Nach Rap-Video über Thailands Regierung: Die Junta rappt zurück
Ein thailändisches Musikvideo kritisiert das Militär. Es verbreitet sich rasend schnell im Netz. Das Regime will kontern – mit kläglichem Ergebnis.
„Das Land, das dir eine Knarre an die Kehle setzt“, wo „man die Klappe halten muss oder hinter Gittern landet“ – so sieht eine Gruppe junger thailändischer Rapper ihr Land. Und so sehen es anscheinend Millionen weitere. Die Zeilen stammen aus einem Rap-Song, der gerade im Netz so viele Klicks sammelt, dass er selbst die Militärregierung zu verzweifelten Aktionen zwingt. 17 Millionen Aufrufe verzeichnete das Video der Gruppe Rap Against Dictatorship, das seit dem 22. Oktober online ist, allein innerhalb einer Woche. Mittlerweile sind es über 34 Millionen. „Prathet Ku Mee“ heißt der Song, „Was mein Land ist“. Die jungen Rapper stellen darin die Militärjunta an den Pranger. Die wiederum ist offenbar von der Popularität des Songs komplett überrascht worden.
„Das Land, wo das Parlament zur Spielwiese der Soldaten geworden ist“ – seit dem Ende der absoluten Monarchie im Jahr 1932 hat Thailand 20 Putsche und Putschversuche erlebt. Die Armee stellt sich als Hüterin des Palastes dar und begründet die meisten ihrer Staatsstreiche mit dem Schutz des Königshauses und damit, dass sie politische Unruhen und korrupte Machenschaften habe beenden wollen – so auch bei den Putschen von 2006 und 2014.
Den Status quo verkörpern innerhalb des nationalistisch-royalistischen Establishments nicht nur die Armeespitze, sondern auch die Technokratie und das alteingesessene Big Business. Die alten Eliten nehmen für sich moralische Überlegenheit in Anspruch, unverbrämt nach der Devise: „Wir hier oben wissen, was für euch da unten gut ist.“ Dagegen stehen prodemokratische Bewegungen, die in Thailand militärische Gewalt und Unterdrückung ihrer Meinung fürchten müssen. Zensur ist in Thailand nichts Ungewöhnliches. Das YouTube-Video „Prathet Ku Mee“ jedoch fordert die herrschende Junta auf besondere Weise heraus: Bei Kritik, die sich rasend schnell im Netz verbreitet, gerät das Regime an seine Grenzen.
Im Song geht es um Machtmissbrauch, Einschüchterung und Korruption unter den Militärs, die im Mai 2014 unter dem damaligen Armeechef Prayuth Chan-ocha geputscht haben und sich seitdem als „Saubermänner“ inszenieren. Seither jedoch wurden Wahlen immer wieder verschoben. Zuletzt hieß es, sie sollten 2019 stattfinden: „Ein freies Land?“, fragen die Rapper höhnisch: „Fuck it.“
„Prathet Ku Mee“ wurde dadurch noch bekannter
Für Rap Against Dictatorship sind die Missstände eine musikalische Steilvorlage – nicht viele Künstler trauen sich solche Provokationen, so sehr sie auch nötig sind. „Das Land, welches das Gesetz mit Maschinengewehren fickt“, „Das Land, wo das Innere der Hauptstadt zum Schlachtfeld wurde“ und „die Bevölkerung in zwei Teile gespalten ist“.
Gleichzeitig macht Rap Against Dictatorship auch die gewaltsamen Ereignisse der 1970er Jahre zum Thema: Die Rahmenhandlung des Videos zeigt eine johlende Menge, die einen jungen Mann anfeuert. Dieser hat einen Stuhl in der Hand und prügelt damit auf einen an einem Baumast Hängenden ein. Diese brutale Szene zitiert eine berühmte Aufnahme des AP-Fotografen Neal Ulevich vom 6. Oktober 1976. Damals haben Sicherheitskräfte und rechtsgerichtete Gruppierungen protestierende Studenten ermordet, gequält und vergewaltigt. Das Massaker an der Thammasat-Universität ist eine der blutigsten Gewalttaten in Thailands Geschichte – die das Establishment gerne totschweigt.
