piwik no script img

Nach der Fußball-EMVerhandelte Politik

Martin Krauss
Kommentar von Martin Krauss

Die Euro24 ist vorbei und hat eines gezeigt: Wenn wir über Demokratie und Gerechtigkeit sprechen wollen, müssen wir über Fußball reden.

Fußball funktioniert nur als Mannschaftsspiel, aber am Ende darf der Trainer als Einzelner gefeiert werden Foto: Tom Weller/dpa

W ir reden hier über Sport. Versprochen. Wirklich über nichts anderes als Fußball. Deswegen werden wir viel über Demokratie sprechen. Das überzeugendste Argument, warum diese Fußball-Europameisterschaft nicht die vielbehauptete Ablenkung von politischen und ökonomischen Sorgen wurde, lieferte das Wetter. Trockene Hitze und Starkregen wechselten ab. Ein ziemlich eindeutiges Zeichen, dass die Dauerlitanei (nicht nur) der Sportverbände, man selbst habe mit politischen Problemen nichts zu tun, ja, man sei bestenfalls Spiegel der Gesellschaft, schlicht nicht mehr zu halten ist.

Auch Wetterextreme und der Umgang mit ihnen zeigen, was nicht nur bei der Uefa und dem DFB, sondern auch in der deutschen Politik niemand zugeben will: Der Fußball ist Teil dieser Welt. Sport bildet nicht politische Diskurse ab, sondern er ist eine Form, in der sie verhandelt werden.

Diese Erkenntnis liefert uns der Fußball nicht nur, wenn es um die Klimakatastrophe geht. Schauen wir doch nur, welchen Dreck die AfD über das DFB-Team auskübelt, wenn es heißt, sie sei eine „Fremdenlegion“. Und dann gucken wir, wer wie guten Fußball spielt: Um ein wichtiges Turnier zu gewinnen und Menschen in seinen Bann zu ziehen, muss ein Team die Repräsentanz der gesamten Gesellschaft sein. Es muss so divers sein wie der Pausenhof einer Grundschule. Wer diese Tatsache nicht akzeptiert und von einem besonderen Leistungsvermögen ethnisch homogener Mannschaften fabuliert, kann nur verlieren. Überall, auch im Fußball.

Noch eine Erkenntnis verdanken wir dem Ausgang des EM-Finales: Der Präsident des spanischen Fußballverbandes, der vor einem Jahr, als die Fußballerinnen des Landes ihren WM-Titel feierten, sich einfach Spielerinnen griff, um ihnen einen Mundkuss aufzuzwingen, weil er doch schließlich der allmächtige Boss war, ist mittlerweile gesellschaftlich geächtet. Wenn Fußball Menschen begeistern soll, so die Lehre, dann darf er schlicht nicht sexistisch sein.

Das Kollektiv ist wichtig

Und auch das haben wir gelernt: Das Kollektiv ist wichtig. Der Trend im Fußball und anderswo, überbezahlte Superstars zu kreieren, die sich als die eigentlichen Macher feiern lassen, wurde bei dieser EM Lügen gestraft. Kein einzelner Spieler überstrahlte das Turnier, sondern es wurde von großen Talenten und sehr mannschaftsdienlich spielenden Akteuren geprägt. In einer vielleicht naiven, vielleicht auch zu steinmeieresken Weise hat Bundestrainer Julian Nagelsmann diese Wahrheit so ausgedrückt: „Ich habe noch nie einen Menschen getroffen, der Dinge alleine macht und dann automatisch schneller, besser weiterkommt, als wenn er sie mit jemandem zusammen macht. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.“

Ja, Fußball ist ein Sport, der mehr als deutlich zeigt, dass Gewäsch über einzelne „Leistungsträger“, die sich über die arbeitende Gesellschaft erheben dürfen und das x-fache verdienen, nur eben dies ist: Gewäsch. Man kann auch sagen: neoliberale Legitimationsideologie.

Das alles ist nicht neu. Es wurde nur vergessen. Doch dieser EM könnten wir (hoffentlich!) verdanken, dass es sich wieder in den Vordergrund drängt. „Alles, was ich über Moral und Verpflichtungen weiß, verdanke ich dem Fußball“, schrieb Albert Camus, Ex-Torwart und später Literaturnobelpreisträger. Und Bill Shankly, legendärer Manager des Liverpool FC, drückte es so aus: „Der Sozialismus, an den ich glaube, besteht darin, dass alle füreinander arbeiten und dass jeder von dem, was dabei herauskommt, etwas erhält. So sehe ich den Fußball, so sehe ich das Leben.“

Wenn wir über Demokratie und gesellschaftlichen Fortschritt sprechen wollen, müssen wir einfach über Fußball reden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Martin Krauss
Jahrgang 1964, freier Mitarbeiter des taz-Sports seit 1989
Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • Vielen Dank für eure Beiträge, wir haben die Kommentarfunktion geschlossen.

    Die Moderation

  • „Um ein wichtiges Turnier zu gewinnen und Menschen in seinen Bann zu ziehen, muss ein Team die Repräsentanz der gesamten Gesellschaft sein“. Wohl kaum. Die Nationalmannschaften, junge, gesunde und spitzenverdienende Männer, unbehelligt von jeglicher (nichtsportlich verursachter) Behinderung, repräsentieren nichts weniger als die gesamte Gesellschaft.



    Und entscheidend für den Erfolg ist, ob die Leute gut Fußball spielen können, nicht, ob sie eine migrantische Biographie haben. Das gilt natürlich genauso für Sportler „reinethnischer“ Herkunft. Hinter das Loblied auf die Talente und den Teamgedanken würde ich ein Fragezeichen setzen. Das „Talent“ schlechthin, der 17jährige Yamal, wurde von der Fußballakademie Barcelona ausgebildet, bei seinem letzten Vertragsabschluss im Oktober 23 wurde eine Ausstiegsklausel i.H.v. 1 Mrd. € vereinbart. Die in Nationalmannschaften spielenden Talente sind, wenn nicht schon heute, die Superstars von morgen. Es ist kein Zufall, dass zwei Mannschaften mit gigantischen Kaderwerten (England 1,7 Mrd. €, Spanien 1 Mrd. €) ins Finale kamen.



    Ich sehe wenig, was Demokratie und Gesellschaft sich vom Fußball abgucken könnten.

  • Jeder andere Sportart ist besser geeignet Demokratie aufzuzeigen , da die sogenannten Randsportarten. aus wenig viel machen und das ohne öffentlich dafür Lob zu wollen.



    Beim Fussball ist eher andersrum. Er ist tatsächlich wie Politik , es heißt immer das Team ,aber Ende wählt man Merkel, Scholz, Wagenknecht . Beim Fußball ist Mbappe, Ronaldo etc

    • @Mr Ambivalent:

      Politische Relevanz kann eine Sportart erst dann entfalten wenn sie auch gesellschaftlich relevant ist, also von vielen gespielt/konsumiert wird. Und wenn die Masse dabei ist, sind die "Guten" der Gesellschaft immer eine Minderheit.

      Das ist der Denkfehler vieler Fussballhasser. Sie glauben es ist die Sportart ansich die für das Schlechte (Kommerzialisierung, Proletentum, Nationalismus), dabei ist es nur die Popularität eines Sports. Im römischen Reich übten Wagenrennen die selbe Funktion aus wie der Fussball im heutigen Europa.

  • Wann und wo hatten wir während der WM trockene Hitze? Ich meine länger als 24 Stunden am Stück?

    • @Michas World:

      Zum Nebenpunkt Auszüge aus dem DWD-Juni-Rückblick



      "zwischen frühherbstlicher Kühle und hochsommerlicher Hitze"."In der Schlussphase des Juni folgten dann die bisher sonnigsten Tage des Jahres"



      "Das Temperaturmittel lag im Juni 2024 mit 16,8 Grad Celsius (°C) um 1,4 Grad über ...1961-1990"



      Kalt vor Turnierbeginn, dann entweder feucht-heiß oder hochsommerlich-heiß.

      Die mussten schon gut trinken .

  • Überhöhen sollten wir den Fußball nun auch nicht. Es gibt auch andere Sportarten, und auch kitzelt der Fußball unschöne Dinge mit hoch. Horchen Sie mal bei der Südkurve auf die Wortwahl Ihres Nachbarn. England-Serbien? England-Russland?

    Was man vielleicht sagen kann, dass auch im Fußball die Zeit der Autoritären vorbei ist, dass man auch dort die Mischung aus Team und individueller Brillanz (und Nichtbrillanz) braucht.



    Dass man auch mit Menschen aus anderen Ländern zusammen flachsen und feiern kann.



    Idealisieren aber: nein.

  • „Alles, was ich über Moral und Verpflichtungen weiß, verdanke ich dem Fußball“, schrieb Albert Camus, Ex-Torwart und später Literaturnobelpreisträger."



    /



    Camus, Schweitzer und Einstein, jeweils mit Vornamen Albert, waren begeisterte Anhänger einer Idee, die ich auch favorisiere: Weltbürgertum



    Dafür braucht es prinzipiell eher keine Wettbewerbe mit Nationalmannschaften mehr.



    weltdemokratie.de/...09e3b03/index.html

    • @Martin Rees:

      anschließe mich & “If you want to build charakter - try something else!“



      ©️ Ogilvie/Tutko

    • @Martin Rees:

      Wenn es danach geht braucht es prinzipiell auch keine Fußballligen im Allgemeinen mehr; oder olympische Spiele; oder ganz radikal überhaupt kein Vereinswesen, also alles wo Gleichgesinnte unter sich sind, das widerspricht ja auch dem "Weltbürgertum".

      Dummerweise haben Menschen aber häufig so etwas wie Lokalpatriotismus, welche durch keine Ideologie der Welt ersetzt werden kann.