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Werkschließung bei JungheinrichNachhaltig abgebaut

Die Jungheinrich AG bekommt den „Deutschen Nachhaltigkeitspreis“ verliehen. Dagegen protestieren jene, die dort gerade ihre Arbeitsplätze verlieren.

Flott unterwegs: Ein Gabelstapler fährt durch die Fabrikhalle in Norderstedt Foto: Malte Christians/dpa
Nadine Conti

Aus Hannover

Nadine Conti

Seit drei Wochen stehen sie vor den Werkstoren von Jungheinrich in Lüneburg. Mit dem unbefristeten Streik wollen die Mitarbeiter ihren Arbeitgeber noch einmal an den Verhandlungstisch zwingen. Der hatte im Sommer angekündigt, das Werk schließen zu wollen. Doch noch immer hoffen hier rund 300 Leute, dass es irgendwie doch eine Zukunft für sie gibt.

Insgesamt will das Unternehmen 1.000 Arbeitsplätze an verschiedenen Standorten, überwiegend in Norddeutschland, abbauen. Jungheinrich produziert Gabelstapler, Hubwagen und Lagersysteme. Das Werk in Lüneburg trifft es durch die Komplettschließung besonders hart. 400 Industriearbeitsplätze fallen hier weg, 300 sollen gestrichen, 100 an andere Standorte verlagert werden.

Das versetzt auch die lokale Politik in Aufruhr – Protest gab es aus dem Rathaus und fast allen Fraktionen. Jungheinrich ist nicht der erste Industriebetrieb, der hier den Rotstift ansetzt. Auch Panasonic und der Autozulieferer Yanfeng haben Arbeitsplätze gestrichen, das Lüneburger Eisenwerk musste Insolvenz anmelden.

An diesem Freitag wird sich nun eine Abordnung der Streikenden auf den Weg nach Düsseldorf machen und vor dem Maritim-Hotel weiter demonstrieren. Dort findet nämlich die glamouröse Gala des „Deutschen Nachhaltigkeitspreises“ statt. Unter den Ausgezeichneten: die Firma Jungheinrich.

Der deutsche Nachhaltigkeitspreis ist umstritten

Der Deutsche Nachhaltigkeitspreis ist eine große Nummer. Auch in diesem Jahr versammelt die zweitägige Veranstaltung wieder viel Prominenz aus Politik und Klimabewegung: die WTO-Generaldirektorin Ngozi Okonjo-Iweala, EU-Umweltkommissarin Jessika Roswall, Bundestagspräsidentin Julia Klöckner, Bundesministerin Karin Prien, den UNIDO-Generalsekretär Gerd Müller, die Klimaforscher Johan Rockström und Mojib Latif, die Bestsellerautorin Maja Göpel, den Publizisten Eckart von Hirschhausen und die Klimaaktivisten Luisa Neubauer und Vanessa Nakate listet die Website auf.

Verliehen werden allerdings auch eine kaum noch zu überschauende Anzahl an Preisen in x Unterkategorien an Einzelpersonen, Städte, Unternehmen und Initiativen. Der Preis war in den vergangenen Jahren deshalb auch öfter in die Kritik geraten: Weil die Auswahl nicht immer transparent erschien, die schiere Masse das angestrebte Lernen voneinander schwierig machte, die Verknüpfungen zwischen Politik, Veranstaltern, Jury-Mitgliedern und Ausgezeichneten undurchsichtig erschienen.

Am Ende müssen die Ausgezeichneten dann auch noch zahlen, um das DNP-Siegel verwenden zu dürfen. Gleichzeitig hat der seit 2008 existierende Preis dem Nischenthema Nachhaltigkeit unbestreitbar eine sehr große und sehr prominente Bühne bereitet.

Hier werden hoch qualifizierte Arbeitsplätze und das Wissen ganzer Generationen vernichtet.

Florian Rebstock, Gewerkschaftssekretär bei der IG Metall

Die Firma Jungheinrich erhält die Auszeichnung laut Jurybegründung nun unter anderem für ihren Einsatz für elektrische Antriebe und ihr umfangreiches Wiederaufbereitungs- und Recyclingprogramm bei gebrauchten Geräten.

Sie setzt auf Klimaneutralität entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Bis 2050 will man netto null Treibhausgasemissionen erreichen, setzt dabei auf Kreislaufwirtschaft, erneuerbare Energien und gesteigerte Energieeffizienz. Eine ähnliche Begründung war schon mit der Preisverleihung 2022 verbunden.

Nachhaltig unsozial findet das die IG Metall

Jungheinrich, als Familienunternehmen in Hamburg gestartet, ist längst ein international agierendes Unternehmen und als solches nicht nur auf Spar-, sondern auch auf Wachstumskurs. Aus dieser globalen Perspektive spielen wohl ein paar Hundert Arbeitsplätze in Deutschland keine so große Rolle.

Und genau das hält die IG Metall, die den Protest unter dem Motto „Nachhaltig unsozial“ organisiert, für eine schwer erträgliche Doppelmoral. „Hier werden hoch qualifizierte Arbeitsplätze und das Wissen ganzer Generationen vernichtet“, kritisiert Gewerkschaftssekretär Florian Rebstock. „Nachhaltigkeit darf kein Marketingbegriff sein. Sie beginnt bei den Menschen – nicht auf Preisverleihungen.“ Wer von Verantwortung rede, müsse sie auch leben.

Das Werk in Lüneburg, sagt Rebstock, gehöre zu den innovativsten im Konzernverbund und schreibe schwarze Zahlen. Hier arbeiten Ingenieurinnen, Entwickler und Facharbeiterinnen Hand in Hand – Konstruktion und Fertigung greifen ineinander, um Sonderbauten im industriellen Maßstab zu realisieren.

Offensichtlich, so munkeln Branchenmagazine, ist dieses spezielle Segment aber eben nicht mehr so gefragt. In Zeiten der Krise setzt man eher auf Massenproduktion. Offenbar soll auch die Kooperation mit China ausgedehnt werden. Außerdem, heißt es unter anderem im Finance Magazin, müsse sich Jungheinrich noch vom verlustreichen Verkauf der russischen Tochterfirma erholen.

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