Interessant ist in diesem Fall vor allem die Ohnmacht des Regimes angesichts des Netzvideos. Zwar hatte die Polizei zunächst erklärt, gegen die Musiker vorgehen zu wollen, dann aber einen Rückzieher gemacht. Es gebe zu wenig Beweise für eine Strafverfolgung, so die offizielle Lesart. Offenbar ist das Video zu populär geworden; auch mussten die Behörden einsehen, dass die Verbreitung im Netz nicht zu stoppen ist. Die Drohgebärde ging für das Regime nach hinten los: „Prathet Ku Mee“ wurde dadurch noch bekannter.
Und so versuchte es die Junta mit Gegenpropaganda – vergangene Woche veröffentlichte sie einen eigenen Rap-Song – der angeblich schon monatelang in der Mache war und nichts mit „Prathet Ku Mee“ zu tun hat. Das Problem mit diesem musikalischen Gegenschlag des Regimes: Das Video ist gähnend langweilig. Rasch aneinandergeschnittene Sequenzen zeigen sowohl das quirlige Bangkok als auch meist lächelnde Thais – als Wissenschaftler, in der Industrie, auf Reisfeldern. Mittendrin taucht immer wieder Juntachef Prayuth auf.
Gegebenenfalls als „Unruhen“ für sich umdeuten
Der Song beschwört die Einheit des Landes: „Es gibt so viele talentierte Thailänder, wenn wir zusammenarbeiten, werden wir stärker, stärker sein“, heißt es. Sogar eine Tonfolge aus der Nationalhymne wurde dafür auf das gebürstet, was das Regime als „Rap“ verkaufen will. Das Ergebnis ist so steril, dass es nicht einmal Regierungsfreunde mitreißen dürfte. Peinlich, unsäglich, zum Fremdschämen, lauteten die Kommentare im Netz. Bislang wurde das Pro-Junta-Video zwar mehr als 4,5 Millionen Mal angeklickt – allerdings stehen dort rund 4.100 „Likes“ ganze 62.000 „Dislikes“ gegenüber.
Die Militärs wissen, dass es im Land rumort, wollen aber Legitimität auf Biegen und Brechen. Ob es nun 2019 tatsächlich Wahlen gibt, bleibt abzuwarten.
Zwar haben sich mittlerweile etliche neue Parteien gegründet, von denen sich einige Demokratie und nationale Versöhnung auf die Fahnen geschrieben haben. Doch Wahlkampf durften sie bisher nicht machen, erst im Dezember soll das Verbot politischer Aktivitäten aufgehoben werden.
Unterdessen setzen regimetreue Parteien und Gruppierungen alles daran, dass Juntachef und Diktator Prayuth auch nach einer Wahl Premierminister bleiben kann. Letztlich ist auch Thailands neue Verfassung so angelegt worden, dass die Militärs durch die Hintertür weiter die Fäden ziehen. Von wirklicher Demokratie wird Thailand auch dann noch weit entfernt bleiben.
Für den Fall, dass es wieder zu Straßenprotesten zwischen den rivalisierenden Lagern kommt, schließt der neue Armeechef Apirat Kongsompong, selbst Sohn eines Putschistenführers von 1991, einen weiteren Staatsstreich nicht aus. Solche Proteste hatte das Land Anfang 2006 bis Mai 2014 erlebt. Das Militär wird diese gegebenenfalls als „Unruhen“ für sich umdeuten. Damit wäre eine neue Runde im Teufelskreis politischer Gewalt vorprogrammiert. Dabei hat Thailand schon viel zu viel durchleiden müssen, kritisiert Rap Against Dictatorship. Und widmet ihren Hit in der Schlusseinstellung „allen Opfern staatlicher Verbrechen“. Vielleicht liefert ja „Prathet Ku Mee“ die nötige Initialzündung für eine ganz eigene, neue Form des Protests gegen die Militärs und ihren Machtanspruch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag