Nach Ibiza-Affäre in Österreich: Fünf Datenträger vernichtet
Das Kanzleramt ließ kurz vorm Sturz der Regierung mehr Daten vernichten als zunächst bekannt. Doch welche Infos waren auf den Festplatten?

Ein Mitarbeiter des damaligen Kanzlers Kurz soll Festplatten zum Schreddern gegeben haben Foto: reuters
WIEN dpa | Die Vernichtung von Datenträgern aus dem Kanzleramt in Österreich unmittelbar vor dem drohenden Sturz der Regierung ist umfangreicher gewesen als bisher angenommen. Nach Informationen der Magazine Falter und Spiegel hat ein Mitarbeiter des Kanzleramts im Mai fünf statt nur eine Festplatte von einer externen Spezialfirma zerstören lassen und nicht durch Experten des Hauses.
Es sei in der 25-jährigen Geschichte des Unternehmens noch nie passiert, dass jemand unter falschem Namen und mit solchem Aufwand Festplatten habe vernichten lassen, wird der Geschäftsführer der Firma vom Falter am Dienstag zitiert.
Das Schreddern erfolgte wenige Tage nach Bekanntwerden des „Ibiza-Videos“, das am 27. Mai zum Sturz der Regierung von Sebastian Kurz durch ein Misstrauensvotum im Parlament führte.
Es ist unklar, welche Daten auf den Festplatten waren. Die zeitliche Nähe zum Bekanntwerden des Videos, in dem Ex-Vizekanzler und Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache einer angeblichen russischen Oligarchen-Nichte wirtschaftliche Vorteile im Gegenzug für Spenden an die FPÖ in Aussicht stellt, hatte zu Spekulationen geführt, die Vernichtung der Daten könne etwas mit dem Skandal zu tun haben.
Es hatte Spekulationen gegeben, die Vernichtung der Daten könne etwas mit dem Skandal zu tun haben
ÖVP-Chef und Ex-Kanzler Kurz hat dies zurückgewiesen. Die Vernichtung sensibler Daten angesichts der bevorstehenden Abwahl sei nicht anstößig. Auch Österreichs Kanzlerin Brigitte Bierlein erklärte, „die Löschung bestimmter sensibler, nicht dem Bundesarchivgesetz unterliegender Daten entspricht der üblichen Praxis bei Regierungswechseln“. Nichtsdestotrotz werde der Fall geprüft. Auch die Staatsanwaltschaft hat sich eingeschaltet.
Der Vorgang war aufgeflogen, weil der Mitarbeiter die Rechnung von 76 Euro bei dem Unternehmen nicht bezahlt hatte. Durch Nachforschungen war man auf die Spur des Mannes gekommen.
Leser*innenkommentare
Leo Brux
Wenn man sich die Postings auf den Foren der österreichischen Zeitungen anschaut, staunt man: 90% gegen die ÖVP, gegen Kurz&Co! Sogar bei der rechtslastigen kurz-treuen Kronenzeitung, die ihren aktuellen Artikel über die Schredderaktion ziemlich versteckt hat.
Das Thema ist sozusagen sexy, ein Hingucker! Und einer, der jedem ÖVPler und Kurz-Fan die Schamröte ins Gesicht treibt.
Wie verteidigen die tapferen Aufrechten die Sache? - Ach, da ist doch nix dran, alles ganz normal gelaufen, außer, dass halt das Zahlen vergessen worden ist: läppische 76 Euro. Ach, alles bloß linke Stänkereien. Etc.
Das kommt aber nicht durch - auch nicht bei den eher rechtsorientierten Medien.
Man hat den Eindruck, die ÖVP und ihre Anhänger stehen im Moment unter Schockstarre.
Klar, worauf die bescheuert verunglückte Schredderaktion hinweist: Auf den Festplatten war der IBIZA-Film, und den hat Kanzler Kurz schon lange vor seiner Veröffentlichung gesehen und nur mal abgewartet, wann er ihn selber nutzt. (Da sind ihm SZ und Falter zuvorgekommen.) Es wird sogar gemunkelt, dass Kurz bzw. die ÖVP selber die Anstifter der IBIZA-Aktion waren. So weit würde ich nicht gehen, aber dass Kurz schon Monate vorher informiert war, scheint mir nun wahrscheinlich zu sein.
Bierlein macht es ganz richtig: Cool bleiben und - nachforschen. Mal sehen, was da noch rauskommt. Vielleicht nicht viel. Aber die seltsamen Umstände der Schredderaktion (Zeitpunkt, Nervosität des Kurz-Mannes, 3fach-Schredderung, Mitnahme des Mülls, Angabe eines falschen Namens, Angabe, man sei privat hier, Anfangslügen der ertappten ÖVP) lassen tief blicken ... auch dann, wenn die IBIZA-befasste Staatsanwaltschaft nichts Konkretes mehr rauskriegen kann.