

    Peter Grottian fand schon 2008 in der Weltfinanzkrise Lehman Brother Pleite Nine Fiftheen, fehlender Tobin Steuer bei unvermindert dereguliert computergesteuert hochfrequenten Handel mit Aktien, Devisen, Derivaten auf Aktien, Indices, Rohstoffe, Nahrungsmittel, EFTs-, Hedge-, Immobilienfonds, Linke produziere zwar verheißungsvolle Programme, die praktisch ungelesen zu versanden drohen, ist aber in gesellschaftspolitischer Realität zu wenig radikal an gesellschaftspolitischen Problemen entlang, Konflikte mit dem Establishment zu wagen

    www.youtube.com/wa...zw&feature=related

  • Die Nachricht trifft mich, obwohl ich lange nicht mehr an ihn gedacht habe.



    Peter hat damals einen entscheidenden Beitrag zu meiner Politisierung beigetragen im Streiksemester 2003/04 an der FU.



    Er hatte die Fähigkeit, Menschen mitzureißen und zu mobilisieren, mit seiner Art zu reden.

    Jetzt verbringen ich mein Wochenende mit nostalgischen Erinnerungen und überlege mir, ob ich politisch noch aktiv genug bin.

    Vielen Dank für den Nachruf!

  • Ich habe das traurige Gefühl hier endet etwas. Gibt es noch engagierte Wissenschaftler wie Grottian? Gibt es noch ein politisches Leben an den Unis? Typen wie Grottian mögen manchmal übertreiben, sie sind aber absolut notwendig, vor allem um den Studenten das Selber- Denken beizubringen.

    • @Benedikt Bräutigam:

      Ich kann Ihnen nur beipflichten: Der Tod Grottians hinterlässt eine wahrhaft große Lücke, insbesondre im Wissenschaftsbetrieb!

  • Wie Peter Brückner hat er sich nicht opportunistisch verbogen, wie so viele der Neuen Linken, denen ihr Professorentitel und Beamtenstatus wichtiger sind als ihre politische und menschliche Glaubwürdigkeit!



    Da gibt's andere, die aus "Freunschaft" und überbordendem Opportunismus Schröders Klassenkampf von oben fleißig unterstützt haben, und sei es durch beredtes, feiges Schweigen.



    Möge Grotian nun in Frieden ruhen, nachdem er sich ein Leben lang für wichtige Anliegen verausgabt hatte!

  • Rest in Power!

    • @Uranus:

      ... und danke für den Nachruf.