Nachdenken über den Begriff „Öffnung“: Der ruinierte Bühnenstar
Die „Öffnungsdebatte“ ist ein unwürdiger Umgang mit der einst so wichtigen Repräsentantin für Freiheit, Hoffnung, Abenteuer, neue Ufer.
N ach Menschen mit Alter, Kindern oder Vorerkrankungen ist es Zeit für eine Soli-Gruppe, die sich den durch die Pandemie in den Ruin getriebenen Vokabeln widmet. Während sich Ausdrücke wie „vorpreschen“ bereits vor Erschöpfung durch hyperinflationären Gebrauch in einen dunklen Keller zurückgezogen haben, wird in diesen Tagen der „Öffnung“ übel mitgespielt.
Was war sie doch für ein Bühnenstar unter den Begriffen! Einerseits ein Allerweltswort, in ihrer buchstäblichen Inszenierung aber ein seltenes Exemplar, da sich die Architektur ihrer Schriftzeichen am bedeuteten Inhalt orientiert: mit ihrem riesigen Ö am Anfang imitiert sie ein wildes Tier, das sein Maul erst brüllend aufreißt, dann mit einem ff einen retardierenden, die Angriffslust zurücknehmenden Moment einlegt, sich leicht schließt und auf konstant niedrigschwelligem Niveau verharrt.
Ganz so wie der Vorgang des Öffnens von Menschenhand: am Anfang große Show (die Tür geht auf, wow!), anschließend kurzer Passagenmoment (man geht durch die Tür durch, aha!), und dann verpufft der Effekt komplett, denn die Tür geht entweder einfach wieder zu, ohne dass man es merkt, oder sie bleibt auf und alle vergessen, dass sie jemals geschlossen war.
Aber die Öffnung ist nicht nur ein Werkzeug im Weinberg der Vokabeln. Mit den Jahren hatte sie sich einen glamourösen Status erarbeitet, über den andere Wörter nur staunen konnten: Chinas „Überragender Führer“ Deng Xiao Ping benannte 1978 sein revolutionäres Programm nach ihr: „Reform und Öffnung“. Ronald Reagan nutzte sie für seinen legendären Appell am Brandenburger Tor 1987: „Mr. Gorbachev. Open this gate!“ Der kapitalistische Antifaschismus errang mit ihr seinen letzten Sieg über die Nazis: 1996 wurde die 1934 festgesetzte „Ladenschlusszeit“ von 18.30 Uhr zugunsten der „verlängerten Ladenöffnungszeit“ bis 20 Uhr liquidiert. Angela Merkel sorgte mit ihrer „Grenzöffnung“ 2015 dafür, dass nach „Blitzkrieg“ und „Kindergarten“ ein weiteres deutsches Wort in den internationalen Sprachgebrauch einging: „Willkommenskultur“, synonym für: offenes Land.
Unwürdiger Umgang
Auch in militärisch-taktischer Hinsicht spielte die Öffnung immer eine große Rolle (Öffnung der Bundeswehr für Frauen) und bezeichnet beim Schach die Beseitigung eines Bauern (durch Abtausch oder Opfer), um neue Linien für die eigenen Truppen zu erschließen.
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Die „Öffnungsdebatte“ aber ist ein unwürdiger Umgang mit der einst so wichtigen Repräsentantin für Freiheit, Hoffnung, Abenteuer, neue Ufer. Wie eine Ex-Diva dient die Öffnung heute nur noch als Statistin einer Vorabendserie.
Denn sie wird nicht mehr benutzt, um durch bisher geschlossene Türen zu kommen, neue Welten zu erkunden oder Verhältnisse umzuschmeißen. Die Öffnung wird heute benutzt, um die Türen lediglich wieder in den Zustand zu versetzen, in dem sie vorher auch schon waren: manche für alle offen, manche nur wenigen. Wegen „Team Öffnung“ ist der einstige Vokabelstar nur noch ein Schatten seiner selbst: Oder was genau soll vom „Öffnungsturbo“ eigentlich geöffnet werden, wo doch sowieso nichts mehr geschlossen, höchstens im eingeschränkten Betrieb ist?
Fans und Feinde der „Öffungsorgie“ wirken wie Teilnehmer einer geschlossenen und nicht wie Wegbereiter einer offenen Gesellschaft. Der Öffnungsschimmer am Horizont lässt auf sich warten.
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