Nach Festnahmen wegen Korruptionsverdacht: Reformen im EU-Parlament gefordert

Nachdem die Vorwürfe gegen Vizeparlamentspräsidentin Eva Kaili bekannt geworden sind, wird der Ruf nach besseren Kontrollmechanismen in Brüssel lauter.

Das EU-Parlament im Hintergrund. Es ist ein rundes Haus mit vielen Stockwerken. Davor eine Reihe von Flaggen, die im Wind wehen. Ganz vorne die der EU. Dann die einzelner Länder. Es sind immer zwei Flaggen nebeneinander. Es ist dunkel.

Das Europäische Parlament in Strasbourg: Fähnchen im Wind

BRÜSSEL afp | Nach Bekanntwerden der Korruptionsvorwürfe gegen die EU-Vizeparlamentspräsidentin Eva Kaili mahnen Ex­per­t*in­nen Reformen an. Das Parlament habe jahrzehntelang die Entwicklung einer „Kultur der Straflosigkeit“ und einen „Mangel an unabhängiger ethischer Kontrolle“ zugelassen, erklärte die Nichtregierungsorganisation Transparency International am Samstag. EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola sicherte der Justiz die Unterstützung ihres Hauses bei der Aufklärung des Falles zu.

Am Freitag waren in Brüssel insgesamt fünf Menschen im Zusammenhang mit Korruptionsermittlungen festgenommen worden, bei denen mutmaßlich das WM-Gastgeberland Katar eine maßgebliche Rolle spielt. Unter ihnen ist Kaili, eine der 14 Vizepräsidenten des EU-Parlaments. Auch vier Italiener wurden festgenommen, unter ihnen Kailis Lebensgefährte Francesco Giorgi, der parlamentarischer Mitarbeiter der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament ist.

„Bandenmäßigen Korruption und Geldwäsche“

Festgenommen wurden zudem der ehemalige sozialdemokratische Europaabgeordnete und heutige Chef der Nichtregierungsorganisation Fight Impunity, Pier Antonio Panzeri, sowie der Generalsekretär des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB), Luca Visentini.

Die belgischen Ermittler gehen dem Verdacht der „bandenmäßigen Korruption und Geldwäsche“ nach. Es besteht die Vermutung, dass Katar mit beträchtlichen Geldsummen und Geschenken versuchte, die Entscheidungen des Europa-Parlaments zu beeinflussen.

Asselborn enttäuscht

Es handele sich „nicht um einen Einzelfall“, erklärte Transparency International nach den Festnahmen. Die Kontrollmechanismen im Parlament seien „fehlerhaft“, schrieb Alberto Alemanno, Jura-Professor am Europakolleg im belgischen Brügge im Kurzbotschaftendienst Twitter.

Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn forderte die festgenommene Kaili zum Verzicht auf ihren Parlamentssitz auf. „Ich hoffe, dass diese Frau den Anstand hat, ihr Mandat zurückzugeben“, sagte Asselborn dem Tagesspiegel. Es sei „sehr enttäuschend, dass im Europaparlament Korruption im Spiel ist“.

Auch aus Kailis sozialistischer Pasok-Partei wurde die Forderung nach einem Mandatsverzicht laut. In der Partei werde „Druck ausgeübt, damit Frau Kaili ihren Parlamentssitz abgibt“, sagte ein Pasok-Mitglied in Athen.

Nach den Festnahmen vom Freitag befassen sich die belgischen Ermittler damit, die beschlagnahmten Mobiltelefone und andere Datenträger auszuwerten. Am Samstag wurden die fünf Beschuldigten nach Angaben eines Sprechers der belgischen Bundesstaatsanwaltschaft in Brüssel weiter vernommen.

48 Stunden Zeit

Der zuständige Ermittlungsrichter musste entscheiden, ob die Beschuldigten in Untersuchungshaft kommen. Die Frist für diese Entscheidung läuft nach belgischem Recht 48 Stunden nach der Festnahme ab – im Fall von Parlamentsvizepräsidentin Kaili also am Sonntagabend.

Am Samstag veröffentlichte die belgische Zeitung L'Echo weitere Informationen zur Festnahme Kailis. Demnach entdeckten die Ermittler „mehrere Säcke voller Geldscheine“ in der Brüsseler Wohnung der Politikerin. Die Durchsuchung der Räumlichkeiten brachte die Polizei „L'Echo“ zufolge auf den Weg, nachdem sie den Vater Kailis mit einer großen Menge Bargeld in „einem Koffer“ erwischt habe.

Verhandlungen über Visa-Erleichterungen ausgesetzt

Inzwischen wollen mehrere Fraktionen im EU-Parlament geplante Verhandlungen über Visa-Erleichterungen für Bürger des Golfemirats Katar aussetzen. „Wir von den Grünen sind dagegen, dass Katar in der aktuellen Situation eine Visa-Erleichterung bekommt“, sagte der Grünen-Europaabgeordnete Erik Marquardt am Samstag.

Am Montag sollte im EU-Parlament formell der Beginn von Verhandlungen zwischen Parlament und den Mitgliedstaaten über Visa-Erleichterungen für Katar und Kuwait bekannt gegeben werden. Der zuständige Ausschuss im Parlament sowie die Mitgliedsländer hatten sich bereits grundsätzlich dafür ausgesprochen, dass Bürger aus Katar und Kuwait sich bis zu 90 Tage ohne Visum in der EU aufhalten dürfen.

Marquardt, der im Parlament für den Gesetzentwurf federführend zuständig ist, erklärte, den Start der Verhandlungen und damit mögliche Visa-Erleichterungen aussetzen zu wollen, bis mehr Informationen über den Korruptionsvorwurf bekannt sind. „Man muss sicherstellen, dass es keine Beeinflussung von Abgeordneten oder Angestellten auf den Textentwurf des EU-Parlaments zu Visa-Erleichterungen für Katar gab“, sagte Marquardt.

Auch die Linksfraktion und die Sozialdemokraten forderten spätere Verhandlungen. „Solange keine Klarheit herrscht, inwieweit katarisches Geld geflossen ist, darf es keine Visa-Erleichterungen für Katar geben“, sagte der Ko-Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion im EU-Parlament, Martin Schirdewan.

Die Fraktion der Sozialdemokraten hatte am Freitag in einer Pressemitteilung eine „Aussetzung von Arbeiten an allen Dossiers und Plenarabstimmungen bezüglich der Golfstaaten, besonders Visa-Erleichterung und geplante Besuche“ gefordert.

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