Wohnung der mutmaßlichen Attentäter: Konserven, Kuscheltiere, Ausweise
Journalist_innen stürmen die Wohnung der mutmaßlichen Attentäter von San Bernardino. Experten sind entsetzt, MSNBC entschuldigt sich.
Gegen 9.15 Uhr (Ortszeit) hatte der Eigentümer der Wohnung, in der das Ehepaar Syed F. und Tashfeen M. gewohnt hatte, die Polizeisiegel entfernt und die Presse eingelassen. Nicht nur dutzende Reporter, Fotografen und Kameraleute stürmten daraufhin in die Wohnung und durchwühlten den Ort, der für die Ermittler von höchstem Interesse ist, weil dort vermutlich der Anschlag geplant wurde. Auch Neugierige aus der Nachbarschaft stöberten in der Wohnung herum, darunter eine Frau mit ihrem Hund.
Einige Reporter zeichneten in der Wohnung Bilder des Ehepaares auf, das eine sechs Monate alte Tochter hatte und von der Polizei nach seiner Attacke auf eine Sozialeinrichtung in San Bernardino am Mittwoch erschossen worden war. Auch ein Foto der 29-jährigen, pakistanischen Attentäterin – vermutlich das erste von ihr – wurde veröffentlicht. „Die Leute haben alles angefasst, einige Reporter haben Bilder aus Fotoalben herausgenommen und sie fotografiert“, berichtete AFP-Fotografin Robyn Beck über das Chaos.
Das Bett und Kuscheltiere des Kindes wurden ebenso live im Fernsehen gezeigt wie ein Gebetsteppich, Rechnungen der Familie, Führerscheine, Sozialversicherungsausweise, Konservenbüchsen, dreckiges Geschirr und der geschredderte Inhalt des Papierkorbs. Unter den Dingen, die in der Wohnung zu sehen waren, war auch eine FBI-Liste mit beschlagnahmten Gegenständen: Notebooks, Computer-Zubehör, Handy-Karten, Kassetten und Munition.
Einer durfte, alle drängten rein
Dem Sender MSNBC zufolge hatte ein Journalist dem Eigentümer der Wohnung 1.000 Dollar für den Zutritt bezahlt – die anderen Medienvertreter waren dann ebenfalls hineingedrängt. „Das ist das Chaos hier“, rief Eigentümer Doyle Miller aus, der von den Ereignissen offenbar überrollt wurde. Nach etwa 90 Minuten warf der ältere Mann alle wieder hinaus.
Dass Fotos und Ausweise zur Identität der beiden Attentäter „kurz“ im Fernsehen gezeigt wurden, bedauerte der Sender MSNBC später öffentlich. Andere Medien wie CNN hatten gleich beschlossen, keine Nahaufnahmen von Fotos oder Papieren zu senden, die eine Identifizierung erlaubt hätten.
Entsetzen bei Strafrechtsexperten
Bei Journalistenkollegen, aber auch bei Strafrechtsexperten war das Entsetzen über den Vorfall groß. CNN-Kriminalitätsexperte Paul Callan kam aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus: „Ich habe sowas noch nie gesehen“, sagte er. „Der Tatort ist jetzt verunreinigt.“ Das zeuge von einem „schockierenden Maß an Nachlässigkeit und richtiger Rücksichtslosigkeit der Strafverfolgungsbehörden“. Sein CNN-Kollege Jonathan Gilliam pflichtete ihm bei. Er sprach von „dem größten sichtbaren Desaster“ für die Behörden in der Geschichte.
Die Bundespolizei FBI verteidigte sich gegen den Vorwurf, sie habe die Wohnung nicht ausreichend abgeriegelt. Die Beamten hätten in weniger als 48 Stunden ihre wissenschaftlichen Analysen in der Wohnung in Redlands nicht weit von San Bernardino entfernt abgeschlossen. Wenn ein Tatort den Besitzern wieder überlassen werde, „dann ist das nicht mehr unser Problem, wer da reingeht“, sagte David Bowdich vom FBI in Los Angeles. Im Haus des 28-jährigen US-Bürgers Farook und seiner Frau hatten die Ermittler zuvor rund 5000 Schuss Munition und zwölf Rohrbomben gefunden. Außerdem wurde Material zum Bombenbau sichergestellt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben