Nach dem TV-Duell: Suche nach dem Swing
Das TV-Duell zwischen Peer Steinbrück und Angela Merkel hat viele Menschen für Politik interessiert. Und es hat für Rot-Grün einen Moment der Offenheit erzeugt.
BERLIN taz | Eigentlich wäre doch mal ein bisschen Euphorie angebracht so aus rot-grüner Sicht. Steinbrück hat das TV-Duell intellektuell gewonnen, zu diesem Schluss können auch Leute kommen, die keine größeren Sympathien für die Sozialdemokratie hegen. Er hat seine Inhalte präziser erklärt als Angela Merkel, er war schlagfertig und angriffslustig, ohne in die Falle zu tappen, mit Brachialkritik an der knuffig-netten Kanzlerin unsympathisch zu wirken.
Frage also an Sigmar Gabriel, SPD-Chef, bei der Deutungspressekonferenz im Willy-Brandt-Haus am Montagmittag: Ist das Duell der Wendepunkt in dem bisher sanft dahinplätschernden Wahlkampf? Findet die SPD jetzt endlich ihren Swing? „Das Duell trägt dazu bei, die Aufmerksamkeit für diesen Wahlkampf enorm zu steigern“, antwortet Gabriel. „Und das ist gut für SPD und Grüne.“
Zwei dürre Sätze, mehr nicht. Mehr fällt dem SPD-Vorsitzenden nicht ein zu einer Frage, die als Einladung zum analytischen Eigenlob gemeint ist. Seltsam gedämpft klingt das, sehr verkopft, in jedem Fall aber nicht: euphorisch. Was ist da los? Was bewirkt dieses TV-Duell eigentlich aus Sicht der Parteien, die ja lautstark den Politikwechsel propagieren?
Machen wir uns also auf die Suche nach dem Swing bei Rot-Grün. Mit diesem neudeutschen Begriff – nein, er hat nichts mit Dixieland oder dem Tanz zu tun – bezeichnen Wahlkampfstrategen, wenn ein Kandidat und seine Partei einen Lauf haben.
Wenn sich eins glücklich zum anderen fügt, wenn die Basis an den Sieg glaubt, wenn Umfragewerte steigen, wenn also eine Regierungsübernahme machbar erscheint. Bisher swingt nur Merkel auf dem bundesrepublikanischen Parkett, geradezu beängstigend trittsicher, aber das Duell wurde von rot-grünen Strategen im Vorfeld als wichtige Wegmarke beschrieben.
In der Tat hat Steinbrück am Sonntagabend gepunktet. Ihm beim Schlagabtausch mit der Kanzlerin zuzuschauen, das hat oft richtig Spaß gemacht. Meine Güte, endlich redet mal einer pointiert über Inhalte.
Endlich nimmt mal jemand Merkel ihren Nimbus der Unangreifbaren, zumindest für 90 Minuten. Endlich benennt mal jemand scharf die vielen Dissense, die es zwischen dem schwarz-gelben und dem rot-grünen Lager gibt, trotz der ständigen Rede von Merkels Sozialdemokratisierung.
Ein echter Erfolg
Viele Zuschauer empfanden diese Klarheit als angenehm. In den Umfragen sehen sie mal Steinbrück knapp vorn, mal Merkel. Das ist für einen Kandidaten, der aus einem tiefen Loch klettern muss, ein echter Erfolg. Gabriel zitiert eine weitere Umfrage, nach der Steinbrück bei noch unentschiedenen Wählern gar 19 Prozentpunkte vorn gelegen habe.
Das ist eine Kernbotschaft, die der SPD-Chef senden will: Sehr viele Menschen entscheiden sich erst kurz vor der Wahl. Und das Lager der Unentschiedenen ist so groß, dass es die scheinbar uneinholbare Merkel noch gefährden kann.
Allerdings weiß Gabriel auch, dass seine SPD vom Idealzustand des Swing noch weit entfernt ist. Seine vorsichtige Antwort ist auch ein kluges Erwartungsmanagement.
Zu abgeschlagen ist die SPD in Umfragen, zu sehr sitzt ihr Steinbrücks Pannenserie in den Knochen, zu offensichtlich sind Diskrepanzen zwischen Kandidat und Programm. Und am Ende ist doch höchst fraglich, ob ein zum Großevent aufgeblasenes Medienereignis tatsächlich Wahlentscheidungen relevant beeinflusst.
Gleiche Frage an Jürgen Trittin, Spitzenkandidat der Grünen, mit dem Gabriel im Herbst ein Bündnis schmieden will. War das Duell ein Wendepunkt? Auch Trittin antwortet vorsichtig. Bei 17 Millionen Zuschauern sei es zumindest für die „Wahlentscheidung nicht ohne Bedeutung“, sagt er. Merkels demokratieschädliche Strategie, den Leuten zu suggerieren, sie bräuchten gar nicht zur Wahl zu gehen, sei jetzt durchbrochen.
Gabriel und Trittin sind sich also im Grunde einig. Dieses TV-Duell hat gezeigt, dass sich viele, wirklich viele Menschen für Politik interessieren. Und es hat für Rot-Grün einen Moment der Offenheit erzeugt.
Ein Wechsel scheint zumindest wieder denkbar. Mehr ist es nicht. Aber auch nicht weniger.
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