Nach Messerattacke in Paris: Frankreich will Aufklärung
Nach dem tödlichen Angriff werfen die Ermittlungen kein gutes Licht auf den Sicherheitsapparat der Polizei. Der Täter besaß sensible Informationen.
Frankreich steht weiterhin unter dem Schock eines Verbrechens, das bisher den Wenigsten vorstellbar erschienen wäre. Innerhalb der Polizei soll sich vieles ändern. Und Präsident Emmanuel Macron möchte die Bevölkerung, die er zur aktiven Wachsamkeit aufruft, in den Kampf gegen den Terrorismus einbeziehen.
„Sieben Minuten haben gereicht, um das Leben eurer vier Angehörigen auszulöschen“, sagte Macron am Dienstag im Hof des Invalidendoms. Der 46-jährige, zu 70 Prozent gehörlose Täter, der seit Jahren als Informatiker im polizeilichen Nachrichtendienst beschäftigt war, wurde im Hof erschossen, als er einen weiteren Polizisten angreifen wollte.
Die Tat entpuppte sich nach Durchsuchungen schnell als Attentat mit terroristischen Absichten – und warf kein gutes Licht auf die Sicherheitsregeln im Hauptquartier der Pariser Polizei.
Vorzeichen wurden missachtet
Die Ansprache Macrons war in Wirklichkeit keine Trauerrede, sondern eine Kampfansage an einen inneren Feind, den er „islamistische Hydra“ nannte – das Monster der griechischen Mythologie, dessen Köpfe sogleich nachwachsen, wenn sie abgeschlagen werden. Die Bevölkerung dürfte dieses Bild kaum beruhigen.
Klar ist, dass Vorzeichen missachtet wurden. Die Kollegen des Täters haben bezeugt, dass er nach dem Anschlag auf „Charlie Hebdo“ in seinem Büro laut sagte, das sei der Redaktion des Satireblatts „recht geschehen“. Die Kollegen hatten die Äußerung gemeldet, jedoch ohne Konsequenzen. Nun fragen sich viele, warum H. durch alle „Maschen“ der Kontrollen für die Staatssicherheit schlüpfen konnte.
Durch seine Arbeit hatte H. uneingeschränkten Zugang zu vertraulichen oder gar streng geheimen Informationen des Nachrichtendienstes. Diese betreffen unter anderem Polizisten, die in Moscheen mutmaßliche Hassprediger oder Radikalisierte überwachen sollen. Es ist leicht vorstellbar, wie wertvoll solche Hinweise für die bekämpften Sympathisanten des Dschihad wären. Tausende solcher brisanten Daten, inklusive Namen und Adressen von Polizisten, befanden sich auf einem USB-Stick von H.
Die Zeitung Le Figaro formulierte, was in Paris die meisten Leute dachten: „Wie konnte sich ein islamistischer Terrorist im Staatsapparat, und zudem ausgerechnet im Herzen einer Polizeiabteilung, die mit dem Kampf gegen islamistische Aktivitäten beauftragt ist, verstecken und dann dieses Massaker mitten in der Polizeipräfektur verüben?“
Der Imam des Täters stand auf einer Gefährderliste
Marine Le Pen, die Chefin des rechtsextremen Rassemblement National, konnte ihren Triumph angesichts des „Staatsskandals“ kaum verbergen. Obschon der erschossene Täter ja ein Franzose aus Martinique war, sieht sie eine „Verbindung zwischen der anarchischen Einwanderung und dem Aufkommen des islamistischen Fundamentalismus in unserem Land.“ Das Bindeglied sind für sie die ausländischen Imame in französischen Moscheen.
Der Imam der von H. besuchten Moschee in Gonesse war nämlich wegen früherer Hasspredigten in einer anderen Moschee auf einer Gefährderliste als Risiko für die Staatssicherheit registriert. Und er hatte einen – allerdings nicht ausgeführten – Befehl erhalten, das französische Territorium zu verlassen. Der betreffende Imam versichert dagegen gegenüber Medien, er sei mitnichten ein radikaler Islamist, und mit H. habe er seines Wissens kein einziges Wort ausgetauscht.
Bei einem von der Opposition beantragten Hearing räumte Innenminister Christophe Castaner „Fehler“ ein und kündigte an, die für die interne Sicherheit Zuständigen der Polizeipräfektur würden zur Verantwortung gezogen. Der Minister hatte selber gleich nach dem Anschlag erklärt, der Täter habe nie mit irgendwelchen Verhaltensstörungen einen Anlass zu Verdacht gegeben. Die linken und rechten Fraktionen der Opposition geben sich mit Castaners Auskünften nicht zufrieden, sie fordern seinen Rücktritt.
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