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Nach Flugzeugabsturz in der UkraineUnwürdiger Umgang mit den Toten

Prorussische Separatisten behindern den Zugang zu den Leichen. OSZE-Beobachter und Flugexperten sollen die Hintergründe aufklären.

Separatisten vor den Eisenbahn-Kühlwaggons am Bahnhof Tores. Bild: dpa

KIEW taz | Drei Tage nach dem Absturz des malaysischen Passagierflugzeugs MH17 in der Ostukraine lagerten am Sonntag Dutzende Tote in Kühlwaggons der ukrainischen Eisenbahn am Bahnhof des Ortes Tores. Prorussische Separatisten und ihre Helfer sollen mittlerweile 196 Leichen geborgen haben, insgesamt waren bei dem Flug von Amsterdam nach Kuala Lumpur 298 Passagiere inklusive der Besatzung an Bord gewesen.

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) erklärte, die Separatisten hätten sie darüber unterrichtet, dass sie 167 der Leichen in den Kühlzug gebracht hätten. Die Markierungsstöcke an den Stellen, wo die Leichen gefunden wurden, waren laut der Nachrichtenagentur afp verschwunden. Unklar blieb weiterhin,welche Pläne die örtlichen Milizen mit den Toten hatten.

Separatistenführer Alexander Borodai erklärte am Sonntag in Donezk, seine Leute hätten „Flugzeugteile“ gefunden, die „Black Boxes ähneln“, wie afp weiter berichtete. Man habe kein Vertrauen zu ukrainischen Ermittlern, könne die Teile jedoch „internationalen“ Fachleuten übergeben.

Die Ukraine und die Separatisten beschuldigten sich gegenseitig, für das Unglück verantwortlich zu sein.

In Kiew erklärte der ukrainische Vizepremierminister Wladimir Grojsmann, der gleichzeitig die staatliche ukrainische Kommission zur Aufklärung der Flugzeugkatastrophe leitet, mit den Aufständischen sei eine „vorläufige Vereinbarung“ über einen ungehinderten Zugang ukrainischer Fachleute und OSZE-Vertreter zur Absturzstelle getroffen worden.

In dem 32 Quadratkilometer großen Areal seien inzwischen ukrainische Experten des Katastrophenschutzes tätig. Diese sollen die sterblichen Überreste der malaysischen Passagiere an einen anderen Ort bringen, wo deren Identifizierung vorgenommen werden solle.

Offen war zunächst, ob die Vereinbarung auch für die 132 malaysischen Experten galt, die am Tag zuvor in der ukrainischen Hauptstadt eingetroffen waren, um die Absturzstelle in der Nähe der von Separatisten gehaltenen Stadt Donezk aufzusuchen. Zu der Gruppe gehören Militärs, Ärzte und Ermittler, wie die ukrainische Nachrichtenagentur nbnews.com.ua mitteilte.

Experten und Geheimdienstler vor Ort

Aus Deutschland reisten derweil zwei Experten der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) in die Ukraine, die gemeinsam mit KollegInnen der US-amerikanischen Bundespolizei FBI, von Interpol und Europol die Hintergründe des Absturzes aufklären sollen. Unter den Passagieren der Maschine waren auch vier Deutsche.

Präsident Poroschenko versprach, die ausländischen Fachleute in einem Sonderflugzeug an die Absturzstelle zu senden. Eine Gruppe der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit ( OSZE) gelangte am Sonntag an den Bahnhof von Tores. Wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, inspizierten die Beobachter die Waggons in Begleitung prorussischer Separatisten. Sie lehnten es aber ab, die Säcke mit den Leichen zu öffnen und zu zählen, da sie dafür nicht ausgerüstet seien. Viele der Toten hatten bis Samstag in brütender Sommerhitze am Straßenrand und auf den Feldern gelegen, der Verwesungsprozess hatte bereits eingesetzt.

Die OSZE-Gruppe war in den Tagen zuvor zunächst am Betreten der Absturzstelle gehindert worden, konnte dann am Freitag und Samstag nur kurz einen Teil des Geländes begehen. Teilweise seien bereits Gepäckstücke aus den Trümmern geplündert worden, hieß es.

Wenig Hoffnung

In Kiew wird die Ankunft der ausländischen Experten begrüßt, gleichzeitig ist man pessimistisch hinsichtlich deren uneingeschränkter Arbeitsbedingungen. „Es ist erfreulich, dass die Experten angereist sind. Es ist wichtig, dass hier eine internationale Expertengruppe vor Ort eine unabhängige Untersuchung vornimmt“, sagte Volodymir Yermolenko, Konfliktforscher aus Kiew, gegenüber der taz.

