Nach Bootsunglück vor Libyens Küste: Unglück mit Ansage
Unweit der libyschen Küste kentert erneut ein Flüchtlingsboot auf dem Weg nach Italien. Dort wird gegen Melonis Flüchtlingspolitik demonstriert.
Es war ein Unglück mit Ansage, denn seit mehr als einem Tag wussten die italienischen ebenso wie die libyschen und maltesischen Rettungsleitstellen von der Notsituation, unternahmen jedoch nichts. Am Samstag um kurz nach zwei Uhr morgens waren sie von der NGO Alarm Phone alarmiert worden, die einen Notruf von den Flüchtlingen erhalten hatte. Alarm Phone hatte nicht nur die präzisen Koordinaten durchgegeben, sondern auch die Rettungsleitstelle in Rom auf ein in der Nähe befindliches Frachtschiff hingewiesen.
Doch Italien unternahm vorerst nichts, das Frachtschiff setzte seinen Kurs fort, es wurde nicht zum Ort des Notfalls umdirigiert. Die Rettungsleitstelle in Rom beschränkte sich vorerst darauf, die libysche Küstenwache zu unterrichten, die ihrerseits untätig blieb. In der Zwischenzeit lieferte Alarm Phone von einem Aufklärungsflugzeug gelieferte Bilder, die auch durch die Medien gingen und die ganze Dramatik der Situation des von hohen Wellen hin- und hergeworfenen Bootes zeigten. Erst daraufhin wurde Italien tätig, beorderte aber keineswegs Rettungseinheiten der Küstenwache hinaus, sondern wies einige Handelsschiffe an, an den späteren Unglücksort zu fahren.
Am Ende waren vier Schiffe vor Ort, doch auch sie unternahmen nichts, beschränkten sich über Stunden hinweg darauf, die Situation zu beobachten. Als dann endlich das Schiff Froland sich näherte, um einen Rettungsversuch zu unternehmen, kenterte das Flüchtlingsboot.
Untätigkeit Italiens als mögliche Ursache
Alarm Phone klagt jetzt an, die Untätigkeit Italiens sei ursächlich für den Tod von 30 Menschen, da „die italienischen Behörden vorsätzlich Rettungsmaßnahmen verzögert“ hätten, während sich die Wetterbedingungen Stunde um Stunde verschlechterten.
Von einer „Schande für Italien“ sprach auch die neue Vorsitzende der Partito Democratico (PD), Elly Schlein. Sie erreichte die Nachricht, während sie auf der nationalen Versammlung der Partei in Rom zur Vorsitzenden proklamiert wurde – eine Schweigeminute für die Opfer wurde eingelegt. Für die Regierung antwortete Außenminister Antonio Tajani, der davor warnte, die Toten „zu instrumentalisieren“. Faktenwidrig behauptete Tajani, Italiens Küstenwache lasse Menschen in Seenot nie ohne Beistand.
Italien erlebt mit dem Unglück vom Sonntag die zweite Flüchtlingstragödie binnen zwei Wochen. Am 26. Februar war vor der Küste Kalabriens ein von der Türkei abgefahrenes Boot gekentert. Während 80 Menschen gerettet werden konnten, ertranken mindestens 79 Personen. Auch in diesem Fall war die Küstenwache nicht ausgerückt, weil sie trotz schwerer See nicht von einem Notfall ausgegangen war.
Demonstrationen gegen Melonis Flüchtlingspolitik
Am Sonntag demonstrierten im kalabrischen Unglücksort Cutro etwa 5.000 Menschen gegen die Flüchtlingspolitik der Rechtsregierung unter Giorgia Meloni, die jetzt die Strafen für Schleuser weiter verschärfen will. Bisher fiel sie aber vor allem dadurch auf, dass sie die Daumenschrauben gegen die in der Seenotrettung tätigen NGOs anzog und deren Schiffe nach jedem Rettungseinsatz per Zuweisung weit entfernt im Norden Italiens liegender Häfen systematisch aus dem Verkehr zieht.
Hinter dieser Maßnahme steht die Behauptung, die NGOs würden mit ihren Einsätzen als „pull factor“ wirken und die Flüchtlinge überhaupt erst auf die Idee bringen, die gefährliche Fahrt übers Meer anzutreten. Obwohl die NGOs jetzt weitgehend blockiert sind, stiegen die Flüchtlingszahlen jedoch in diesem Jahr deutlich. Vom 1. Januar bis zum 10. März trafen etwa 18.000 Menschen übers Meer kommend in Italien ein, während es im gleichen Vorjahreszeitraum nur 6.000 waren. Allein Freitag und Samstag letzter Woche kamen vor allem aus Tunesien fast 3.000 Menschen auf Lampedusa an.
Bei ihren Überfahrten spielten die NGOs keinerlei Rolle. Eine rettende Rolle hätten sie jedoch womöglich bei der Tragödie vom Sonntag spielen können. Die 20 Menschen ertranken akkurat in der Zone, in der die Rettungsschiffe regelmäßig aktiv waren, bevor sie durch die Schikanen der italienischen Regierung von dort vertrieben wurden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut