Nachruf Kurt Biedenkopf: Ein König für Sachsen
Ex-Ministerpräsident Biedenkopf gab den Sachsen wirtschaftliche Erfolge und Selbstbewusstsein. Den Rechtsextremismus unterschätzte er.
Arnold Vaatz, damals Bürgerrechtler und heute weit rechts in der CDU, holte ihn nach Sachsen, um einen ehemaligen Funktionär der DDR-Blockpartei CDU als Ministerpräsidenten zu verhindern. Es begann die Ära von „König Kurt“ als Ministerpräsident.
Biedenkopf holte drei Mal eine absolute Mehrheit für die CDU. Er verstand es, die Sehnsucht des konservativen Teils der Sächsinnen und Sachsen nach einer besonderen sächsischen Identität zu bedienen und dockte an die Vergangenheit des kleines Landes als Königreich an, was für ziemlich viele ältere BewohnerInnen bis heute wichtig ist. Zur Staatskanzlei machte er einen königlichen Protzbau an der Elbe, auf dessen Dach bis heute eine goldene Krone sitzt.
Für die Rolle als Sachsen-Versteher war hilfreich, dass er von 1938 bis 1945 nebenan in Sachsen-Anhalt aufgewachsen war, was er und sein Berater geschickt nutzten. Nach 1945 zog seine Familie zurück in den Westen.
Industriestandort reaktiviert
Sein Sensorium für die Schattenseiten des Landes nach der Wende war weniger ausgeprägt. Berüchtigt ist sein trotziger Ausspruch, dass die Sachsen immun gegen Rechtsextremismus seien. Das war im Jahr 2000, als die NPD bereits in zahlreichen Kommunalparlamenten saß und die Straßen der Kleinstädte in der Sächsischen Schweiz und im Erzgebirge – der Autor hat es selbst erlebt – abends den Skinheads gehörten.
Eisern hielt Biedenkopfs CDU-Regierung am Dogma fest, dass die „SED-Nachfolger“ von der PDS genauso schlimm – oder schlimmer – seien wie die, die rechtsaußen stehen. Das war die sächsische Variante der Hufeisentheorie.
Aber seine Popularität hatte auch einen Kern. Erfolgreich reaktivierte er die Tradition Sachsens als Industriestandort, er half bei der Ansiedlung der Chipindustrie in Dresden und machte sich für den sächsischen Standort von VW in Zwickau stark.
Linke Ideen angezapft
Der erfolgreiche Wirtschaftskurs lag auch an guten Leuten, die er in sein Kabinett holte – ein Talent, bei dem er Helmut Kohl ähnelte, der ihn, der schon mit 34 Jahren Professor für Wirtschafts- und Arbeitsrecht in Bochum wurde, in den siebziger Jahren in die Politik geholt und ihn 1973 zum CDU-Generalsekretär gemacht hatte. Kohl förderte mit Heiner Geißler, Biedenkopf und später Rita Süssmuth unabhängige Köpfe, die die intellektuell ausgetrocknete Partei wiederbeleben sollten.
Der Zeitgeist in der Bundesrepublik war damals klar links – das Trio setzte etwa nicht daran, die CDU als rechten Gegenpol zu verorten, sondern zapfte linke Ideen an und übersetzte sie für die CDU. Biedenkopf saß einer nach ihm benannten Kommission vor, die die betriebliche Mitbestimmung vorantreiben sollte und deren Vorschläge später in das Mitbestimmungsgesetz von 1976 einflossen.
Zusammen mit Geißler stellte er die „Neue Soziale Frage“ – und schuf damit ein neues Schlagwort. Es ging darum, Arbeitslose, RentnerInnen mit geringem Einkommen und alleinstehende oder nicht berufstätige Frauen, die in der Sozialpolitik bis dahin kaum mitgedacht waren, mehr in den Blick zu nehmen. Die CDU, bis dahin eher ein konservativer Honoratiorenclub, musste man plötzlich wieder ernst nehmen.
Als König Kurt war er ein (bei den meisten) beliebter, unangefochtener Ministerpräsident, zwanzig Jahre vorher ein scharfsinniger Analytiker, der Debatten mitprägte – nur wenige PolitikerInnen schaffen es, zwei so unterschiedliche Rollen in ihrem Leben auszufüllen. Am Donnerstag ist Kurt Biedenkopf in Dresden mit 91 Jahren gestorben.
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