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Nach der Absage der Eishockey-WMSein ein und alles

Die Absage der Eishockey-WM ist für die Sportler in der Oppositionsbewegung in Belarus ein Erfolg. Sie haben Mut für weitere Proteste geschöpft.

Wohlfühlambiente: Alexander Lukaschenko bei einem Eishockeyturnier im November 2020 Foto: reuters

MINSK taz | Das Bild tauchte nur einen Tag nach der Absage der Eishockey-WM in Minsk in diversen sozialen Medien auf: Präsident Alexander Lukaschenko in voller Eishockeykluft inklusive Schläger und Helm sitzt im Präsidentenstuhl seines Kabinetts und diktiert der Vorsitzenden des Rates der Republik, Natalja Katschanowa, etwas in den Block. Ein etwas lächerliches Szenario und ein Bild des Trotzes, denn der Fakt, dass er sein Land nun nicht mehr als vorbildlichen Organisator sportlicher Großereignisse präsentieren kann, macht dem Autokraten mehr zu schaffen, als er zugeben kann.

„Es ist zu sehen, dass ihn der Verlust des Turniers und die IOC-Sanktionen berühren“, meint etwa Sergej Tschaly. Der Ökonom und Politikexperte war einst selbst im Wahlkampfteam von Lukaschenko aktiv, gehört aber heute dem Koordinationsrat der Opposition um Swetlana Tichanowskaja an. Auch die ehemalige Schwimmweltmeisterin Aljaksandra Herasimenia, nun Präsidentin des belarusischen Sportsolidaritätsfonds, bezeichnete die Absage als eine der größten Niederlagen des Präsidenten, vor allem auch, weil die Initiative von Sportlern aus seinem eigenen Land vorangebracht worden sei. „Theater, Literatur, Wissenschaft, intellektuelle Debatten – all das gehört nicht zu seinen Interessengebieten und ist ihm ziemlich egal. Aber der Sport – das ist sein ein und alles. Und gegen sein geliebtes Eishockey vorzugehen, das empfindet er wirklich als persönlichen Verrat.“

Persönlich schienen auch einige Lukaschenko treue Journalisten die Absage der WM zu nehmen. Der Resortleiter Sport der Regierungs-Postille Belarus Today, Sergej Kanashits, schrieb beispielsweise: „Das ist politisches Banditentum. Keine Untersuchung, kein Prozess, keine Fakten.“ Dass es in Belarus mittlerweile über 190 politische Gefangene gibt (zur Eishockey WM 2014 waren es sieben) war Kanashits keine Erwähnung wert.

Die richtig schrillen Töne waren unterdessen aus Moskau zu vernehmen. Fast hätte man annehmen können, Russland hätte die WM verloren. Schon öfter mal aufgefallen durch groteske Wortmeldungen ist Witali Milonow, seit 2016 Abgeordneter in der Staatsduma und für die Putin-Partei Einiges Russland im Ausschuss für internationale Angelegenheiten aktiv. Die Absage der WM in Minsk sei, so Milonow „eine völlige Gemeinheit, Schurkerei und Eishockey-Homosexualität“. Und der ehemalige Schwergewichtsboxer Nikolai Walujew, auch er ist Duma-Abgeordneter, fügte hinzu: „Das Land denkt und atmet nicht so, wie das einige andere Länder erwarten. Und siehe da, hier ist das Ergebnis. Ich bin sehr enttäuscht.“

„Unbedeutende Individuen“

Wjatscheslaw Bykow, zwischen 2006 bis 2011 Trainer der russischen Eishockeynationalmannschaft und seit 2003 Schweizer Staatsbürger, findet es sogar schwer, den Schädlingen in der IIHF einen entsprechenden Namen zu geben: „Ich weiß nicht einmal, wie ich sie nennen soll. Für mich sind das ja keine wirklichen Persönlichkeiten, sondern nur unbedeutende Individuen. Sie fangen an, ihre schmutzigen Hände an den Sport anzulegen.“

