Nach Merz' Migrationsantrag: Eigentor beim Elfmeter
Eine kämpferische Zivilgesellschaft statt komatöser Duldungsstarre, Merz zwischen Kamikaze und Akrobat, und Trumps unerwartete Zweistaatenlösung.
t az: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?
Friedrich Küppersbusch: Uns drohen insgesamt sieben Wahlduelle, Quartelle, ein Septett.
taz: Und was wird besser in dieser?
Küppersbusch: FDP nur bei einem dabei.
taz: Nach der Chaoswoche im Bundestag, in der Friedrich Merz und die CDU gemeinsam mit der AfD abgestimmt und die Brandmauer eingerissen haben, gab es bundesweit Massendemos mit Hunderttausenden Menschen. Macht Ihnen das Hoffnung?
Küppersbusch: Auf eine höhere Wahlbeteiligung, ja. Auf eine andere – nein. Nach den neuen Umfragen wollen alle alles wählen, am ehesten noch gewann die AfD hinzu. Demos vor Wahlen – 250.000 Menschen am Samstag in München etwa – sind eher selten. Immerhin: Vergleicht man die Reaktion der deutschen Zivilgesellschaft mit der komatösen Duldungsstarre der Amerikaner gegen Trumps Autoputsch, ist hier noch jemand wach.
taz: Am Montag demonstrierte die CDU auf ihrem Parteitag dann große Einigkeit – weil alles andere so kurz vor der Bundestagswahl strategisches Kamikaze wäre, oder?
Küppersbusch: In der Bundestagsfraktion gab’s gerade noch ein dreckiges Dutzend unbeirrter Merkelianer – unter anderem bekundete Roderich Kiesewetter durch zweimaliges Fernbleiben, dass er eher nicht Merz’ Verteidigungsminister werden wird. Die große Mehrheit unterstrich den Ruf der Union als „Kanzlerwahlverein“, zumal keine personelle Alternative drängt. Söder ist noch öder, Wüst nicht wüst genug. Merz wird von seiner Partei ins Amt getragen werden, das ist bei denen Tradition, siehe Kohl und Merkel.
taz: Das Thema Migration scheint nicht nur CDU und AfD umzutreiben, sondern laut Umfragen auch die Bevölkerung hauptsächlich. Wird also alles gut, wenn Schwarz und Blau bald koalieren?
Küppersbusch: Die Union fordert die Streichung des individuellen Asylrechts aus dem Grundgesetz. Das teilen aktuell nur AfD und BSW. Im neuen Bundestag kann das Höckepack sich erneut einen Gruselspaß draus machen, den Vorschlag einzubringen und die Union an sich selbst verschmoren zu lassen. So war es, wenig beachtet, auch beim „Zustrombegrenzungsgesetz“ – Merz rannte ins Debakel, weil die AfD den Unionsantrag zur Abstimmung bringen wollte. Da brachte sich der Briloner Seniorsponti lieber gleich selbst um. Merz hätte einfach gar nichts machen müssen bis zur Wahl – und aus diesem Elfmeter ein Eigentor zu fabrizieren, ist schon akrobatisch. Jetzt wird er es schwer haben, ostdeutsche Begehrlichkeiten nach Rechtskoalitionen wegzuargumentieren.
taz: Dann gab es ja noch so ein paar andere Meldungen, dass in Deutschland nämlich 550.000 Wohnungen fehlen oder dass sich knapp jeder zehnte Elternteil kein gesundes Essen für die Kinder leisten kann – aber wenn interessiert das schon, oder?
Küppersbusch: Laut „ZDF-Politbarometer“ waren uns Frieden, Wirtschaft, soziale Gerechtigkeit noch vor Wochen wichtiger als das Thema Migration. Dann kippte die „Mitte“ gen AfD. Es ist, als würde man jede Woche auswärts bei Bayern München spielen, sich jedes Mal eine 5:0 Klatsche abholen, bis die eigenen Fans sagen: Ihr müsst halt mehr so spielen wie Bayern München. Indiz: Die Linke erfindet sich mit Themen wie „Wohnungsnot“ und „Soziales“ ein Paralleluniversum – und legt zu. Heimspiel.
taz: Auf globalem Maßstab sorgte US-Präsident Donald Trump für Ärger: Er verkündete den Plan, die Palästinenser:innen vom Gazastreifen umzusiedeln und dort unter US-Kontrolle die „Riviera des Nahen Ostens“ zu errichten. Mir fällt dazu keine Frage mehr ein, was fällt Ihnen ein?
Küppersbusch: Zweistaatenlösung, endlich. Leider Israel und USA. Trumps Landraub in Palästina hat verblüffende Ähnlichkeit mit Putins Ideen für mindestens Teile der Ukraine. Ist ein Nebenwiderspruch fürs Medienfeuilleton, doch wenn man wahrnimmt, wie das eine und das andere kommentiert wird, wäre journalistische Distanz eine jederzeit wünschenswerte Allzweckwaffe.
taz: Zum Glück gab es neben dem ganzen Wahnsinn auch etwas Ablenkung: Der 1. FC Köln hätte im Viertelfinale des DFB-Pokals fast die Sensation gegen den Nachbarn aus Leverkusen geschafft. Nach einem Vorsprung mit zwei Toren verloren die Ziegenböcke doch noch 2:3 gegen den Titelverteidiger. Woran ist das Wunder gescheitert?
Küppersbusch: Zwischen Derby und Karneval atmet Köln mal eben eine Bundestagswahl weg. Hoffe, die sind zwischendurch wach genug, an die Urne zu gehen.
taz: Und was macht der RWE?
Küppersbusch: Ein Punkt auswärts, zwei Plätze überm Abstieg jetzt. Die können alles außer langweilig.
Fragen: Volkan Ağar
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