Er befürchte jedoch, „dass das nicht möglich sein wird. Die Separatisten gewähren ja nicht einmal der OSZE ungehinderten Zutritt. Ich fürchte, sie haben schon wichtige Beweismittel wie Geschossteile verschwinden lassen.“

„Sogar in dieser Situation versucht noch jede Seite Vorteile für ihre Position zu schlagen“, meinte der Kiewer Journalist Valentin. „Die Aufständischen wollen den ungehinderten Zugang der Experten mit einem Waffenstillstand verknüpfen, Kiew fordert nur einen sicheren Korridor für die Spezialisten, will jetzt nach dem Abschuss des Flugzeuges die Angriffe im Donbass erst recht fortsetzen.“

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6 Kommentare

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  • Friedliche Zivilisten werden in der Ostukraine von unseren angeblichen Freunden, den Herrschern bzw. deren Handlangern mit Streumunition zerfleischt- vgl. z.B. http://wn.com/luftangriff_auf_lugansk_wurde_wendepunkt und https://www.youtube.com/watch?v=dzRx5Uilia4 und andere (18+).

    Derartige Tatsachenberichte scheint die Zensur unserer Medien nicht zuzulassen.

  • Sollte die Rakete aus der Ukraine abgefeuert worden sein und nicht von dem Separatisten Gebiet, würden sie sicherlich schon lange die Teile als Beweis vorgezeigt haben. Putin besitzt die gleichen Satelitenaufnahmen und Radarbilder und auch er schweigt. Wenn es das Ukrainische Militär war, dann sind mir beide etwas zu ruhig. Denn der Ukrainischen Propaganda stehen sie in nichts nach.

  • Was für ein armseliges Spiel, dargeboten von einem Haufen Desperados mit dem Feingefühl eines Tyrannosaurus Rex. Und Putin ist so unschuldig wie die Jungfrau Maria. Diese selbsternannten Minister der russischen Separatisten werden nur auf äußere Zwänge reagieren oder gegen Geld. Mit den gegenwärtigen Reaktionen des Westens wie in einem Wohlfühlkindergarten gegen ungezogene Kinder üblich, wird es keine Erfolge geben.

  • Das sagt ein sich "Konfliktforscher" nennen wollender?

    "Ich fürchte, die Separatisten haben schon wichtige Beweismittel wie Geschossteile verschwinden lassen.“

    Das dürfte kein "Konfliktforscher" sondern ein forscher Konfliktbetreiber sein.

  • Interessant, wie Kiew nunmehr den Zweifel an allem, was tatsächlich als echter Beweis gelten könnte, zu streuen beginnt.. Äh, und ist jetzt eigentlich endlich jemand auf der Suche nach der TATWAFFE? WER hat eigentlich wirklich ABSOLUT ZUERST von einem ABSCHUSS gesprochen? Mmmm, und die versammelte Avangarde westlicher Polizeikräfte wird nun also im Kiewer Lufttaxi zur Absturzstelle chauffiert? Haben im eigenen Jet wohl Schiss vor friendly fire? ,-)) Ah, nein, wie unabhängig! Wie, und die russische Polizei soll selbst sehen, wie sie dahinkommt? Nein, tatsächlich, ein Waffenstillstand ist einer weiteren unabhängigen Untersuchung wirklich absolut unzuträglich! Wie schön, daß wenigstens Kiew begreift, daß man mit einem Fortsetzen der Angriffe WIRKLICHE unabhängige Experten geradzu herbeiSAUGT! Sowas finden die GANZ TOLL! Oder, Steini, wat sachst du denn dazu? Mann, wie können die Separatisten nur die Kiewer dort reinlassen, ein schwerer taktischer Fehler! Anstatt nur die Malaien und die OSZE! Obwohl, wer als Experte zu so einem Termin seine Handschuhe vergisst, darf gleich wieder nach Hause laufen! Warscheinlich war es Ihnen einfach nur zu separatistisch schmuddelig! WAS, ihr habt keine genormten Kühlwaggons ausschliesslich für menschliche Überreste? Tja, eben typisch hochbetahlte OSZE: Wir sind zwar spät, dafür aber auf jeden Fall immer nutzlos!! Jedenfalls, ich wette, die Separatisten werden versuchen, insbesondere alles, was aus Kiew kommt, bald wieder rauszuschmeissen... aber das wir sehr schwierig, wenn nicht unmöglich sein... das Gleiche gilt für die Polizeikommandos... wirklich, offensichtlich liegen bislang alle Vorteile des Abschusses auf westlicher Seite... was für ein genial verteufelter Plan!

    • @Ichhaltsnichtmehraus:

      Ihr in "Witz" gehülltes Glaskugelgucken und die Cui- Bonoserei können Sie stecken lassen. Keiner kann bisher wissen, was geschehen ist, außer der Täter selbst.

      Der eine könnte daran interessiert sein, den krieger. Konflikt so schnell zu beenden, der andere könnte schlicht die Maschine für eine andere gehalten haben. Für diesen Irrtum bedarf es keines Motives, oder haben Sie beim versehentlichen Verkehrteinlegen der Batterien in ein Gerät, welches dadurch kaputt ging, ein Motiv gehabt ?

      Starke Motive, die Tat zu vertuschen, hätten aber beide Seiten; Also abwarten und Tee trinken oder Beweise her !