Die Absage der WM macht Lukaschenko mehr zu schaffen, als er zugeben kann

In einem für ihn optimalen Wohlfühlklima war es dann der Vorsitzende des belarusischen Eishockey-Verbandes, Dmitry Baskow, in einem TV-Interview für den staatstragenden Ersten Kanal in Russland unwidersprochen eine deutliche Nachricht an den Sportsolidaritätsfond in seinem Land richten konnte: „Sie feiern einen Sieg, indem sie dem belarusischen Volk diese Feiertage genommen haben. Jetzt können sie nicht mehr als Belarusen bezeichnet werden! Jetzt sind sie nur noch Verräter!“

„Wenn wir Verräter sind“, so fragte daraufhin die Basketballspielerin Elena Levchenko, eine der wichtigsten Repräsentanten des Sportsolidaritätsfonds und selber für mehrere Wochen in Haft, „können wir dich dann auch Mörder nennen?“. Denn es ist ausgerechnet Baskov, der exemplarisch für die zunehmende Gesetzlosigkeit in Belarus steht. Der 42-Jährige steht unter dringendem Tatverdacht, am Gewaltverbrechen gegen den im November getöteten Roman Bondarenko beteiligt gewesen zu sein.

Der IIHF hat mittlerweile eine eigene Untersuchung im Fall Baskov eingeleitet. Mehrere Länder, darunter auch der WM-Co-Gastgeber Lettland, haben gegen Baskow ein Einreiseverbot verhängt. In Belarus gibt es kein Strafverfahren gegen ihn. Er ist nach wie vor auf freiem Fuß.

Der Fall Baskow

Dafür sitzen die Journalistin Katerina Borisowitsch und der Anästhesiarzt Artjom Sorokin seit nunmehr über zwei Monaten in Untersuchungshaft. Borisovich, eine der profiliertesten Gerichtsreporterinnen in Belarus, hatte nach der Tatnacht Sorokin interviewt, der zu den behandelnden Ärzten gehörte, die versucht hatten, Bondarenkos Leben zu retten. Sorokin hatte sich dabei über die Behauptung, dieser sei betrunken gewesen, empört und damit Lukaschenko direkt widersprochen.

Alles kein Problem für Baskow. Als IIHF-Chef Rene Fasel vor zwei Wochen in Minsk eintraf, um sich von Lukaschenko an die Brust ziehen zu lassen, wartete dort auch Baskow auf ihn und ließ sich mit Fasel ablichten. Das Foto entzündete in Belarus einen wahren Shitstorm gegen den scheidenden Weltverbandspräsidenten, der sich danach überrumpelt zeigte und sagte: Ich kenne Baskow seit Langem, und er kam auf mich zu und sagte: ‚Rene, Selfie, bitte!‘ Ich hätte nicht gedacht, dass das Foto veröffentlicht wird. Wir müssen zugeben, dass wir da Opfer einer Manipulation geworden sind.“

Das Foto gemacht und verbreitet hatte übrigens Artjom Karkotski, einstiger Eishockeyspieler und enger Freund von Baskow. Wenig später konnte man auf seinem Instagram-Account ein kurzes Video sehen, wie er tapfer und mit heiligem Zorn eine Dose Nivea-Creme nahm und in den Mülleimer beförderte. Nivea hatte ebenso wie Skoda, Liqui Moly und andere Firmen erklärt, der WM nicht als Sponsoren zur Verfügung zu stehen, sollte sie wie geplant auch in Minsk stattfinden.

Pressbol, die größte Sportzeitung in Belarus, hatte danach geschrieben, dass es am Ende ausgerechnet die „Haie des Kapitalismus“ gewesen seien, die mit dem Thema „Menschenrechte“ auf der Flagge die WM in Minsk unmöglich gemacht hätten.

Echte Freude über die Entscheidung des IIHF kam bei den Mitgliedern des belarusischen Sportsolidaritätsfonds auf. Dessen Geschäftsführer, der in die Ukraine geflüchtete Aljaksandr Apeikin, erklärte am Tag der Absage der WM auf seinem Facebook-Account: „Freunde, wir haben mal wieder die Weltpresse für unsere Sache erobert!“ Den nächsten Erfolg konnte die Vereinigung schon eine Woche nach der Absage der Eishockey-WM feiern. Die WM im Modernen Fünfkampf wird im Juni nicht wie geplant in Minsk stattfinden.

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