Nach dem Anschlag in Großbritannien: Hat die britische Polizei versagt?
Den Angriff auf eine Synagoge in Manchester verhinderte die Polizei nicht – aber mehrere Opfer gehen auf ihr Konto. Jüdische Kritik gibt es an der Regierung.

Inzwischen wurden sechs Personen festgenommen, die mit der Tat verbunden sein könnten. Die Polizei behauptet, dass Al-Shamie unter dem Einfluss des extremistischen Islamismus gestanden habe. Auf dem Radar der Antiterrorbehörden stand er bisher nicht, aber laut Polizei bestand gegen ihn der Verdacht, eine Frau vergewaltigt zu haben. Zum Tatzeitpunkt war er auf Kaution frei.
Bei der Attacke starben neben dem Attentäter zwei Personen, vier wurden verletzt. Darunter sind Personen, die Al-Shamie mit seinem Wagen anfuhr oder mit einem Messer angriff, aber auch Opfer des Polizeieinsatzes gegen ihn.
So hatten zwei Personen, darunter der 53-jährige Adrian Daulby, die Eingangstür der Synagoge zu verbarrikadieren versucht, um Al-Shamie am Eindringen zu hindern. Beide wurden versehentlich durch Schüsse der Antiterroreinheit der Polizei getroffen. Der 53-jährige Adrian Daulby erlag seinen Verletzungen; eine zweite Person, Yoni Finlay, überlebte. Das zweite Todesopfer war der 66-Jahre alte Melvin Cravitz. Er versuchte, Al-Shamie vor der Synagoge zu stoppen, wofür er mit seinem Leben zahlte.
Jüdische Einrichtungen schützen sich selbst
Ein weiteres schwer verletztes Opfer war ein Sicherheitswachmann des britisch-jüdischen Sicherheitsdienstes Community Security Trust (CST) – eine aus der antifaschistischen jüdischen Gegenwehr entstandene Struktur, die heute die Absicherung in vielen jüdischen Gemeinden und Einrichtungen unter anderem durch Freiwillige leistet. Diese Tatsachen haben nun zu einer Diskussion über Sicherheit geführt und wieso die britische Polizei diese nicht selbst gewährleistet.
Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass sich Al-Shamie angeblich schon 15 Minuten vor dem Angriff vor der Synagoge aufhielt und vom Sicherheitspersonal angesprochen, jedoch nicht der Polizei gemeldet worden sein soll. Er soll sich dann entfernt haben, bevor er mit seinem Auto zurückkehrte und damit direkt auf die mit Menschen gefüllte Synagoge zufuhr. Bei der Attacke trug Al-Shamie Gegenstände an seinem Körper, die annehmen ließen, dass er Sprengstoff trage, was aber nicht stimmte.
Bei einer Andachtsfeier am späten Freitagnachmittag erzählte Daniel Walker, der Rabbiner der Gemeinde, wie er bis zum Eintreffen der Polizei zusammen mit anderen die Tür zur Synagoge zuhielt, während Al-Shamie versuchte, einzudringen. Er habe dabei „ich werde Euch kriegen, ich komme rein“ und „Allahu akbar!“, geschrien. Der Rabbiner rief die zur Andacht Versammelten auf, sich nicht kleinkriegen zu lassen. „Als Juden bauen wir immer wieder vom neuen auf, und erlangen unsere Kräfte nicht nur wieder, sondern auch stärker zurück.“
Vizepremier David Lammy ausgebuht
Als der stellvertretende Premierminister und Justizminister David Lammy bei der gleichen Andachtsfeier am Freitag sein Beileid aussprechen wollte, wurde er aus der Menge beschimpft. „Geh nach Palästina“, sagte einer, während andere „Schande“ riefen und „Blut an deinen Händen“. Lammy, so diese Protestierenden, toleriere pro-palästinensische „Hass-Märchen“.
Dieser Meinung ist auch der Oberrabbiner Ephraim Mervis, der in der jüdischen Wochenzeitung The Jewish Chronicle (JC) verlangte, dass man endlich „gefährliche“ pro-palästinensische Märsche, die oft Antisemitismus und Unterstützung für Hamas an den Tag legen würden, in Griff bekommen solle. „Es ist nicht möglich, die Aussagen auf unseren Straßen und deren Aktionen von dem klaren Resultat, sprich dem Terrorangriff, zu trennen. Die beiden sind miteinander verbunden“, sagte er am Freitag in einer BBC Sendung.
Pro-palästinensische Demonstrationen gehen weiter
Bereits wenige Stunden nach dem Terrorangriff war es in London am Donnerstag zu einer Demonstration in Solidarität mit der gerade von Israel geenterten Gaza-Flotille im Mittelmeer gekommen. Dabei gab es Zusammenstöße zwischen Polizei und Demonstrant:innen. Premierminister Keir Starmer und Innenministerin Shabana Mahmood hatten dazu aufgerufen, dass sich Leute mit Demonstrationen zurückhalten sollten, um nicht noch mehr Spaltung und Schmerz zu schaffen. „Dies ist ein Moment der Trauer“, schrieb Starmer in JC.
Die Organisatoren blieben jedoch bei der Demonstration. Auch ein geplanter pro-palästinensischer Marsch in London am Samstag sollte stattfinden. Am Samstagmittag wurden im Stadtzentrum erste Teilnehmer festgenommen, weil sie ihre Unterstützung für die verbotene Gruppierung „Palestine Action“ erklärten.
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