Nach den Schüssen in San Bernardino: Das Ende einer Weihnachtsfeier
Die Attentäter hatte Tausende Schuss Munition und Rohrbomben auf Lager. Einer der Angreifer hatte Kontakt zu Extremisten.
Die Motive des Pärchens liegen immer noch im Unklaren. Einer der Angreifer im kalifornischen San Bernardino unterhielt über soziale Medien Kontakte zu Extremisten, die dem FBI bekannt waren. Dies teilte ein Geheimdienstbeamter am Donnerstag mit. Ermittler versuchen herauszufinden, ob und wie sich der als Attentäter identifizierte Syed F. radikalisiert haben könnte und ob er in Kontakt mit einer Terrororganisationen im Ausland gestanden habe.
Die Personen, mit denen F. im Netz kommuniziert habe, hätten im Visier des FBI gestanden, seien jedoch „keine wichtigen Akteure auf gewesen“. Zudem lägen dessen Online-Kontakte schon länger zurück, und es gebe keine Hinweise auf eine „Zunahme“ der Kommunikation im Vorfeld der Gewalttat in San Bernardino.
Nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen hatte der 28-jährige F. – zuständig für die Lebensmittelkontrolle von Restaurants in San Bernardino – am Mittwochmorgen zunächst selbst an der Weihnachtsfeier seiner Kollegen teilgenommen. Nach einem Streit verließ er den Raum. Kurz vor 11 Uhr kam er zurück. Dieses Mal war seine 27-jährige Frau Tashfeen M. dabei. Beide trugen schwarze Kampfkleidung und Masken. Binnen weniger Minuten gaben sie mindestens 65 Schüsse ab.
Keine Vorwarnung
Bei der polizeilichen Verfolgung des Pärchens flogen Sprengsätze aus dem SUV. Die beiden gaben weitere 76 Schüsse ab. In den Wohnhäusern des Ortes Redlands, wo ihre Flucht endete, gingen die Anwohner in Deckung. Die Polizei verschoss nach eigenen Angaben 380 Kugeln. Am Ende waren F. und M. tot. Ein Polizist war verletzt.
Bis Mittwoch hat offenbar niemand etwas kommen sehen. Weder F.s Kollegen, noch seine Angehörigen, noch die US-Behörden. „Ich habe keine Ahnung, warum er so etwas getan hat“, sagte F.s Schwager Ferhan K. am Abend in einer eilig von der Ortsgruppe der amerikanischen Muslime (CAIR) organisierten Pressekonferenz: „Ich stehe selbst unter Schock“. Er hatte F. noch wenige Tage zuvor gesprochen. Auch die Verantwortlichen der Moschee in San Bernardino, in der F. zwei Mal täglich betete, sagten gegenüber Journalisten, dass sie keinerlei Verdacht hatten. Und die Polizeibehörden kannten ihn bis zum Mittwoch nicht. F. ist in den USA geboren. Nach der Scheidung seiner Mutter von ihrem gewalttätigen und alkoholabhängigen Mann, wuchsen er und seine Schwester bei der Mutter auf, wie US-amerikanische Medien berichten.
Zwei Mal reiste F. aus den USA nach Saudi-Arabien. Er blieb jeweils nur kurz dort. Beim ersten Mal fuhr er nach Mekka. Beim zweiten Mal holte er seine Verlobte. Das war vor zwei Jahren. Er hatte sie über eine Dating-Website kennen gelernt. Dort hatte er eine „religiöse Frau“ gesucht. Und angegeben, dass ihm nicht wichtig sei, welcher Religion sie angehöre, wohl aber, dass sie ihre Religion ernst nehme.
Die junge Frau kam mit einem Visum für Verlobte in die USA. Im Juli dieses Jahres – nachdem die US-Behörden den üblichen Hintergrundcheck durchgeführt hatten – erhielt sie eine Greencard. Sowohl die Sturmgewehre als auch die Pistolen, die sie beim Angriff auf die Weihnachtsfeier verwendeten, hatten sie legal in einem Laden bei San Bernardino gekauft.
Mehr Schusswaffenkontrollen
Daily News
Das Pärchen hatte eine sechs Monate alte Tochter. Am Mittwoch Morgen gaben die beiden das Baby bei F.s Mutter ab. Als Grund nannten sie einen Arzttermin.
Donnerstag, den Tag nach dem Massaker, gab Barack Obama eine kurze Presseerklärung ab. Der Präsident wiederholte, dass die Schusswaffenkontrolle verstärkt werden müsse. Schon am Vortag hatte er erklärt, dass es in den USA möglich sei, dass selbst Personen, die vom FBI als Terrorverdächtige eingestuft und mit Flugverbot belegt seinen, völlig legal Schusswaffen kaufen könnten. Sämtliche demokratischen Präsidentschaftskandidaten sprachen sich ihrerseits nach dem Massaker – es handelt sich um die 355. tödliche Schießerei in diesem Jahr – für eine verstärkte Schusswaffenkontrolle aus. Kandidat Bernie Sanders führte aus, dass mindestens 2.000 Personen, die auf der FBI „Terrorwatch-Liste“ stehen, seit dem Jahr 2004 legal Waffen erworben haben.
Auf der anderen Seite des politischen Spektrums fiel die Reaktion auch dieses Mal wieder ganz anders aus. Sowohl die Republikanische Partei als auch die fünf Millionen Mitglieder starke National Rifle Association (NRA), die zahlreiche Kongressabgeordnete finanziell unterstützt, sind gegen mehr Schusswaffenkontrollen.
Noch am Abend des Massakers reagierten republikanische Präsidentschaftskandidaten wie Ted Cruz, Rand Paul und Lindsey Graham sowie der Sprecher des Repräsentantenhauses, Paul Ryan, mit Worten, die zur Routine nach Massakern gehören: „Meine Gedanken und meine Gebete“ gelten den Opfenr. In New York reagierte das Boulevardblatt Daily News am Donnerstag mit einer aufrüttelnden Seite Eins auf diese Floskel. Titel: „Gott wird das nicht reparieren“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin