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Nach dem Terroranschlag in WienDistanzieren statt Trauern

Unsere Autorin hat als Muslima Angst, sich nach dem Terroranschlag zu äußern. Anstatt trauern zu dürfen wie alle anderen, muss sie sich abgrenzen.

„Ich distanziere mich eine Million Mal, wenn ich dafür einfach nur um mein Wien trauern darf“ Foto: Leonhard Foeger/reuters

S eit dem Terroranschlag in meiner Heimatstadt Wien weiß ich nicht mehr, was ich sagen darf. Was ich als Muslima schreiben darf, ohne dass mir Verharmlosung unterstellt wird. Ohne dass ich Angst habe, jemand könnte aus meinen Worten herauslesen, ich würde Ausreden für eine derartige Tat suchen.

Die ersten Stunden und Tage nach dem Attentat twitterten sich meine Kolleg:innen die Finger wund, alle hatten eine Meinung dazu, wie sich ein in Wien geborener Jugendlicher radikalisieren kann, was schief gelaufen ist. Im Gegensatz zu ihnen bin ich Pädagogin, hab in Schulen gearbeitet, ich hätte viel zu sagen – aber ich traue mich zuerst nicht, das ist nicht mein Platz, das spüre ich irgendwie.

Schon gar nicht traue ich mich, meine Angst vor der Zunahme an Übergriffen auf Mus­li­m:in­nen und einer antimuslimischen Politik zu artikulieren. Es ist noch zu früh, es könnte so gedeutet werden, als würde ich die Aufmerksamkeit weg von dem Attentat lenken. Ich sehe schon die „Opferrolle“-Kommentare.

Als klar wird, dass eines der Opfer selbst ein junger Mann mit muslimischem Background ist, posten das einige Muslim:innen fast erleichtert als Beweis dafür, dass auch Mus­li­m:in­nen sich nach dieser Nacht als Opfer fühlen dürfen, Angst haben dürfen. Muslimische Jugendliche wiederholen in der Schule immer wieder den Satz: „Wenn jemand einen Menschen tötet, ist es, als hätte er die ganze Menschheit getötet“ – ein Koranvers, mit dem sie allen klarmachen wollen, dass Muslim:innen keine Ter­rorist:in­nen sind. „Der Täter war kein Muslim, er war ein Terrorist“, erklärt eine Schülerin ihrer Lehrerin und in meinem Kopf sehe ich schon die Gedanken der anderen: „Sie leugnet damit die Probleme innerhalb des Islams. Distanziert euch doch einfach von dieser Tat.“

Ich distanziere mich eine Million Mal, wenn ich dafür einfach nur genauso um mein Wien trauern darf wie alle nichtmuslimischen Öster­reicher:in­nen. Wenn ich dafür meine Ängste und Gedanken genauso ungefiltert ausdrücken darf wie alle anderen, ohne dass mir irgendjemand etwas falsch auslegt.

Ein Journalist schreibt bei Twitter, er wundere sich, warum Menschen aus Bosnien nicht alarmierter seien, was fundamentalistische Strömungen angehe. Sie würden das aus ihrer Heimat kennen, wo der eher tolerante bosnische Islam zunehmend unter Druck von Fundis gerate. Ich bin ein Mensch aus Bosnien.

Ich bin alarmiert. Aber was kann ich mehr tun als er? Für Dschihadisten bin ich eine Ungläubige. Der Täter hätte mich genauso erschossen, wäre ich vor Ort gewesen. Er hätte auch meine kopftuchtragenden Freundinnen und Schülerinnen erschossen, die jetzt von Wildfremden auf der Straße als Terroristinnen beschimpft werden. Wir haben keine Zeit zu trauern, wir müssen uns rechtfertigen, wir müssen uns abgrenzen, wir müssen beweisen, dass wir keine Terroristen unterstützen. Das weiß schon jedes muslimische Kind.

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Melisa Erkurt
Autorin "Generation haram", Journalistin, ehemalige Lehrerin, lebt in Wien
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9 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Die Welt ist schlecht Frau Erkurt, und Ihre Kolumne führt uns immer wieder drastisch vor, daß Schlechtigkeit und Bosheit stetig zunehmen, gerade im Westen.

    Möglicherweise könnten Sie die Ihnen aufgenötigte Trauerverhinderung positiv sehen: Als Erfahrung, daß es auch ein Leben jenseits der Trauer gibt.

  • Etwas lamoyant. Sagen Sie doch einfach, was Sie sagen wollen, und trauern Sie, wenn Sie um Wien trauern wollen. Und Kritik sollten Sie dann aushalten können.

  • Wenn solche Terroranschläge mit dem Christentum begründet wären, würde ich mich als Christ unmißverständlich davon distanzieren, und würde dasselbe vom Kirchenoberhaupt erwarten.

    Man muss diesen Wahnsinnigen Terroristen klarmachen, dass sie in der Religionsgemeinschaft keinerlei Unterstützung haben. Das sollte auch von den obersten islamischen Autoritäten verkündet werden.

    Es gibt jedoch leider viel zu viel Schweigen zu diesen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

  • "Muslimische Jugendliche wiederholen in der Schule immer wieder den Satz: „Wenn jemand einen Menschen tötet, ist es, als hätte er die ganze Menschheit getötet“ – ein Koranvers, mit dem sie allen klarmachen wollen, dass Muslim:innen keine Ter­rorist:in­nen sind."

    Finde es ja immer wieder belustigend, wenn gerade dieser Koranvers herangezogen wird, um Gewalt im Namen des Islams zu relativieren. Der gesamte Koranvers lautet nämlich:

    5:32 "Aus diesem Grunde haben Wir den Kindern Isrāʾīls vorgeschrieben: Wer ein menschliches Wesen tötet, ohne (daß es) einen Mord (begangen) oder auf der Erde Unheil gestiftet (hat), so ist es, als ob er alle Menschen getötet hätte. Und wer es am Leben erhält, so ist es, als ob er alle Menschen am Leben erhält. Unsere Gesandten sind bereits mit klaren Beweisen zu ihnen gekommen. Danach aber sind viele von ihnen wahrlich maßlos auf der Erde geblieben."

    und direkt danach

    5:33 "Der Lohn derjenigen, die Krieg führen gegen Allah und Seinen Gesandten und sich bemühen, auf der Erde Unheil zu stiften, ist indessen (der), daß sie allesamt getötet oder gekreuzigt werden, oder daß ihnen Hände und Füße wechselseitig abgehackt werden, oder daß sie aus dem Land verbannt werden. Das ist für sie eine Schande im Diesseits, und im Jenseits gibt es für sie gewaltige Strafe,"

    Finde ich ja nicht gerade beruhigend.

    • @Greg Parson:

      1. Keinen Krieg führen



      2. Kein Unheil stiften

      Zack, beruhigt!

    • @Greg Parson:

      Es geht nicht ums Trauern oder Distanzieren.

      Sondern um die wissenschaftliche Analyse und Kritik des Islams, so wie es auch das Christentum hier erfahren hat.

      Eine Analyse, die von Teilen der Linken seit Jahren verhindert wird.

      Doch seit dem Tod von Samuel Paty darf man wieder ein bisschen, die taz hatte in den letzten Wochen eine Reihe von interessanten Artikeln zu dem Thema.

      Auch empfehlenswert:

      "Das hat was mit uns Muslimen zu tun" von Murat Kayman in der ZEIT.

      www.zeit.de/gesell...am/komplettansicht

  • 9G
    91655 (Profil gelöscht)

    Ja und, andere müssen sich die Taten anderer vorwerfen lassen, also, ich distanziere mich als ANTIFAschist täglich von Nazis, trotzdem wird mir immer mal vorgeworfen Nazi zu sein ....

    • @91655 (Profil gelöscht):

      "(...) trotzdem wird mir immer mal vorgeworfen Nazi zu sein ...." (Sharp)



      Na dann würde ich es, als Erstmaßnahme, damit versuchen den Friseur zu wechseln und etwas mehr Farbe ins textile Erscheinungsbild zu bringen. Danach vielleicht noch ein paar zivilere Aktionsförmchen hier und ein paar flexiblere Denkmuster da... müßte eigentlich hinzukriegen sein.



      Aber - bitte - geht mich ja nix an. Ich sag ja nix. Ich mein ja nur.

    • @91655 (Profil gelöscht):

      Bei einer Veranstaltung zur Entkolonialisierung des Bewusstseins hat die Wissenschaftlerin Iman Attia gesagt: " Fast alle sind mal Opfer und mal Täter. Für die Beurteilung einer Situation kommt es darauf an, was leichter ist. "