Nachdenken über das Sterben: Der Tod wohnt im Zimmer nebenan

Trost kann helfen, den Tod zu verarbeiten. Doch unsere Autorin ist beim Denken ans Sterben mittlerweile untröstlich, seitdem sie eigene Kinder hat.

Ein kleiner Junge steht frontal vor einer offenen Tür in einem Hausflur und wird vom herausscheinenden Licht angestrahlt

Ist für viele erstmal eine große Leere: der Tod Foto: Imago

Der Tod ist für mich etwas sehr Abstraktes. Eine Leere, die bleibt. Undefinierbar und ohne Sinn. Jedes mal, wenn ich darüber nachdenke, dass wir alle irgendwann sterben müssen – was ich mit einer bemerkenswerten Frequenz tue, seit ich Kinder habe –, verstehe ich zumindest für einen kurzen Moment, dass Menschen sich dem Glauben zuwenden. Dass sie so diese Leere füllen und Trost finden. Weil ich keinen Trost mehr finde, wenn ich daran denke, dass ich nicht für immer für meine Kinder da sein kann.

Als meine Oma vor vielen Jahren gestorben ist, war ich untröstlich. Ich weiß noch, dass in ihrem Esszimmer ein großer Stapel Karten und Briefe lag. Beileidsbekundungen, die Menschen aus dem ganzen Land geschickt hatten. Ich kannte diese Leute nicht. Sie kannte viele Menschen aus ihrem langen Leben. So viele, dass es mir manchmal schien, als hätte sie mehr als eines gelebt.

Ich war innen leer und zog wahllos ein Kuvert aus dem Stapel auf dem Tisch, an dem ich schon gesessen hatte, als meine Füße beim Sitzen noch in der Luft baumelten. Auf der Karte stand: „Der Tod hat keine Bedeutung. Ich bin nur in das Zimmer nebenan gegangen. Ich bin ich, ihr seid ihr. Das, was ich für euch war, bin ich immer noch.“

Diese Zeilen sind eine freie Übersetzung einer Predigt, die, wie ich später gelernt habe, Henry Scott Holland im Jahr 1910 anlässlich des Todes von König Edward VII. in London gehalten haben soll. Diese paar Zeilen haben mir eine so große Menge Trost gespendet, dass mir aber ziemlich egal war, wo sie herkamen. Ich klammerte mich wochenlang daran, wie an einen Rettungsring.

Geburt ist dem Tod sehr nahe

Während ich mein erstes Kind geboren habe, hatte ich zeitweise große Angst. Es ist dann alles gut gegangen, aber während der Geburt habe ich schlagartig verstanden, dass ich an einer Tür in ein anderes Zimmer stehe.

Die Geburt ist dem Tod so nahe, dass sie sich im Vorbeigehen zunicken, wie zwei Arbeitskollegen. Als mein Kind dann in meinem Arm lag, dachte ich erleichtert, dass da gerade jemand aus einem anderen Zimmer gekommen war, um eine Weile mit mir in einem Zimmer zu bleiben.

Vergangene Woche ist ein Freund verunglückt. Er war noch so jung. Er war so eine gute Seele. Seit Tagen ringe ich damit, das Abstrakte zu verstehen, die Leere aus meinen Kopf zu kriegen. Dann kamen mir wieder diese Zeilen in den Sinn: Der Tod hat keine Bedeutung. Er ist nur in das Zimmer nebenan gegangen. Er ist er, wir sind wir. Das, was er für uns war, ist er immer noch.

Abends, wenn ich die Kinder zu Bett bringe, bleibe ich jetzt ein bisschen länger bei ihnen. Ich höre ihnen ein bisschen aufmerksamer zu. Ich drücke sie ein bisschen fester. Vielleicht klammere ich mich auch an sie, wie an einen Rettungsring. Ich rieche an ihren kleinen Köpfen, wenn sie schlafen und bin traurig, aber glücklich, dass ich noch im selben Zimmer sein darf.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Schreibt über Gesellschaft, Politik, Medien und manchmal über Österreich. Kolumne "Kinderspiel". War 2013 Volontärin der taz panter-Stiftung, dann taz-Redakteurin. Von 2019 bis 2022 Ressortleiterin des Gesellschafts- und Medienressorts taz zwei. Lebt und arbeitet in Wien.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.