: Nach BSE ist vor BSE
Noch immer gibt es viele Fragen, doch die Leute haben wieder Appetit auf Fleisch ■ Von Sandra Wilsdorf
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier: Die meisten derer, die sich aus Angst vor BSE Anfang des Jahres Käse statt Wurst aufs Brot gelegt und sich Tofu statt Steak gebraten haben, sind zu ihren alten Konsumgewohnheiten zurück gekehrt. Agnes und Heinz Wilhelm Timmermann beispielsweise vermeldeten im ersten Quartal 2001 im Hofladen ihres Biolandhofes in Sülldorf 50 Prozent mehr Umsatz. Inzwischen hat sich alles wieder auf Normalmaß eingependelt.
Und sie sind für ihre Branche ganz typisch: Anfang des Jahres musste Hersteller und Vertreiber von Öko-Lebensmitteln häufig „ausverkauft“ melden. Doch inzwischen scheinen die Menschen wieder zu ignorieren, dass in jedem konventionellen Braten der Wahnsinn lauern könnte. Denn noch immer gibt es viele offene Fragen: Beispielsweise ob und wie der Rinderwahn auf Menschen übertragbar ist, sollen Studien herausfinden, die jetzt zwar angelaufen sind, aber noch lange keine Erkenntnisse erbracht haben.
Und so ist für die Verbraucherschützer das Thema keineswegs gegessen, auch wenn es heute dazu sehr viel weniger Anfragen gibt als noch Anfang des Jahres. „Im Januar und Februar hatten wir allein 300 telefonische Anfragen zu BSE monatlich, jetzt sind es etwa 30“, sagt Armin Valet von der Verbraucher-Zentrale Hamburg.
Für viele Fleisch- und Wurstwarenhersteller ist „garantiert ohne Rindfleisch“ offenbar kein zusätzliches Verkaufsargument mehr, weshalb die bunten Aufkleber weitgehend aus den Fleischtruhen verschwunden sind. Valet beobachtet eine Atmosphäre des Gleichmuts, „in der sogar darüber diskutiert wird, ob man das Tiermehlverbot nicht wieder aufheben sollte“. Zwar begrüßen die Verbraucherschützer die als Folge der BSE-Krise eingeleiteten Maßnahmen, aber sie gehen ihnen nicht weit genug. Förderprogramme für die Entwicklung einer regionalen, extensiven und umweltverträglichen Erzeugung, Öko-Siegel für die Transparenz beim Einkauf, das alles gehe in die richtige Richtung. Und: „Es ist gut, dass jetzt alle Rinder ab 24 Monaten getestet werden, aber wir wünschen uns natürlich, dass alle untersucht werden“, sagt Valet. Dafür gibt es aber nach wie vor keine geeigneten Tests.
Fleisch sei sicherer geworden, weil keine Risikomaterialien wie Hirn, Augen und Rückenmark mehr verarbeitet werden dürfen. Allerdings gilt das nur für Tiere, die älter sind als zwölf Monate. Auch der Tod durch Bolzenschuss ist nach wie vor erlaubt, dabei aber können Risikomaterialien ins Fleisch gelangen. Auch Wurst ist ein bisschen sicherer geworden. Zwar darf sie das von Wirbelknochen gelöste Separatorenfleisch nicht mehr enthalten. Doch wer kontrolliert, ob die Bestimmungen eingehalten werden? „Wir werden das überprüfen“, kündigt Valet an.
Greenpeace warnt ebenfalls Verbraucher vor ungehemmtem Fleischkonsum und kritisiert die Futtermittel-Industrie. Genmanipulierte Soja, Antibiotika-Leistungsförderer und industrielle Abfallprodukte wie Sägespäne und Altfette seien in der konventionellen Landwirtschaft als Futtermittel nach wie vor erlaubt. Landwirtschaftsexperte Martin Hofstetter folgert: „Aus der BSE-Krise hat die Industrie nichts gelernt.“
Am Ende hat Armin Valet den gleichen Rat wie vor einem Jahr: „Wer gerne Rindfleisch isst, sollte darauf achten, dass es aus Ökolandbau ist oder wenigstens getestet.“
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