Nach über 1.500 Tagen Geiselhaft: Nahid Taghavi aus iranischer Haft frei
Die deutsche Staatsbürgerin wurde 2020 von der iranischen Revolutionsgarde festgenommen. Sie verbrachte über sieben Monate in Isolationshaft.

Nach mehr als 1.500 Tagen in Geiselhaft der Islamischen Republik Iran ist die 70-jährige deutsche Staatsbürgerin Nahid Taghavi wieder bei ihrer Familie in Köln. Ihre Tochter Mariam Claren, die sich seit der Inhaftierung ihrer Mutter für sie einsetzt, empfing sie am Sonntagnachmittag am Flughafen Köln/Bonn.
Taghavis politische Arbeit beginnt bereits in den 1970er Jahren, und ihre Überzeugungen bleiben auch unter widrigsten Umständen unerschütterlich. Der Kampf gegen Korruption, die Förderung von Menschenrechten und die Unterstützung marginalisierter Gruppen ziehen sich wie ein roter Faden durch ihr Leben.
In Italien studiert sie Architektur und lebt seit den 1980er Jahren in Köln. Im Oktober 2020 wird sie von der iranischen Revolutionsgarde festgenommen und in das berüchtigte Evin-Gefängnis gebracht. Nach einem Schauprozess unter dem Richter Iman Afshari wird sie zu 10 Jahren und 8 Monaten Haft verurteilt. In ihrer Verteidigung vor Gericht sagt sie unerschrocken: „Wenn das Reden über Korruption und Armut ‚Propaganda gegen den Staat‘ ist, dann bin ich schuldig.“ Die sieben Monate Isolationshaft scheinen ihren Geist nicht gebrochen zu haben.
Die körperlichen Folgen sind jedoch enorm: Mehrere Bandscheibenvorfälle, Bluthochdruck und Diabetes unter mangelhafter medizinischer Versorgung verschlechtern ihren Gesundheitszustand lebensbedrohlich, sodass die ebenfalls inhaftierte Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi im Juni 2023 via Instagram-Post Alarm schlägt.
Hinter den Gefängnismauern setzt sie ihren Kampf gegen Ungerechtigkeiten fort, beteiligt sich an Hungerstreiks, fordert das Ende von Hinrichtungen. Nach ihrer Ankunft in Deutschland setzt sie noch am Flughafen ein Zeichen und solidarisiert sich mit ihren ehemaligen Mitgefangenen Pakhshan Azizi und Verisheh Moradi, die zum Tode verurteilt worden sind.
Die Bundesregierung forderte Taghavis Freilassung öffentlich nie, die stille Diplomatie war bis zuletzt die bevorzugte Strategie. Doch ihre Tochter Mariam Claren setzte auf Öffentlichkeitsarbeit und mobilisierte durch ihre Kampagnen weltweit Unterstützung. Es scheint, dass dieser Druck, verbunden mit geopolitischen Überlegungen des iranischen Regimes, letztlich zur Freilassung führte.
Iran ist international isoliert. Die Unterstützer des Regimes sind durch den Tod wichtiger Hamas- und Hisbollah-Kader in den vergangenen Monaten geschwächt. Der Fall des Diktators Assad in Syrien schwächte das Regime weiter. In den USA steht eine Trump-Präsidentschaft bevor. Die Mullahs in Teheran brauchen neue Verbündete. Die Freilassung von Nahid Taghavi könnte ein Versuch des Regimes sein, sich über Deutschland wieder der EU anzunähern.
Trotz der Freude über Taghavis Heimkehr bleibt die Geiseldiplomatie des iranischen Regimes eine bittere Realität. Laut Reuters sind derzeit mindestens 20 europäische Staatsbürger:innen in iranischer Haft – darunter der schwedische Arzt Ahmad Reza Jalali, der sogar zum Tode verurteilt wurde. Der Fall des deutschen Staatsbürgers Jamshid Sharmahd, der nach vier Jahren Geiselhaft ermordet wurde, zeigt das Versagen der Bundesregierung auf schmerzhafte Weise. Eine europäische Strategie zur Bekämpfung dieser Praxis ist dringender denn je.
Die Freilassung Taghavis ist in erster Linie ein Erfolg der unermüdlichen Öffentlichkeitsarbeit ihrer Tochter. Die stille Diplomatie ist gescheitert.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!